Kino

Fusselfrei und nur mit Key

Von Hartwig Tegeler  · 01.02.2014
Die digitale Revolution hat die Kinos erreicht. Inzwischen haben selbst kleine Programmkinos digitale Projektoren angeschafft. Hartwig Tegeler hat herausgefunden, ob sie Segen oder Fluch über die Filmwelt bringen.
Dieses Geräusch, es ist ganz und gar museal, in dieser, wie in dies er Variante.
Der Zelluloid-Streifen, der durch den Projektor läuft, Sinnbild für 100 Jahre Filmgeschichte: Vergangenheit.
"Na gut, ich fang jetzt mal an."
Anfangen heisst, auf den Knopf im kleinen Kasten zu drücken, der in der Wand im Vorführsaal eingelassen ist.
"Und dann braucht man eigentlich nur Start drücken, weil ich den Film ja schon rein geladen habe."
Tobias Mathieu drückt. Aber ... nichts passiert.
"Oh, habe ich doch nicht?!"
In der Stille des Großen Kinosaals, wo Tobias Mathieu den Film von Hand starten wollte, bleibt die Leinwand dunkel. Der Vorführer hastet zurück in den Serverraum. Nun wird es laut! Ein Blick auf einen Monitor, die Diagnose steht fest.
"Okay, hier hat einer Mist gebaut, sag ich mal. Ich lade jetzt einfach eine andere Playlist rein."
Einige Mausklicks später startet der Film endlich.
"Jetzt sehen wir auch, dass der Vorhang aufgeht, dass der Vorhang aufgeht, die Xenon-Lampe an und so."
Digitale Kinomagie
Der alte Vorführ-, jetzt Serverraum, ist seit der Digitalisierung des Abatons quasi Leitzentrale. Allerdings ohne Kinomagie. Dafür sorgt allein das laute Geräusch der Lüfter des Digitalprojektors, der Computer und zahlreichen Festplatten. Hier sind alle Filme gespeichert, die das Kino spielt, und zwar in Original-, untertitelter oder deutscher Synchronfassung. Gespeichert und jederzeit spielbar. Auf dem Arbeitstisch vier Bildschirme, […]
"Ist ja auch so ein Computerjob geworden."
[…] zu sehen die Playlists mit dem Tagesprogramm - Kinosaal eins, zwei oder drei, Startzeit, Name, Länge von Film und Werbeblöcken und und. Die Daten eines Kinotages. Tobias Mathieu klickt sich durch die Fenster auf den Bildschirmen, kontrolliert den Ablauf der 14 Vorführungen, die es heute geben wird. Alles okay, bis auf ...
"Der nächste Film, der fehlt, ist für morgen. Der müsste heute noch kommen."
Im Sommer 2012, erinnert sich Abaton-Chef Matthias Elwardt, ergab sich das quasi "ökonomische Datum" für die Digitalisierung, weil nämlich der Filmverleih Warner Brothers faktisch den Schalter umlegte.
"Weil sich rausstellte, dass Christopher Nolan einen neuen BATMAN-Film machte, DARK KNIGHT RISES. Das war der erste Film, wo die Warner sagte, es gibt noch 35mm-Kopien, aber keine 35mm-OmU-Fassung."
Im Sommerloch auf diesen Kassenmagneten in der vom Abaton-Publikum erwarteten Originalfassung mit Untertiteln zu verzichten, kam nicht in Frage. Die Digitalisierung - Kosten 300.000 Euro - begann. Mit neuen Projektoren, neuen Verkabelungen, Klima- und Tonanlagen in allen drei Sälen mit seinen gut 500 Sitzplätzen. Zwei Monate später war der Umbau abgeschlossen und DARK KNIGHT RISES digital in OmU zu sehen.
"Und wir haben das geschafft, dass wir - glaube ich - fünf Tage vor Start komplett digitalisiert waren und dann den Film auch in OmU zeigen konnten."
Der Kurier ist gekommen mit einem kleinen Paket, darin die 500 GB-Festplatte. Tobias Mathieu, Filmvorführer - oder besser: technical operator? - kann jetzt den Film, der ihm für das morgige Programm noch fehlte, auf den Server laden. Film - Datenpakete auf Datenträgern.
"Vorher habe ich ja den Film gesehen. 35mm - da war er ja sichtbar, war auch schwer. Musste man auch hin und her tragen. Vor allen zwischen den Sälen hin und her tragen."
"Reise nach Indien"
Zelluloid-Salat
Es ist kurz nach 13 Uhr. Während Tobias Mathieu die Server-Playlist aktualisiert, wartet Filmpromotor Dieter Pille, bis die Filmkritiker aus der gerade laufenden Pressevorführung kommen. Er erinnert sich noch lebhaft an alte 35mm-Zeiten inklusive der riesigen Filmspulen, die man vom Spulen-Teller nehmen und in die Ecke stellen konnte, durfte, wenn man das gute Stück, ja, wenn ...
"... wenn man´s nicht fallenlässt."
Wie geschehen 1984 mit David Leans knapp dreistündigem Film DIE REISE NACH INDIEN. Damals fiel sie herunter, die Riesen-Spule aus Zelluloid ...
"... und lag verwirrt auf dem Boden. Und es war eben kein Anfang und kein Ende mehr zu sehen. Es war einfach nur noch eine Masse Film. Und ich musste jemand, der sich auskannte, organisieren. Und der hat dann circa fünf Stunden gebraucht, um diesen Dreistundenfilm wieder in eine vorführbare Form zu bringen."
Solch Zelluloid-Salat ist Vergangenheit. Allerdings kann die "Vorführbarkeit" eines Films auch in digitalen Zeiten haken, wenn der Verleih beispielsweise den falschen "Key" per Mail geschickt hat, das Passwort also, ohne den das Kino den Film nicht starten kann. - Tobias Mathieu steht jetzt im Vorführraum des Großen Kinos neben einem Relikt, dem alten 35mm-Projektor mit seinen Tellern und den Umlenkrollen. Allzeit bereit, zumindest theoretisch. Aber mit Nostalgie haben es weder er noch der Abaton-Leiter.
"Bin ganz froh, wenn der ganz weg ist. Ich finde auch schon die Qualität der Projektion besser. Keine Laufstreifen mehr, auch nach der hundertsten Vorführung."
"Wir haben - glaube ich - in den letzten 12 Monaten drei Mal einen 35mm-Film gezeigt"
Die Vorteile des Digitalen überwiegen. Allein die Möglichkeit für das kleine Arthouse-Kino,
"Wir können ganz viele Filme da haben."
mit den rund 200 gespeicherten Filmen auch kurzfristig auf Publikumswünsche reagieren zu können.
"Zum Beispiel bei der Dokumentation INSIDE WIKILEAKS, da hatten wir die Pressevorstellung, wir haben den Film auf dem Server gehabt. Und dann ruft mittags die Tagesthemen an, ob sie in einer halben Stunde jemand vorbeischicken kann, der der Film sich anguckt, weil es eine neue Entwicklung in dem Assange-Fall gibt und man den Film dafür gesehen haben will. Und das machen wir natürlich möglich."
Problemloser Zugriff auf verschiedene Sprachfassungen, schnelle Reaktion auf Publikumswünsche, brillantes Bild, ebensolcher Ton: Dass das Zelluloid im Kino faktisch ausgedient hat, im Hamburger Abaton trauert dem keiner nach.