Kirche contra Kriegsverklärung

Von Kirsten Westhuis |
Deutschnationale Heldenverehrung, Militarismus und Revanchismus: Tausende Kriegerdenkmäler erinnern hierzulande an tote Soldaten – aus heutiger Sicht häufig auf problematische Weise. Die Kirchen suchen nun nach einem zeitgemäßen Umgang mit den Gedenkstätten.
„Dieses Denkmal ist eine Säule, wo an drei Seiten Kriegerfiguren abgebildet sind, mächtige Männer mit gesenktem Schwert, mit einem Schild. Die Männer sind überlebensgroß, ich schätze fast an die drei Meter, also es sind typische Heroen, Heldengestalten. Die sind eingebettet in nach oben strebende Steine, solche, die man verstehen könnte als Lichtstrahlen, die in den Himmel ragen.“

Ulrich Hentschel tritt vorsichtig über die mit Hundekot übersäte Grünfläche neben der Kirche, auf der das Denkmal aus dem Oktober 1925 steht. Der 62-jährige Theologe war lange Jahre Pastor der evangelischen Johanniskirche im Hamburger Bezirk Altona. Jetzt ist er Studienleiter für Erinnerungskultur an der Evangelischen Akademie der Nordkirche. In den 20er-Jahren war die Fläche neben der Kirche ein öffentlicher Raum und so wurde das Denkmal direkt neben dem Gotteshaus errichtet. Die Inschriften auf dem Podest zu den Füßen der Kriegerfiguren sind mit Farbe besprüht, einzelne Keramikbuchstaben sind herausgebrochen:
„'Zur Erinnerung, kommenden Geschlechtern zur Ermahnung und zur Nacheiferung.‘ Also alles ist drin enthalten, nicht nur die Erinnerung und eben nicht die Mahnung zum Frieden, die man ja unter Umständen hätte erwarten können, sondern es wird die Mahnung verstanden: ‚wir wollen wieder in den Krieg ziehen‘, mit der Aufforderung zur Nacheiferung.“

Die räumliche Nähe zur Kirche verleihe dem Tod der Soldaten eine höhere Weihe, sagt Hentschel. Sie diene als Rechtfertigung und Sakralisierung des Soldatentodes. Dieses Denkmal aus den 20er-Jahren mit seiner monumentalen und heroisierenden Ästhetik ist auch heute noch wichtig, sagt der Theologe. Denn es erinnere nicht nur an den Ersten Weltkrieg, sondern auch an die Zwischenzeit, in der der Zweite Weltkrieg vorbereitet wurde.

„Alle diese Denkmäler aus der damaligen Zeit und auch dieses hier hat jetzt keine direkte christliche Interpretation, aber die Heroisierung vor einer für die damaligen Zeit modernen Ästhetik, ‚kommenden Geschlechtern zur Nacheiferung‘, da wird ein Heldenkult betrieben, das heißt also die Männer, die zurückgekehrt sind, aber auch die, die getötet worden sind, werden zu Helden stilisiert, und das soll dann der Sinn dieses Todes gewesen sein, so ist es ja auch damals in der politischen Debatte und auch in der Literatur in der Propaganda üblich gewesen. Die Kirchen haben das in Kriegspredigten weitgehend, fast in allen Kirchen, fast alle Pastoren waren deutschnational gesinnt, haben diese Heldenverklärung mitgemacht.“

Zum Teil soweit, dass Denkmäler entstanden sind, die den Tod der Soldaten mit dem Tod Jesu am Kreuz gleichsetzen.

„Der Soldat als der, der sein Leben lässt für die Nächsten, so wie Jesus sein Leben gelassen hat für die Nächsten. Das ist meiner Meinung nach klar eine Häresie, man kann es auch auf Deutsch sagen: Sünde. Das ist völlig unvereinbar mit der biblischen Botschaft und dem Tod Jesu, aber es ist von 80 Prozent der Kirche so betrieben worden.“

Am anderen Ende der Hansestadt. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof, dem größten städtischen Friedhof, wird Laub gesaugt. Auch auf den Kriegsgräberfeldern und rund um die Kriegerdenkmäler. Zum Beispiel am sogenannten Rundling, den der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge 1952 hat errichten lassen.

