Kino-Debüts

Harter Rap statt Salsa-Party

Regisseurin von Una Noche: Lucy Mulloy
Regisseurin von Una Noche: Lucy Mulloy © picture alliance / dpa / Abdelhak Senna
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 08.12.2013
Um den schwierigen Alltag im tropischen Sozialismus und einfache Arbeiter in Mexiko geht es in den Filmdebüts "Una Noche" und "Workers". Auf originelle und unkonventionelle Art zeigen sie die soziale Realität.
Mod: Zwei Filme aus Lateinamerika starten am kommenden Donnerstag in den deutschen Kinos: Aus Kuba kommt das Debüt der britischen Regisseurin Lucy Mullay "Una Noche - Eine Nacht in Havanna" und aus Mexiko der Film "Workers", das Debüt des mexikanischen Regisseurs José Luis Valle González. Im Studio begrüße ich unseren Filmkritiker Wolfgang Martin Hamdorf. Zwei Filme aus sehr unterschiedlichen Ländern, aus zwei unterschiedlichen Gesellschaftssystemen, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit der sozialen Realität auseinandersetzen.
Hamdorf: Es sind zwei sehr unterschiedliche Geschichten und Erzählrhythmen. "Una Noche - Eine Nacht in Havanna" handelt vom schwierigen Alltag im tropischen Sozialismus. Lucy Mulloy inszeniert in ihrem Regiedebüt sehr dicht die oft erzählte Geschichte von der Perspektivlosigkeit junger Kubaner. Ihr Film lebt von den Widersprüchen der sozialistischen Insel, die eigentlich nur dank des Tourismus überlebt - irgendwo in einer Trance zwischen Stagnation und Rebellion. Für Regisseurin Lucy Mulloy war die Atmosphäre in Havanna zunächst wie eine Zeitreise:
"Man sieht überall diese alten Autos, diese alten Gebäude, man hat diese wunderbare Fähigkeit der Leute zu improvisieren, alte Sachen immer wieder zu flicken. Aber man spürt auch diese unglaubliche Energie, diesen Hunger nach Kreativität, den Hunger zu experimentieren, sich selbst zu erfahren."
Hamdorf: Lucy Mulloy vermeidet in ihrem Film allerdings jede Kuba-Romantik, diesen leichten Salsa- und Bolero-Kitsch und verfallende Fassaden mit karibischer Lebensfreude. Es geht um junge Menschen, zwei junge Männer und eine junge Frau, die Kuba verlassen wollen, verlassen müssen und versuchen mit einem schlecht gebauten Floß nach Miami zu flüchten.
Zensur: Film hatte immer eine Sonderstellung
Mod: Ist die Perspektivlosigkeit der Jugend auch ein Thema in kubanischen Filmen?
Hamdorf: Das ist schon fast ein klassisches Thema, fast alle Filme über Kuba berühren die Frage, "weggehen oder bleiben“, das grundsätzliche Drama der sozialistischen Insel. Aus der Innenperspektive, dem Blick der Kubaner wird das eigentlich Undenkbare oft alltäglich. Kubanische Filme können über das eigene Elend lachen, mal lauter, mal leise, mal süßlicher, mal bitterer, mal mit pittoresker Folklore, mal mit politischem Sarkasmus.
Auf diesen versöhnlichen Humor verzichtet Lucy Mulloy und zeigt den Alltag im karibischen Sozialismus als harten Rap und nicht als Salsa-Party um den Preis, dass manches kantig und mitunter fast spröde wirkt. Trotzdem ist der Film besonders im ersten Teil von einem beeindruckenden Rhythmus und beeindruckend ist auch wieder der bittere Schluss, die Vergeblichkeit am Ende einer sinnlosen Reise.
Mod: Es ist ein sehr regimekritischer Film, der aber trotzdem in Havanna gedreht werden konnte, welche Möglichkeiten haben Filmemacher heute im sozialistischen Kuba?
