"Kirche ist kein Unternehmen"

Birgit Klostermeier im Gespräch mit Kirsten Westhuis · 28.04.2012
Die Ökonomisierung des Sozialen hat auch die Kirchen längst erfasst. Für Birgit Klostermeier ging es in ihrer preisgekrönten Studie um die Frage, welche Rolle Begriffe wie Effizienz, Optimierung, Mehrwert und Konkurrenz für die Kirchen spielen.
Kirsten Westhuis: Die Grundlage der Evangelischen Kirche in Deutschland ist das Evangelium – so heißt es in ihrer Grundordnung. Aber Seelsorge oder Gottesdienste laufen nicht von allein, sondern brauchen Organisation: Kirche ist Arbeitgeber, sie muss mit der Kirchensteuer und den Spenden haushalten, und auch ihre vielen Angebote muss sie in der Öffentlichkeit so platzieren, dass die Menschen sie wahrnehmen. Ist die Kirche ein Konzern? Wirken auch auf sie die gesellschaftlichen Zwänge von Effizienz, Produktivität, Gewinnoptimierung?

Die evangelische Theologin Birgit Klostermeier hat sich wissenschaftlich mit der unternehmerischen Seite der Kirche befasst. In einer Studie untersuchte sie, wie sich wirtschaftliche Kriterien und Spardruck auf kirchliche Reformen auswirken und wie sie das Leitbild beeinflussen. Jetzt ist Birgit Klostermeier für ihre Studie mit dem Klaus-von-Bismarck-Preis der Stiftung Sozialer Protestantismus ausgezeichnet worden. Ich habe vor der Sendung mit Birgit Klostermeier gesprochen und sie gefragt, was denn die Kirche mit einem Konzern gemeinsam hat und ob sie ein Unternehmen ist?

Birgit Klostermeier: Nein. Das würde ich nicht sagen. Kirche ist kein Unternehmen. Aber was sie gemeinsam hat mit einem Konzern, ist, dass sie ganz einfach ihr Geld verwalten muss. Was sie unterscheidet von einem Konzern, ist, dass sie ihr Geld nicht auf eine Weise verwalten muss, dass sie dafür sorgt, dass es mehr wird, und dass man weiter Geld investiert, dass man also Kapital ansammelt. Sondern sie muss einfach ihre Arbeit bezahlen und sehen, dass das, was ihre Aufgabe ist, gut finanziert wird.

Westhuis: Sie haben sich in Ihrer Studie mit verschiedenen Texten auseinandergesetzt und – was haben Sie da herausgefunden? Gibt es ein unternehmerisches Denken über diese Haushaltung hinaus?

Klostermeier: Unternehmerisches Denken, so wie ich es jetzt in meiner Arbeit verstanden habe, ist ein Denken, das über das eigentliche Haushalten hinausgeht. Es geht eben tatsächlich um eine Ansammlung von Mehrwert im ökonomischen Sinne und vor allem geht es um eine Behauptung auf einem Markt. Und das ist, glaube ich, der große Unterschied zu früheren Zeiten, dass sich hier etwas verändert hat. Und was ich untersucht habe, ist inwieweit das ökonomische Denken – und ich meine das jetzt im Sinne eines Denken um "Wir werden besser, optimieren uns, wir werden effektiver". Inwieweit dieses Denken auch Bereiche umfasst, die bisher noch nicht von diesem haushälterischen, sage ich jetzt mal, im weitesten Sinne haushälterischen Denken umfangen waren. Also die Ökonomisierung des Sozialen, davon bin ich ausgegangen.

Ich habe zunächst mal angeguckt Phänomene in der Gesellschaft, wo sich die Ökonomisierung des Sozialen zeigt. Im Krankenhaus: Ein Krankenhaus muss plötzlich anfangen zu rechnen auf andere Weise als bisher noch, und das ganze System gerät unter Druck. Dass zum Beispiel nicht mehr genügend Pflegepersonal in den Zimmern ist und Patienten anfangen, sich gegenseitig zu helfen. Was ja an sich nicht schlecht ist. Aber ich glaube, das ist allen vor Augen, dass es da sehr viele Notstände gibt. Oder die Ökonomisierung der Schulen, des Bildungssystems. Und es kommt ein neuer Gedanke hinzu, die Konkurrenz, der Wettbewerb. Man muss gegeneinander, Schulen gegeneinander, Krankenhäuser gegeneinander – das alles, und das gilt auch für die Kirchen.