„Das ist ja ein sehr wuchtiger Rundbau mit Säulen, es hat eine monumentale Anmutung und ist natürlich nur vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund zu verstehen.“

Und der bedarf heute einer Kommentierung, betont Ulrike Dorfmüller vom Volksbund. Die monumentale Ästhetik und vor allem die Inschriften im Inneren des tempelartigen Rundbaus seien aus heutiger Sicht problematisch.

„Da steht eben: ‚Sonne und Sterne seht ihr nicht mehr, ihr Geopferten, aber ihr lebt in den Herzen derer, die glauben.‘ Man sieht das daran ja auch, dass sich die Mentalitäten auch so schnell nicht geändert haben. Das ist sicherlich ein Punkt, dass daran auch Kontinuitäten sichtbar werden und der Wunsch, dem Sterben der Angehörigen einen Sinn zu verleihen, entweder über christliche Metaphorik, oder über in der Tat eben was Erhebendes, was Heldenhaftes. Ich glaube, das ist Anfang der 50er-Jahre einem breiten Bedürfnis in der Bevölkerung entgegengekommen, aber heute geht das natürlich nicht mehr. Das ist klar, und das ist auch ein Versäumnis, das wir eingestehen müssen, dass da noch keine Infotafel steht, keine erklärende.“
Denkmäler erklären nicht, sagt Dorfmüller. Wichtiger Teil der Jugendarbeit des Volksbundes sei es, in Zusammenarbeit mit Schulklassen Infotafeln zu erarbeiten. Entstehungsgeschichte und historischer Kontext des Mahnmals werden dabei erarbeitet und kritisch kommentiert.

Die evangelische Gemeinde der Johanniskirche in Hamburg-Altona hat das Denkmal neben ihrer Kirche bereits Mitte der 90er-Jahre kommentiert und den Umgang mit dem heroischen Denkmal aufgearbeitet, berichtet der damalige Gemeindepfarrer Ulrich Hentschel:

„Aber wir wollten es eben auch nicht beseitigen oder zerstört sehen, sondern als zeitgeschichtliches Dokument erhalten, aber aktuell kommentieren. Und das geht nicht, das haben wir damals sehr schnell entschieden, durch eine kleine Tafel, die sagt, wir sehen das heute anders, sondern es ging auch um die ästhetische Wirkung dieses beeindruckenden Denkmals, die zu destruieren und zu konfrontieren mit dem, was Krieg wirklich bedeutet, und wir haben einen kleinen Wettbewerb gemacht mit Studenten und Studentinnen der Kunst und haben uns für einen der Entwürfe entschieden, für eine Umgestaltung.“

Das Denkmal in seiner ursprünglichen Form blieb unverändert, aber es wurde mit drei transparenten Tafeln umstellt. Auf diesen Tafeln sind dunkle Figuren gezeichnet, gekrümmt, leidend. Sie stellen die Opfer des Krieges dar und stehen den Heldenfiguren an der Säule genau gegenüber:


„Sie konfrontieren also die Helden mit ihren Opfern. Man könnte es auch so sehen, dass manche dieser Tafeln auch die Soldaten selbst darstellen, denn das waren eben in den Schützengräben keine Helden mehr, es waren Männer voller Angst, manche voller Aggressivität, viele haben ihre Menschlichkeit ja darin verloren. Auch dieses kann in diesen drei Tafeln, die transparent sind, gesehen werden.“

Probleme bei der Umsetzung seien die Finanzierung gewesen, sagt Hentschel, aber auch der Widerstand von Gemeindemitgliedern, die Angehörige im Krieg verloren hatten und für die das Denkmal auch eine private Trauerstätte gewesen sei. Auch am monumentalen Rundling des Volksbundes brennen kleine rote Grablichter, ein privater Kranz für einen Großvater verwittert zwischen dem Herbstlaub. Rechts und links davon verlaufen die weiten Grabfelder mit Kreuzen oder Kissensteinen. Für den Volksbund ist diese Doppelbedeutung von öffentlichem Gedenken und persönlicher Trauer, womöglich noch auf einem Friedhof, ein wichtiger Ansatzpunkt in der Jugendarbeit, sagt Ulrike Dorfmüller

