Kirche in der früheren Stalinstadt

Von Claudia van Laak |
Christliche Kirchen hatten in der sozialistischen Modellstadt nichts zu suchen. Erst 1954 gab es seitens der SED die Genehmigung, eine Baracke für die evangelische und eine für die katholische Kirche zu errichten. Die Ausstellung "Kirche in der ersten sozialistischen Stadt Deutschlands" legt darüber Zeugnis ab.
Stalinstadt - die erste sozialistische Modellstadt - so wurde das heutige Eisenhüttenstadt von Walter Ulbricht genannt. Die 22.000 Menschen des Eisenhüttenkombinats verdienten mehr als der Rest der Republik, die Versorgung war besser, die Wohnungen komfortabler. Christliche Kirchen hatten in der sozialistischen Modellstadt nichts zu suchen. Ulbricht nannte sie bürgerlich-kapitalistische Verdummungseinrichtungen.

Erst 1954 gab es seitens der SED die Genehmigung, eine Baracke für die evangelische und eine für die katholische Kirche zu errichten. In diesem Jahr durfte auch Martin Niemöller einen Vortrag in Eisenhüttenstadt halten. Er sprach den dortigen Christen Mut zu.

Während die Wohnungen für die Stalinstädter immer komfortabler wurden, blieben die Baracken jahrzehntelange Heimstatt der Kirchen. Sozialistische Modellstadt hieß auch - hier wurden früh kirchliche Rituale kopiert und umfunktioniert. Bereits in den 60er Jahren nahmen alle jungen Leute eines Jahrgangs an der Jugendweihe teil. Ziel war es zunächst, neben der Konfirmation auch die Taufe zu ersetzen, und zwar durch die so genannte sozialistische Namensgebung.

In den 70er Jahren wurde das Klima für die christlichen Kirchen in Eisenhüttenstadt besser. Ein evangelisches Gemeindehaus durfte errichtet werden. Gleichzeitig definierten sich die neuen Pfarrer als Sozialisten, so auch Joachim Rinn. Heute übt der Theologe Selbstkritik.

Die Kirche stirbt nicht an der Feindschaft der Welt - hatte Martin Niemöller den Christen in Eisenhüttenstadt zugerufen - doch sie wurde von Jahr zu Jahr bedeutungsloser. Die SED hatte ihr Ziel erreicht. Waren in den 60er Jahren noch 90 Prozent der Bewohner des heutigen Eisenhüttenstadt Mitglied einer christlichen Kirche, waren es 1989 gerade noch 8 Prozent - sagt der Historiker Axel Drieschner.

Die Wende hat an der Zahl der Christen in Eisenhüttenstadt nichts geändert - auch heute bekennen sich weniger als 10 Prozent der Einwohner zum christlichen Glauben. Wolfgang Huber - Bischof der evangelischen Kirche in Berlin und Brandenburg konstatiert nüchtern: die Entkirchlichung und Entchristlichung der Gesellschaft ist der größte Erfolg der SED.

Bischof Huber glaubt nicht, dass sich dies kurzfristig ändern wird. Die Menschen sind massenhaft ausgetreten, werden aber nur einzeln wieder zu gewinnen sein, dies ist seine Überzeugung. Er hofft, dass die Ausstellung über das kirchliche Leben im früheren Stalinstadt eine Diskussion befördert.

In einem Punkt irrte übrigens Walter Ulbricht - er hatte 1953 feierlich verkündet, in der Stadt werde es nur zwei Türme geben, den des Rathauses und den des Kulturhauses. Heute gibt es den Turm der evangelischen und den der katholischen Kirche - weder Rathaus noch Kulturhaus wurden je gebaut.

Service:

Die Ausstellung "Kirche in der ersten sozialistischen Stadt Deutschlands" ist noch bis zum 30. Oktober 2005 im Städtischen Museum Eisenhüttenstadt zu sehen.