Hamdorf: Ja, die Regisseurin legte auch Wert darauf, diesen Film wirklich in Havanna zu drehen und man sieht doch sehr viel von der Stadt. Andere Filme wurden ja in der Dominikanischen Republik, in Mexiko oder ein James Bond im südspanischen Cadiz gedreht. Dass der Film überhaupt in Kuba gedreht werden konnte zeigt aber auch ein wenig die Ambivalenz des sozialistischen Kubas zum Film. Zwar gibt es die Zensur, aber der Film hatte eigentlich immer eine Sonderstellung. Heute, haben mir mehrere junge Filmemacher gesagt, sei das eigentliche Hindernis weniger die Zensur, als vielmehr die miserable wirtschaftliche Situation Kubas.
Auf dem Festival in Havanna gewann "Una Noche" den Publikumspreis. Die Wirklichkeit hat die Fiktion dann noch überholt. Einer der Hauptdarsteller und die Hauptdarstellerin setzten sich auf dem Flug zum Tribeca Festival in New York bei der Zwischenlandung in Miami ab und baten um politisches Asyl.
Mod: Gegenüber der kubanischen Strände liegt auch Mexiko und der Film "Workers" führt in den Norden, in die Grenzstadt Tijuana, direkt an der US-Grenze.
Hamdorf: Im Gegensatz zu "Una Noche" geht es in "Workers" um keines der Themen, die die Schlagzeilen über Mexiko beherrschen, also weder um die Drogenkriege, noch um Schlepperbanden, die illegale Einwanderer in die USA bringen. "Workers" ist ein sehr stiller Film mit ganz stilisierten und intelligent durchkomponierten Einstellungen.
Arbeit mit Laien und Schauspielern
Und es geht um Menschen, die nur selten im Film vorkommen. Er putzt seit 30 Jahren die Flure und Toiletten einer Glühbirnenfabrik. Sie arbeitet seit fast 40 Jahren im Haus einer steinreichen Frau, die in ihrer Altersagonie nur noch Freude an ihrer verzärtelten Windhündin hat. Regisseur José Luis Valle González arbeitet mit Laien und Schauspielern, große Namen sind nicht dabei:
"Das war mir sehr wichtig, weil der Titel des Films, 'Workers' schon die Richtung vorgibt, es geht mir um die Leute, die jahrelang arbeiten, die nicht mehr beachtet werden, weder jung noch erfolgreich sind, deren Odysseen hinter den großen Schlagzeilen verschwinden. Und wenn die Charaktere unbekannt und unbedeutend sind, dann sollen die Schauspieler auch nicht bekannt sein."
Hamdorf: Aber auch ohne besondere Stars zieht einen der zweistündige Film in seinem fast meditativen Rhythmus sehr schnell in Bann, dazu kommt ein fast stoischer Sarkasmus, ein ganz feiner schwarzer Humor, der den Zuschauer in seinen Bann zieht. Es ist ein sehr politischer Film über Arbeit, über Hierarchien, aber es ist kein polemisches Pamphlet, sondern eine sehr subtiles Drama.
Mod: In den letzten Jahren hat der lateinamerikanische Film auf den großen internationalen Festivals, wie in Cannes, Venedig und Berlin immer mehr an Bedeutung gewonnen ist teilweise sogar den asiatischen Film überrundet. Was macht die Stärke des gegenwärtigen lateinamerikanischen Films aus?
Hamdorf: Ich glaube es liegt, bei allen Unterschieden zwischen Ländern wie Mexiko oder Argentinien, an der originellen und unkonventionellen Art, wie lateinamerikanische Filmemacher die sozialen Umstrukturierungen und Diskrepanzen ihrer Gesellschaften darstellen. Zum Teil mit sehr geringen finanziellen Mitteln, aber fast immer auf eine sehr überraschende Weise.
Mod: Der britisch-kubanische Film "Una Noche - Eine Nacht in Havanna" und der mexikanische Film "Workers" starten am kommenden Donnerstag in den deutschen Kinos. Im Studio war Wolfgang Martin Hamdorf.