„Also das schafft noch mal eine ganz andere Form von Betroffenheit als Mahnmale oder Denkmale, die irgendwo in der Stadt stehen. Und das versuchen wir uns zunutze zu machen und an dieser Betroffenheit anzusetzen und da eine inhaltliche Reflexion und eine Auseinandersetzung mit der Geschichte anzuknüpfen und gleichzeitig auch immer zu fragen: Was hat das alles mit mir zu tun, was hat das mit der Gegenwart zu tun? Welche Konflikte haben wir heute?“

Die Fragen nach aktuellen Bezügen stellen sich natürlich nicht nur Jugendliche. Im Zusammenhang mit der Ehrung getöteter Soldaten im Afghanistaneinsatz der Bundeswehr sind Kriegerdenkmäler wieder aktuell, meint Pastor Ulrich Hentschel.

„Weil auch schon wieder gesucht wird nach Ausdrucksweisen nach Ehrung dieser Soldaten. Man versucht, auch dem Tod dieser Soldaten in Afghanistan einen Sinn zu geben, man kann da schon fast von einer Re-Sakralisierung des Militärischen sprechen in den Trauerfeiern für die getöteten Soldaten, wo ja auch Überhöhungen stattfinden, Interpretation und Sinndeutungen, die man diskutieren kann, aber die für mich nicht in diese Trauer gehören. Gerade als Pastor sage ich, dass diese Trauer deutlich unterschieden werden muss von der politischen Sinngebung des Todes dieses Menschen.“

Wie kann in diesem Spannungsfeld der Volkstrauertag begangen werden? Mit den Trompetenklängen zum „Lied vom guten Kameraden“, mit Kränzen und einer Predigt, die auch die Juden, Sinti, Roma und andere Opfer ins Gedenken hineinnimmt? Theologie Hentschel bewertet es als sehr problematisch, wenn unter dem Gedanken des Opfers Soldaten neben die ermordeten Juden gestellt werden.

„Wir sind am Volkstrauertag eher konfrontiert mit der Frage, warum hat die deutsche Bevölkerung, warum haben die deutschen Kirchen bei beiden Kriegen, das gilt für den Zweiten Weltkrieg ja genauso, so massiv gejubelt, diese Kriegseröffnung unterstützt, warum ist das geschehen, und darin dann zu reflektieren, dass diese gefallenen Soldaten eben auch an Verbrechen beteiligt gewesen sind. Diese Reflexion wird meistens unterlassen und die gehört für mich zum Volkstrauertag dazu, wenn es glaubwürdig begangen werden soll.“

Andere Formen des Erinnerns als am Volkstrauertag entwickelt der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, sagt Ulrike Dorfmüller. Dazu gehören zum Beispiel Infoveranstaltungen, Lesungen, Rundgänge, Videoproduktionen, inhaltliche Angebote, Jugendfeste und Kunstprojekte.

„Also wir versuchen da ganz unterschiedliche, lebendige Formen des Erinnerns zu erfinden und auszuprobieren, und uns nicht mit diesem einmaligen Kranzniederlegen zu begnügen oder auch dem Kranzabwurf, wie es intern despektierlich genannt wird.“

Steine, Mauern, Monumente, Säulen, Figuren, Kreuze, Tafeln, Reliefs: Mehr als 100.000 Kriegerdenkmäler sind schätzungsweise über die ganze Bundesrepublik verteilt. Neben ihrem ursprünglichen Ausdruck, ganz gleich, ob nun mahnend oder verehrend, beinhalten sie allesamt auch ein Angebot an die Betrachter: Die Möglichkeit zu einer aufgeklärten Gedenkkultur im 21. Jahrhundert. Aber außerhalb des Volkstrauertages, im Alltag, ist es nun mal einfach, an ihnen vorbeizugehen.

„Es gibt ja den Satz, der das vielleicht auch erklären könnte: nichts ist so unsichtbar wie Denkmäler, an die man sich gewöhnt hat.“