Kinofilm "Schlacht um Sewastopol"

Triumph der Kultur über die Politik

Die Schwarzmeerstadt Sewastopol
Die Schwarzmeerstadt Sewastopol © Thomas Franke
Von Gesine Dornblüth · 11.04.2015
Der Film "Schlacht um Sewastopol" ist in Russland umstritten. Das Bemerkenswerte an ihm ist seine Ausgewogenheit in der historischen Analyse und die Art, wie er entstanden ist: Als russisch-ukrainische Koproduktion.
"Gentlemen... Ich bin 25 Jahre alt. Ich habe 309 faschistische Angreifer getötet. Gentlemen, scheint Ihnen nicht, dass Sie sich zu lange hinter meinem Rücken verstecken?"
Die Schlussszene von "Schlacht um Sewastopol". Die sowjetische Scharfschützin Ljudmila Pawlitschenko, gespielt von der Russin Julia Peresild, steht in einem Konferenzsaal in Washington und wirbt für ein stärkeres Engagement der USA im Zweiten Weltkrieg. In den vorangegangenen knappen zwei Stunden hat sie eine Ausbildung zur Sniperin gemacht, wurde an der Front verschüttet, hat mehrere Geliebte verloren, wurde schließlich schwer verwundet. Und sie hat Freundschaft mit der First Lady der USA, Eleanor Roosevelt, geschlossen. Es sind historische Vorlagen, hollywoodmäßig ausgeschmückt. Allein in Moskau läuft der Film derzeit in mehr als 150 Kinos. Andrej hat ihn mit seiner Freundin angesehen und ist begeistert:
"Es sollten mehr solche Filme in Russland gezeigt werden. Ich habe selbst in Sewastopol gelebt und war mehrfach an den Orten der Schlachten. Wir sollten mehr Helden in Russland haben, dann wäre unser Leben besser."
Welle des Patriotismus in Russland
Mit Sewastopol hat der Film allerdings erst in der zweiten Hälfte zu tun. Die Handlung spielt zunächst in Kiew und Odessa, und im Mittelpunkt steht nicht die Schlacht um die Stadt auf der Krim, sondern die Heldin, die trotz des Krieges nach Liebe sucht. Kritiker werfen den Machern des Films denn auch vor, den Titel, "Schlacht um Sewastopol", nur gewählt zu haben, um die Kinos zu füllen.
Russland schwimmt derzeit auf einer Welle des Patriotismus. Die Stadt Sewastopol ist fester Bestandteil der russischen Erinnerungskultur, die derzeit einen Bogen schlägt vom Kampf gegen den Faschismus im Zweiten Weltkrieg zum Kampf gegen eine angebliche aktuelle faschistische Gefahr in der Ukraine. Patriotische Kriegsfilme werden gezielt von der Regierung gefördert, im Kino wie im Fernsehen. Der Zuschauer Andrej:
"Natürlich schauen wir uns solche Filme an, wir mögen sie, die Geschichte des Landes. Bei uns wird ja jetzt an der patriotischen Gesinnung gearbeitet, deshalb ist das alles sehr interessant."
Pikant dabei: Die "Schlacht um Sewastopol" ist eine ukrainisch-russische Auftragsarbeit, gedreht zum 70. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland, finanziert mit Geldern beider Staaten. Die Kooperation wurde noch mit der ehemaligen Regierung der Ukraine unter Ex-Präsident Janukowitsch vereinbart, lange vor dem Maidan und den Ereignissen auf der Krim. Der Regisseur, Sergej Mokritskij, ist Ukrainer. Die Hauptrollen spielen Russen.
Weder proamerikanisch noch prosowjetisch
Die ukrainische Beteiligung und die Tatsache, dass die USA in dem Film in Gestalt der Präsidentengattin Roosevelt eine positive Rolle spielen, sorgen in den russischen Internetforen für heftige Reaktionen. Die einen verdammen den Film als "antirussische Propaganda" und "typisch amerikanischen Mist", andere preisen ihn als ergreifend – und rechtfertigen sich gleichzeitig dafür, so als sei es unschicklich, etwas Ukrainisches gut zu finden. Larisa Maljukowa wundert das nicht. Sie ist Filmkritikerin der "Nowaja Gazeta".
"Die Leute können sich nicht von ihren vorgefertigten Überzeugungen lösen. Das ist das größte Übel unserer Länder zur Zeit. Und das betrifft auch liberale Kreise. Viele meiner Bekannten zum Beispiel werden den Film nicht sehen, allein wegen des Titels. Sie gehen in keinen Film, der 'Schlacht um Sewastopol' heißt. Da spielt der Inhalt gar keine Rolle mehr."
Dabei ist der Film betont ausgewogen, weder proamerikanisch noch prosowjetisch, und er kommt – verglichen mit anderen aktuellen russischen Kriegsfilmen – mit wenig Pathos aus. Der Rezensent der russischen Zeitung Kommersant schreibt: "Kein patriotischer Kriegsfilm, sondern ein patriotischer Antikriegsfilm". Filmkritikerin Maljukowa:
"Der Regisseur hat das sehr geschickt gemacht. Er macht keine großen Erklärungen, und trotzdem ist sein Film ein Antikriegsfilm, voller Achtung für diejenigen, die im Kampf gegen den Faschismus gefallen sind. Der Film mobilisiert nicht, sondern er ist pazifistisch."

Dass die Koproduktion angesichts des Krieges in der Ostukraine überhaupt fertig gestellt wurde, ist an sich schon bemerkenswert. Ständig gab es Debatten innerhalb der Crew über Politik. Wegen der Annexion der Krim mussten Teile der Dreharbeiten von Sewastopol auf das ukrainische Festland verlegt werden. Dass der Streifen nun in Russland und der Ukraine gezeigt wird, ist ein Triumph der Kultur über die Politik. In der Ukraine läuft er allerdings mit einem anderen Titel, der den Inhalt besser fasst: "Die Ungebrochene". "Kampf um Sewastopol" wäre so kurz nach dem Verlust der Krim in der Ukraine nicht denkbar.
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