Kirche zu verkaufen

Von Werner Nordling |
In vielen Regionen Deutschlands müssen sich die Kirchen auch ganz von Gotteshäusern trennen. Allein im katholischen Erzbistum Hamburg sind seit 1995 mehr als 20 Kirchen aufgegeben worden. Sie werden zu Büros, Wohnungen, Restaurants, Kindergärten oder zu Schulräumen. Eines kommt allerdings für beide Konfessionen nicht in Frage: Die Nutzung ehemaliger Kirchen zum Beispiel als Moschee. Das ließe sich den meisten Bürgern wohl kaum vermitteln, meinen die Verantwortlichen.
Für die evangelische Rimbertgemeinde im Hamburger Stadtteil Billstedt ist das heute ein trauriger Sonntag. Als die Bischöfin, der Probst, der Kirchenvorstand und die Gemeindepastorin in das Gotteshaus einziehen, kann das festliche Spiel der Orgel nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies der letzte Gottesdienst ist, der hier gefeiert wird. Der sakrale Bau wird entwidmet, wie das im Kirchendeutsch heißt. Der zuständige Probst Mathias Bohl verliest die Urkunde.

"Am 30. Oktober 2005 ist in einem feierlichen Gottesdienst die Rimbertkirche zu Hamburg-Billstedt im Kirchenkreis Stormann in der Nordelbischen Lutherischen Kirche durch die Bischöfin für den Sprengel Hamburg, Maria Jepsen, entwidmet worden. "

Die Kirche ist mit mehr als 200 Besuchern bis auf den letzten Platz gefüllt. Obwohl die Stimmung eher wie auf einer Beerdigung ist, versucht sich die Gemeinde mit einem Lied Mut zu machen. Mitte der 50er Jahre war das Pastorat in Billstedt gegründet worden. Damals verfolgte der Sprengel das Ziel, dass die Gläubigen einen möglichst kurzen Weg zu ihrem Gotteshaus haben sollten. In der ehemaligen Kleingarten-Kolonie war ein neuer Stadtteil entstanden, in dem Flüchtlinge aus dem Osten oder Ausgebombte aus anderen Hamburger Gebieten ein neues Zuhause finden sollten. 1963 wurde die Rimbert-Kirche fertiggestellt. Das Gebäude aus rotem Backstein mit der wandhohen Verglasung taucht Altar und Kanzel in helles Licht. Der Kirchturm steht separat daneben. Der 79-jährige Herbert Grimm aus Ostpreußen hat als 29-Jähriger angefangen, sich in der Kirchengemeinde zu engagieren. Ihm fällt der Abschied besonders schwer.

"Es ist Wehmut, die 50 Jahre, die man hier mitgewirkt hat, und dann von 63 die 42 Jahre die Kirche hier stand, bin meist jeden Sonntag hier gewesen zu allen Veranstaltungen, ist ein schwerer Abschied, unser Junge ist hier getauft, zum Konfirmandenunterricht hier gegangen, hier eingesegnet von Pastor Peters, man hat hier viele Erinnerungen."

Die Gemeindepastorin Bettina Schweikle hat vor dem Altar eine Klagemauer aufgebaut. In die Löcher der roten Ziegelsteine haben Gemeindemitglieder kleine blaue Zettel gesteckt.

"Das ist sehr bewegend, was die Menschen schreiben, die meisten sind doch sehr getragen, der Wunsch, dass noch ein Wunder geschehen möchte oder dass ein Gewinn im Lotto vielleicht doch noch wahr wird und wir die Kirche retten können, aber im Großen und Ganzen ist auch vom Kopf her ein Einverständnis da. "

Die Zahl der Gemeindemitglieder hat sich von 9000 Anfang der 60er Jahre auf heute 2500 auf nahezu ein Viertel verringert. Die Instandhaltung der Kirche und des Gemeindehauses schlagen jährlich mit 50.000 Euro zu Buche, das sind 30.000 Euro mehr, als die Gemeinde an Einnahmen hat. Der Probst im Kirchenkreis Storman, Mathias Bohl, stand vor einer schwierigen Entscheidung.

"Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, die den Finanzrückgang erklären, das ist die Mitgliederentwicklung, das ist die konjunkturelle Entwicklung, die Steuerpolitik und noch viele andere Gründe, es ist dann so, dass wir innerhalb der Kirche Entscheidungen treffen müssen, wie wir das vorhandene Geld verteilen, das noch da ist, das bedeutet dann abzuwägen, ob man Gebäude weiter unterhält oder Wert darauf legt, die Menschen in der Kirche, die ihren Dienst hauptamtlich tun, so weit es geht, dabeizubehalten. Und das ist die Entscheidung, die wir für den Dienst an den Menschen mit hauptamtlichen Kräften tun. "

Spätestens 2008 wäre die Rimbert-Gemeinde zahlungsunfähig geworden. Deshalb wurde die Fusion mit der benachbarten Philippus-Gemeinde beschlossen. Doch die alteingesessenen Billstedter tröstet das wenig. Ihre Kirche ist für sie ein besonderes Gebäude.

