"Kinship Stories" von Alex Stolze

Die Welt, ein bisschen besser machen

08:15 Minuten
Ein Mann steht auf dunklen Bühne und singt in ein Mikrofon.
„Mir geht es ganz doll auch um die gesellschaftliche Verantwortung, um den Dienst an der Erde", sagt der Musiker Alex Stolz. © imago mages/POP-EYE/Gabsch
Von Luigi Lauer · 05.03.2021
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Die Musik von Alex Stolze ist eine eigenwillige Mischung aus Klassik, Liedermacher und Elektro – und seinem Faible für jüdisch Philosophisches. So auch auf seinem zweiten Solo-Album „Kinship Stories“, das verbinden und nicht trennen möchte.
Pizzicato – so nennen es Menschen vom Fach, wenn die Saiten einer Violine nicht mit dem Bogen bearbeitet, sondern mit den Fingern gezupft werden. Alex Stolze hat Geigenspielen gelernt; er liebt diese Technik und er verwendet sie nicht nur als musikalisches Stilmittel, sondern auch zum Komponieren.
"Ich gehe dann sozusagen noch mal dazu und noch mal dazu und noch mal dazu, und dann bekomme ich diese klassischen Strukturen."
Damit sind sowohl klassische Liedstrukturen gemeint als auch Strukturen aus der Klassik, wie etwa einer Fuge. Denn genau das macht Alex Stolze: Er verknüpft klassische Musik mit der Zunft des Liedermachens – und elektronischen Beats. Und das macht so niemand außer ihm.

Echte Kultur vom Lande

"Mein großes Problem in dieser Welt ist eigentlich, dass ich immer Sachen machen wollte, die nicht da sind. Weil ich immer dachte, ich möchte etwas kulturell hinzufügen, das ist auch irgendwie mein Anspruch. Von daher habe ich auch eben versucht, Dinge zusammenzuhalten, die so vielleicht gar nicht zusammenzuhalten sind."
Doch, sind sie. Man muss es halt können. Und "Kinship Stories", das zweite Soloalbum von Alex Stolze, legt hörenswert Zeugnis über einen Musiker ab, der es eben kann.


U-Musik oder E-Musik, handgemacht oder computergeneriert, Internet oder Live-Bühne, analog oder digital – Alex Stolze möchte solchen Ausschließlichkeiten entgegenwirken. Letztlich heißt es ja auch nicht Yin oder Yang. "Kinship Stories" will verbinden, nicht trennen.
"Oder einfach auch, die Welt als ein Ganzes zu verstehen. Wir leben in einem elektronischen Zeitalter, wir leben in einer digitalen Welt, deshalb ein digitales, elektronisches Spektrum der Musik; indem ich aber diese Vermittlung von Kultur so wichtig finde, gleichzeitig den Erhalt der Violine auch im 21. Jahrhundert versuche zu leben."

Tikkun Olam als Weltbild

Die Welt als ein Ganzes – das versucht Alex Stolze nicht nur in der Musik zu leben. Eher ist es eine Lebenshaltung: Respekt vor anderen Kreaturen, der Natur, unserer Erde – und den Menschen, die darauf herumlaufen.
"Mir geht es ganz doll auch um die gesellschaftliche Verantwortung, um den Dienst an der Erde eigentlich, also Tikkun Olam, so nennt man das in der jüdischen Welt."
Um diese Einstellung leben zu können, ist er fortgegangen aus seiner Heimatstadt Berlin. Im Nordosten Brandenburgs lebt Alex Stolze mit seiner Frau, vier Kindern, zwei Künstlerkollektiven und einigen Freunden in einem alten Gebäudekomplex. Diese Lebensweise ist eingeflossen in die Texte seiner neuen Platte.
"Aber dann mit der Thematik, dass man sozusagen das Album ‚Kinship Stories‘ nennt und damit die Verwandtschaften, die man wählt, die Menschen, die man wählt, ins Zentrum gerückt habe von dem Album, hat das dann super gepasst."

Als Waise zurückgelassen worden

Alex Stolze hat für alles gute Beweggründe. Der heute 44-Jährige war mitten in der Pubertät, als ihm das Vertraute und Liebgewonnene abhandenkam. Der Vater starb, die DDR war am Ende – Familie und Kultur, beides einfach weg. Stolze warf alles hin und trampte durch die Welt – wenn schon alleine, dann richtig.
"Absolut. Und auch schon mein Vater war ein ´Orphan`, also ein Waise. Also das zieht sich natürlich durch, auch in meinem Gefühl zur Welt, also auch fremd zu sein. Diese Fremdheit ist nicht unbedingt weniger geworden, je mehr ich versucht habe, in diesem neuen System irgendwie klar zu kommen."
Gemeint ist vor allem das kapitalistische System. Und wo Alex Stolze einmal dabei war, kam die Weltanschauung insgesamt auf den Prüfstand. Seine Flucht vor allem Möglichen wurde zu einer Ankunft bei sich selbst. Israel war eine seiner Stationen auf dem Weg. Daher der Bezug auf Tikkun Olam, ein bis zum rabbinischen Judentum zurückverfolgbares Konzept einer humanistischen Weltharmonie, die es wiederzuerlangen gilt. Ganz so weit reichen Stolzes jüdische Wurzeln allerdings nicht.

"Jew by choice"

"Es gibt in meiner väterlichen Linie ein paar Menschen, aber es ist eigentlich, ich sage immer: ‚Jew by choice‘, so nennt sich das. Es ist eigentlich eine kulturelle Zugehörigkeit, die sich so rauskristallisiert hat über einen langen Zeitraum."
Und sich auf die eine oder, Pardon, und andere Weise auf dem Album "Kinship Stories" findet.
"‘The way we care‘, da geht es eigentlich stark um Israel und die Problematik, dass so eine große Kultur es so schwierig hat, sozusagen Fuß zu fassen, ohne dabei kriegerisch zu sein. Und der Wunsch natürlich nach Frieden und auch nach politischer Veränderung. Also als ich in Tel Aviv gelebt habe, ist Rabin um die Ecke erschossen worden, und seit 25 Jahren haben wir diesen Netanjahu-Zustand, der untragbar ist. Und trotzdem liebe ich dieses Land und ich finde es fürchterlich, wie es so in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird."
Es gibt so einiges wiederzuerlangen in unserer Welt. Die Reinigung, wie sie im Tikkun Olam angestrebt wird, ist dringender denn je. Dafür muss man, wie gehört, in diese spezielle Philosophie nicht hineingeboren sein. Tikkun Olam by choice reicht.
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