Kinokolumne Top Five

Die besten Filme über Isolation

05:31 Minuten
Sam Rockwell sitzt allein im Korridor einer Mondstation
Wer lange genug alleine ist, sieht irgendwann Menschen, wo keine sind - oder doch? Sam Rockwell in "Moon". © imago images / Everett Collection
Von Hartwig Tegeler · 13.02.2021
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Soziale Isolation rettet in der Pandemie bekanntlich Leben. Zugleich kann sie schwere Folgen für die Psyche haben. Doch vielleicht fühlt man sich weniger allein, wenn man sieht, wie es anderen mit dem Problem geht - zumindest im Film.

Platz 5: "Styx" von Wolfgang Fischer (2018)

Draußen, außerhalb der Monade des Segelschiffs, das weite, weite Meer. Rike, Notärztin, auf ihrer Yacht im Südatlantik; selbstverordnete Isolation, aber keine Einsamkeit, sondern der Versuch, wieder zu sich kommen. Draußen, auf dem weiten Meer, auch der überladene, kenternde Kutter mit den Flüchtlingen, die in der Welt, in die sie wollen, nicht erwünscht sind. Das Seenotrettungsprotokoll wird außer Kraft gesetzt. Rike, die sich diesem barbarischen Akt widersetzt, wird am Ende deswegen angeklagt. Die Weite des Meeres, Rikes Freiheit, und als brutaler Kontrapunkt – Realitätsprinzip – die Drohung des Isolationsraums Zelle.

Platz 4: "Moon – Die dunkle Seite des Mondes" von Duncan Jones (2009)

"Sag’s ganz laut: Daddy ist ein Astronaut!", kräht das Töchterchen unten auf der Erde ins Mikrofon. Denn Sam ist drei Jahre lang auf der Mondbasis, um Helium abzubauen – allein. Ein Mann allein auf einem Trabanten, kein Kontakt mit anderen Menschen. Einsamkeit. Abgeschottet sein. Dass Sam verzweifelt ist, klar, dass er an Halluzinationen zu leiden beginnt, vielleicht ebenso: "Ich habe da jemanden gesehen." Doch der, den Sam gesehen zu haben glaubt, gibt es wirklich. Es ist ein Klon von Sam, wie auch Sam ein Klon zum Verbrauchen ist. Arbeitssklave eben. Aber auch so ein Wesen braucht den Kontakt mit anderen, um nicht zugrunde zu gehen. Klon ist eben nicht gleich Maschine – das ist der Kern jeder Science-Fiction-Fantasie –, sondern humanes Wesen.

Platz 3: "40 qm Deutschland" von Tevfik Başer (1986)

Sie kann nicht raus, ihr Mann lässt sie nicht raus. Weil der türkische Arbeitsmigrant Dursun das Hamburg vor der Tür seiner Wohnung als feindlich und amoralisch empfindet, sperrt er seine aus der Türkei nachgereiste Ehefrau Tuma auf den vierzig Quadratmetern ein. Tuma am Fenster, sie blickt hinaus, gegenüber ein kleines Mädchen am Fenster. Tuma lacht, nimmt eine Puppe, will mit dem Kind kommunizieren. Dessen Mutter zieht die Vorhänge zu. Ein brutales Bild von Isolation; genauso das, wenn Tuma am Ende, als ihr Mann gestorben ist, langsam nach draußen wankt. Wankt!

Platz 2: "Nicht auflegen!" von Joel Schumacher (2002)

Noch kleiner ist dieser Isolationsraum: eine Telefonzelle in Manhattan an der 53. Straße. Ein Unbekannter zielt mit dem Gewehr auf Stu und verbannt den skrupellosen Yuppie in die Telefonzelle, von der aus er regelmäßig eine junge Frau anruft, weil die Ehefrau seine Handy-Rechnung kontrolliert. "Lass dir ja nicht einfallen, die Telefonzelle zu verlassen", droht der Unbekannte. Mit dem Scharfschützengewehr verbreitet er Angst und Schrecken, um Stu (Colin Farrell) öffentlich seine Verfehlungen und Versäumnisse beichten zu lassen. Ein abstruser moralischer Terrorakt. Der Reiz von "Nicht auflegen!" besteht in dem brutalen Aufeinanderprallen des Kammerspiels – der isolierte Mann in der Telefonzelle – mit der gierigen Öffentlichkeit, die live dem tödlichen Drama dieses Menschen beiwohnt. Philosophisches Spekulieren ginge nach diesem Thriller so: Sind wir nicht alle, als Einzelne in der Menge, isolierte Individuen?

Platz 1: "Der Würgeengel" von Luis Buñuel (1962)

Eine noble Feiergesellschaft bleibt wider Erwarten über Nacht, einfach so. Aber auch am nächsten Morgen hält der Zustand an. Sie kommen nicht raus. Keiner versteht warum. Und während die Nahrungsmittel knapp werden, beginnen die Auflösungserscheinungen. "Unter völliger Missachtung der elementarsten Grundsätze der Etikette", wie einer der Festgesetzten meint. Mit fortschreitendem Moralverlust fühlen sich die Figuren im Buñuelschen "Würgeengel" immer ohnmächtiger; alle zivilisatorischen Hemmungen lösen sich auf. Böse wirkt diese Versuchsanordnung des Altmeisters des Surrealen vor allem, weil es keine Tür, keine Wand, kein Schloss gibt, das Privilegierte einsperrt. Der isolierte Raum wirkt wie ein Dampfkochtopf, der, nein, nicht das Gute, sondern das Hemmungslose, Rücksichtslose hervortreten lässt. Der Mensch streift seine Menschlichkeit ab.
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