" Ich leb hier fast 50 Jahre in der Gemeinde, bin zutiefst enttäuscht, dass der deutsche Staat sich so viel gegenüber dem Ausland leisten kann und hier nicht mal das Gebäude und die Gemeinde aufrechterhalten kann. Für mich ist das unverständlich. Ich hab hier geheiratet, wurde hier getraut, als die Kirche noch gar nicht stand, hab den Aufbau der Kirche miterlebet, die Einweihung miterlebt und ich bin innerlich total dagegen, dass die Kirche hier entwidmet wird. "

Erst langsam beginnt sich in der Öffentlichkeit die Erkenntnis durchzusetzen, dass auch Gotteshäuser nur für eine begrenzte Zeit gebaut worden sind. Wenn sich ein Kirchenvorstand damit angefreundet hat, den sakralen Raum zu schließen, stellt sich sofort die Frage, welche Nachnutzung denn möglich sein soll. Diese Frage muss sehr sensibel behandelt werden, sagt der Vorsitzende des Kirchenvorstandes Jens Quade.

"Es gibt immer wieder Gerüchte, hier kommt eine Moschee hin, das ist natürlich Quatsch, genauso wenig kommt hier ein Aldi hin. Wir haben uns eindeutig entschlossen, eine sozialdiakonische Nutzung zu erreichen."

Favorisiert wird ein Altenpflegeheim oder ein Hospiz. Diese Einrichtungen sollen in kirchlicher Trägerschaft bleiben. Als Laufsteg für Modeschauen wie in Berlin oder als Sparkasse wie in Brandenburg werde der Kirchenraum nicht zur Verfügung gestellt, sagt Probst Bohl. Auch wenn solche Nutzungen einen höheren Ertrag bringen würden.

"Es wird keine Nutzung geben, die eine Kirche wirklich nur mit Modenschauen füllen kann, Sparkassen halte ich schon für abwegig bis in die Symbolik hinein, dass aus einem Tempel Gottes ein Tempel des Geldes wird, das halte ich persönlich jedenfalls für undenkbar."

An der St. Petri-Kirche mitten in der Hamburger Innenstadt an der Mönckebergstraße hat Pastor Christoph Störmer solche Bedenken nicht. Um das undichte Dach und die maroden Kirchenfenster renovieren zu können, hat der Seelsorger die Außenfassade der Kirche vorübergehend sogar als Werbefläche für die Modefirma H&M vermietet.

"Es bringt leider weniger als uns der Vermarkter versprochen hat, es sollte eigentlich 30.000 Euro pro Monat bringen, für eine Sanierung, die ungefähr 700.000 bis 800.000 Euro kostet. Wir spielen etwa 20.000 ein oder noch weniger, da sind wir noch dabei, das nachzubessern."

Natürlich irritiert das manche Passanten, wenn eine Kirche Werbung für einen Modekonzern macht, gibt der Pastor zu. Doch die Zeiten sind nicht so, dass man sich das aussuchen kann, sagt Störmer.

"Es gibt dieses schöne Marx-Zitat, der Kapitalismus verwandelt selbst Heiligenknochen in Geld, das hat die Kirche auf ihre Weise nun auch reichlich getan, Kommerz und Kirche war immer schon ein Stückchen verbunden, es endet an der Kirchenschwelle, es ist außen am Baugerüst, nicht an der Kirche direkt und es ist vorübergehend, das muss man deutlich machen auch. "

Volle Gotteshäuser sind auch im Kirchenkreis Alt-Hamburg selten geworden. Acht der 70 Kirchen stehen hier derzeit zum Verkauf. Keine einfache Aufgabe für Probst Günther Petters, der auch für unkonventionelle Lösungen offen ist.

"Ich halte es nicht grundsätzlich für richtig, aber wir sind gezwungen, weil wir es nicht mehr bezahlen können, die Gemeinden in unserem Kirchenkreis und auch woanders haben nicht mehr genug Geld, um den laufenden Betrieb finanzieren zu können und gegebenenfalls auch für den Erhalt der Gebäude sorgen zu können. "

Der Probst ist da manchmal schon weiter als die Gemeindemitglieder. So scheiterte die Übernahme einer Kirche als Restaurant durch den Fernsehkoch Tom Mälzer am heftigen Einspruch der Kirchengemeinde. Petters nennt eine Reihe von Beispielen, wo die Nachnutzung keine Probleme bereitet hat. Die Frage ist nur, wie lange sich die Gemeinden das noch aussuchen können, meint der Kirchenmann.

"In der Gnadenkirchen Eimsbüttel ist die russisch-orthodoxe Kirche eingezogen, in der Simeon-Kirche in Hamm ist die griechisch-orthodoxe Kirche eingezogen, in Nathanael Gemeinde in Horn sind afrikanische Gemeinde eingezogen, in der Kapernaum Gemeinde werden wir einen christlichen Kindergarten einrichten, in Uhlenhorst ist eine Sozialstation heimisch geworden, nein wir bemühen uns ohne Ausreißer auszukommen, wie lange das noch gehen wird, weiß ich nicht. "