Kirche ohne Anerkennung

Von Danja Antonovic · 31.03.2012
In Serbien sind zwar die meisten Christen orthodox, es gibt aber - neben Katholiken und Muslimen - auch eine kleine protestantische Minderheit. Dazu gehört auch die Gemeinde der deutsch-evangelischen Kirche in Belgrad, die jedoch bis heute nur als Sekte anerkannt wird.
"Fi-la-la, Fi-lu-lu, der Frühling ist da", singen die kleinen Knirpse voller Inbrunst im Hof des evangelischen Kindergartens im Belgrader Stadtteil Zvezdara. Der strenge, lange Winter hat sich verabschiedet, die Luft ist klar, es riecht nach Frühling. Ein Postkartenhimmel hängt über den Dächern, scheue Schneeglöckchen verstecken sich im Gebüsch. Kindergeschrei hallt durch den Hof. Petra ist heute fünf geworden - es gab Erdbeertorte und viel Schlagsahne.

Zvezdara ist ein ruhiger, grüner Stadtteil mit engen Gassen und alten Villen, die von sozialistischen Plattenbauten umgeben sind. In einer Art déco-Villa ist die "Arche Noah", der einzige konfessionelle Kindergarten Serbiens, untergebracht.

Dass es einen evangelischen Kindergarten in Belgrad gibt, ist Snezana Andjelic und dem Diakonischen Werk Westfalen zu verdanken: Als Studentin in Münster hat Snezana Andjelic von ihrem Kindergartentraum erzählt. Das Diakonische Werk bot Hilfe an, ermöglichte den Kauf der alten Villa und bildete serbische Erzieherinnen in Deutschland aus. Das war vor fast 16 Jahren, als das Milosevic-Regime noch die Macht im Land hatte:

"Die Leute kannten den Unterschied zwischen Kindergarten und Kirche nicht. Wussten nicht, was wir hier machen, wieso evangelischer Kindergarten. Wir haben versucht, ihnen zu erklären, dass wir als Christen die Verantwortung haben für die Erziehung unserer Kinder und dass wir diese Verantwortung übernehmen wollen."

Ihr Konzept - Toleranz gegenüber den Anderen - verfolgte Snezana Andjelic konsequent. Als sie Kinder mit Behinderungen aufnahm, waren nicht alle Eltern glücklich, aber sie setzte sich durch. Heute sind solche Kinder in der "Arche Noah" selbstverständlich.

"Das ist eine christliche Erziehung. Wir haben ein Konzept aus Deutschland genommen, wir haben Montessori-Materialien und -Konzept, und auch ein teiloffenes Kindergarten-Konzept."

Snezana Andjelic ist Diplom-Soziologin, Kinderpsychologin und vierfache Mutter. Der jüngste Sohn Andrija ist im Kindergarten, der älteste ist bereits 28 Jahre alt. Sie ist zierlich, ihr Gesicht wird von unbändigen roten Locken umrahmt, hinter einer roten Brille blinzeln wache, blaue Augen. Ihre 47 Jahre sieht man ihr nicht an.

Am anderen Ende von Belgrad liegt der Bezirk Zemun. Hier wird einmal im Monat Gottes Wort in deutscher Sprache verkündet.

"Liebe Schwester und Brüder, wir haben aus Jesaja ..."

Die Messe findet in der deutschen evangelischen Kirche statt. Etwa 150 deutschsprachige Protestanten, die in Belgrad und in der Umgebung leben, kommen regelmäßig hierher. Pastor Dieter Tunkel ist als Beauftragter der Evangelischen Kirche Deutschlands 2007 nach Serbien berufen worden:

"Diese evangelische Kirche ist wieder gegründet worden im Jahre 2007 im Dezember. Es gehören zu dieser Gemeinde Deutschstämmige, die hier in Belgrad leben und auch in ganz Serbien. Diese Kirche ist Nachfolger aller alten deutschen Gemeinden, und weil die Registrierung verweigert worden ist, sind wir im Jahr 2008 Teil der slowakischen Kirche geworden."