Westhuis: Sie haben sich die Kirchen genauer angeguckt. Wo gilt das für die Kirche und wo gerät sie unter Druck?

Klostermeier: Ich bin in meiner Analyse von Zeitschriften zunächst mal ausgegangen. Ich habe also jetzt nicht Leute befragt, wie man es auch machen könnte, sondern ich habe Texte analysiert, weil ich davon ausgegangen bin, Texte sind auch Ausdruck von Wirklichkeit, da spiegelt sich Wirklichkeit auf eine bestimmte Weise. Und ich habe eine Zeitschrift angeguckt, das "Deutsche Pfarrerblatt", zehn Jahrgänge habe ich mir angeguckt und verschiedene Handbücher, auch Reformpapiere der Kirchen oder auch Internetpräsentationen. Und dieses Denken spiegelt sich schon im ganz Kleinen: Dass zwei benachbarte Gemeinden anfangen, sich plötzlich konkurrent zu verhalten und sagen: Wir müssen uns doch ein bisschen besser darstellen als die anderen.

Ganz witzig fand ich, dass jede Gemeinde ein eigenes Logo entwickelt hat und entwickeln musste und was dann in der evangelischen Kirche dazu geführt hat, dass es zig verschiedene Logos gab und die PR-Berater, die dann eingeladen wurden, zehn Jahre später gesagt haben: So geht es auch nicht, ihr müsst doch vielleicht ein einheitliches haben. Das sind so merkwürdige und eigentlich auch ganz witzige Auswüchse, die das dann hat. Sich unterscheiden wollen und müssen, aber doch irgendwie als Kirche doch zusammengehören. Und es gibt auch ein Wissen und Bewusstsein davon, wir gehören zusammen. Also warum so in Konkurrenz gehen?

Westhuis: Wie wirkt sich denn so ein Denken, so ein unternehmerisches Denken, wirkt sich das nicht auch auf das Leitbild der Kirche aus? Verschiebt sich da nicht was?

Klostermeier: Also, ich habe verschiedene Leitbilder untersucht von einzelnen Gemeinden oder von Kirchenkreisen, die sich dann jeweils auf unterschiedliche Weise darstellen. Ihre eigenen Akzente, das ist das, was ich vorhin beschrieb, auch mit dem unterschiedlichen Logo, was dann herauskommt. Sie beschreibt sich in einer Vielfältigkeit. Das sind Effekte von Ökonomisierung. Was dann wiederum auch die Schwierigkeit erzeugt, nach dem Gemeinsamen zu suchen. Das haben die großen Reformprozesse der Landeskirchen versucht. Dann muss man immer gucken, wie weit ist die Frage, wie lassen sich Gemeinden darauf ein, wie lassen sich Kirchenkreise darauf ein? Das hat auch mit der protestantischen Verfasstheit der Kirchen zu tun. Die sind eben stark, wir würden sagen, basisdemokratisch. Es sind viele, die einfach mitdenken, sich verantwortlich fühlen. Und je mehr mitdenken und sich verantwortlich fühlen, umso vielfältiger wird das aussehen.

Westhuis: Haben Sie vielleicht ein Beispiel, was Ihnen besonders aufgefallen ist, wo dieses Denken schon richtig verankert ist und sich richtig geäußert hat?

Klostermeier: Also wo es sich verankert, ist, dass also zu einem Leitbild – zu den alten Leitbildprozessen, inzwischen macht man sie auch ein bisschen anders, gehört ja diese Form der Selbstdarstellung: Wir sind der und der und treten dafür ein, dass… Ja, ich fand es auch schon komisch, was da manchmal für Formulierungen herauskommen, die ja gar nicht gehen, kirchlich gesehen oder christlich gesehen. Also wir treten dafür ein, dass in unseren Gottesdiensten Gott erfahrbar ist. Das geht gar nicht. Weil, wenn man davon ausgeht, dass Gott unverfügbar ist, dann kann man das eigentlich gar nicht sagen.

Westhuis: Das ist ein schönes Versprechen. Bei uns erfahren Sie heute um 11 Gott.

Klostermeier: Ja. Und die meinen das ja ernst. Also ich will das überhaupt gar nicht lächerlich machen. Das ist – dahinter steht, glaube ich, ein großes Engagement und auch ein großer Wunsch und ein Einsatz. Wir wollen das machen, wir wollen alles dafür auch einsetzen. Aber da gibt es eben eine Grenze. Und das muss man auch mal sehen, dass wir uns da auch übernehmen, an solchen Punkten. Und Ökonomisierung führt dazu, sich zu übernehmen, sich unter Druck zu setzen, sich zu überfordern.