Die Nichtregistrierung der deutschen evangelischen Kirche in Serbien hat viel mit der Geschichte der Deutschen auf dem Balkan zu tun: Vor rund 250 Jahren kamen Franken, Sachsen und Schwaben nach Vojvodina, einem Teil der Pannonischen Ebene. Die österreichisch-ungarische Kaiserin Maria-Theresia gab das Land, die Einwanderer machten aus den Sümpfen fruchtbares Ackerland.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten in Vojvodina 350.000 Deutsche. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Jugoslawien die sogenannten "Donauschwaben", die nicht mit Hitlers Truppen das Land verlassen hatten, in Lager gesteckt, ihrer Bürgerrechte beraubt und enteignet. So gab es nach 1945 keine evangelische Gemeinde mehr und die Zemuner Kirche wurde anderweitig genutzt. Pastor Tunkel erzählt:

"Das Kreuz wurde runtergerissen und ein roter Stern wurde aufs Dach gepflanzt. Danach war es ein Wettbüro, ein Nachtclub. Sie sehen noch die Separees in der Kirche. Dann war es eine Diskothek und eine Galerie."

Von außen gesehen ist der Rundbau mit seiner Kuppel und der großen Eingangstür ein imposantes Gebäude. Im krassen Kontrast dazu steht der kahle, kalte Innenraum. In einer Ecke steht ein Bartresen mit verstaubten, leeren Flaschen. Tische und Bänke in den Separees, stumme Zeugen einer Zeit, als in der Kirche noch getanzt und getrunken wurde. Pastor Dieter Tunkel bückt sich und hebt eine leere Zigarettenschachtel vom Marmorboden. Mitglieder einer Folkloregruppe, die in der Kirche üben, haben sie hinterlassen.

Dass die evangelische Gemeinde nun Untermieter in ihrer eigenen Kirche ist, hat mehrere Gründe: Die Nachfolge der ehemaligen deutschen evangelischen Kirche ist noch immer nicht geklärt - und damit auch die Frage nicht, wem die Zemuner Kirche eigentlich gehört.

"Wir haben die Rückgabe dieser Kirche beantragt nach dem geltenden Restitutionsgesetz. Es gab ein Ablehnungsbescheid, gegen den wir nur mit einer Klage beim obersten Gericht antworten konnten. Das haben wir auch getan, denn es ist wichtig, die Rechtsnachfolge festzustellen."

Die Klage der deutsch-evangelischen Gemeinde liegt mittlerweile beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg. Denn Serbien erkennt bislang als Rechtsnachfolgerin die kleine evangelische christliche Kirche aus Subotica an, die ungarische Gemeinden betreut. Für die Evangelische Kirche Deutschlands aber ist die Rechtsnachfolgerin der damaligen deutsch-evangelischen Kirche die slowakische evangelische Kirche Serbiens. Die Slowaken haben nun ein deutsches Seniorat eingerichtet, in dem deutschsprachige Protestanten eine Heimat gefunden haben.

Und diese Heimat ist sehr wichtig, denn heute wird die deutsche evangelische Kirche in Serbien als Sekte geführt. Offiziell wird das Wort zwar vermieden, man spricht von "Nichtregistrierten Glaubensgemeinschaften"; in der Öffentlichkeit wird jedoch das Wort "Sekte" benutzt. So findet man in der Auflistung der Sekten in den Medien auch die deutsche evangelische Kirche. Das serbische Religionsgesetz erkennt nur sieben "Traditionskirchen" - wie sie genannt werden - an, unter ihnen ist seit 2007 auch die slowakische evangelische Kirche Serbiens. Bis 1997 galt auch diese Kirche als Sekte. Warum ausgerechnet die deutsche evangelische Kirche in Serbien nicht anerkannt wird, konnten beim zuständigen Ministerium weder Pastor Tunkel noch einheimische Journalisten erfahren.

In Belgrad rauscht der Frühling durch die Stadt, Kirschbäume blühen um die Wette, 25 Grad lassen die Schneemassen vom Februar vergessen. Ostern steht vor der Tür. Der Kirchgarten soll wieder ein Garten werden, sagt Pastor Tunkel und ruft in einer Mail auf: "Zieht eure Arbeitsklamotten und Stiefel an, bringt Harken und Schaufeln mit, wir wollen den Kirchgarten vom Unrat befreien".

Und so wird vielleicht - mit viel Arbeit der Gemeindemitglieder in Belgrad und mit ein wenig Glück in Strassburg - auch die Zemuner Kirche bald wieder zu einem Zentrum evangelischen Lebens in Belgrad erblühen.