Westhuis: Ist es nicht gerade dann Aufgabe der Kirche, dem dann wirklich auch etwas entgegenzusetzen und zu sagen, es geht nicht um Leistung, es geht nicht darum, optimal zu sein, sondern, ja, im Sinne von Jesus zu sagen, alle so sein lassen, wie sie sind.

Klostermeier: Ja genau, das hat sie auch probiert. Also die Kirche weiß das, dass es so ist. Das steckt sozusagen in ihr drin. Da gibt es so ein kleines Widerstandspotential, was sich immerzu meldet an dieser Stelle. Was dann zum Beispiel auch dazu geführt hat, dass Pilgerwege neu entdeckt wurden auch als eine evangelische Form der Spiritualität. Das war ja neu, bisher galt das dann als katholisch. Oder auch Klöster wurden wiederentdeckt. Also, da könnte man sagen, das sind Orte, die nicht verfügbar sind oder nicht verfügbar sein sollen, die sind frei, es sind Freiräume. Und zugleich stehen sie immer unter dem Verdacht, auch wieder ökonomisiert zu werden, wenn man so werben will.

Westhuis: Jetzt steckt die evangelische Kirche schon eine ganze Weile in Umbrüchen, in einem großen Reformprozess. Und bei Reformen geht es ja auch um Veränderungen, um Zukunftsfähigkeit, fit werden für die Zukunft, Dinge optimieren, verbessern. Ist das nicht genau das, wo wir wieder richtig in diesem unternehmerischen Denken drin sind?

Klostermeier: Ja, das ist es. Und ich finde, da muss ich dann wiederum mich positionieren als Theologin, das finde ich nicht angemessen, weil wir Zukunft nie vorwegnehmen können. Es geht einfach nicht. Und da finde ich mehr Gelassenheit manchmal besser als zu sagen, wir konzipieren uns schon mal auf die nächsten 20, 30 Jahre hin. Das wird sowieso anders kommen, und da finde ich mehr Gelassenheit besser.

Westhuis: Also brauchen wir gar keine Reformprozesse?

Klostermeier: Tja. Also Reformprozesse, sie leiten – also das sind Reaktionen auf ein verändertes oder auf eine Veränderung, die in der Gesellschaft passiert. Und Kirche muss sich, wie jeder andere gesellschaftliche Akteur, sich anpassen, er muss Veränderungen mit vollziehen. Ob sie in dieser Weise und so groß sein müssen, das, würde ich behaupten, ist vielleicht nicht so notwendig. Wir müssen schon dranbleiben zu gucken. Aber das heißt für mich, mit den Menschen unterwegs zu sein. Viel mehr in den Diskurs zu gehen, mit anderen zusammen auf dem Weg zu sein. Und nicht gegeneinander. Also dieser Wettbewerb, diese Konkurrenz, sich auf dem Markt befinden, das finde ich nicht evangeliumsgemäß und ich wollte aufmerksam machen darauf, dass wir immer in dieser Gefahr sind, da genau wieder reinzugehen.

Westhuis: Sie haben jetzt sehr viel aufgedeckt, weniger bewertet. Aber was ist denn als Theologin, als Seelsorgerin, worauf muss die Kirche achten mit dem Blick in die Zukunft, mit dem Blick auf die Optimierung und die Fitness?

Klostermeier: Zunächst mal mehr Gelassenheit. Mehr Stolz für das, was schon lange da ist, was einfach da ist. Engagierte Menschen und da passiert viel. Und, was mir noch mal sehr wichtig ist, zu gucken, wer ist mit auf dem Weg. Also die Sehnsucht nach dem guten Leben, die wird gerade wieder laut, in der Gesellschaft auch, und es gibt ein Bewusstsein davon, dass wir stärker danach gucken müssen, wie wir auch leben, zusammenleben, nicht gegeneinander leben, sondern zusammenleben. Und da kann Kirche ein guter Partner mit auf dem Weg sein. Und ein Partner, der einlädt auch zum Gespräch oder der mit dabei ist im Gespräch. Das finde ich eine zentrale und wichtige Aufgabe der Kirche.

Westhuis: Ein Aufruf auch zu mehr Gelassenheit. Vielen Dank, Birgit Klostermeier, Superintendentin des Kirchenkreises Berlin-Schöneberg. Für ihre wissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema wurde sie gerade mit dem Klaus-von-Bismarck-Preis der Stiftung Sozialer Protestantismus ausgezeichnet.

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