Kino auf der Bühne

Von Christoph Leibold · 28.03.2009
Blau, weiß und rot, die drei Farben der französischen Flagge: Anfang der 1990er-Jahre hat sie der polnische Filmemacher Krzysztof Kieslowski in einer Film-Trilogie den Idealen der französischen Revolution gleichgesetzt: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. An den Münchner Kammerspielen hat nun der holländische Regisseur und designierte Intendant der Hauses (ab der Spielzeit 2010/2011) Johan Simons den Stoff für die Bühne adaptiert.
Kieslowski Film "Blau" erzählt von Julie, deren Mann und Tochter bei einem Verkehrsunfall sterben. Wodurch Julie in eine fragwürdige Freiheit in ein neues Leben entlassen wird. Ebenso zweifelhaft ist die Revanche des polnischen Friseurs Karol, der Hauptfigur von "Weiß", der die Gleichheit zwischen sich und seiner französischen Ex-Ehefrau wieder herstellt, indem er sie nach der Scheidung in eine Falle lockt, die sie ins Gefängnis bringt. In "Rot" schließlich verbrüdert sich die Studenten Valentine mit einem pensionierte Richter, der – resigniert angesichts der Erkenntnis, dass Rechtsprechung nicht notwendig Gerechtigkeit schafft – die Telefonate seiner Nachbarn abhört. Denn nicht im Gerichtsaal, sondern am Telefon Plaudern die Menschen Geheimnisse aus, die zur Wahrheit führen.

Johan Simons Bühnenfassung an den Münchner Kammerspielen beginn mit einem spektakulären Knalleffekt. Mit eine ohrenbetäubenden "Rumms!" knallt ein Pkw vom Schnürboden und bohrt sich in die Bühnenbretter, wo er stecken bleibt: wie ein Grabmahl. Ansonsten bleibt die Bühne, von wenigen Requisiten abgesehen, weitegehend leer.

Simons hat die drei Filme von Krzysztof Kieslowskis Trilogie leicht, aber deutlicher als der Filmemacher ineinander verschränkt. Hie und da ist die Chronologie geringfügig verändert. In den wesentlichen Zügen aber ist die Handlung der Filme übernommen. Die symbolgesättigten, mitunter opulenten Bildsprache Kieslowskis übersetzt Simons in klare, manchmal sogar karge Theaterbilder. Da wird telefoniert auf der Bühne, ohne dass ein Telefonapparat zu sehen wäre; da werden Haar geschnitten, aber keine Locke fällt zu Boden; da schlafen zwei Menschen miteinander, und doch liegen sie nur angekleidet nebeneinander auf dem Rücken, starren an die Decke und reden. Reden mal mit Leidenschaft, mal mit großer Distanz zu ihren Figuren. Sylvana Krappatsch als von ihrem früheren Leben abgeschnittene Julie ringt nach Worten, als spräche eine fremde Person in einer fremden Sprache aus ihr. Thomas Schmauser als Karol ist ein wuseliger Neurotiker, Jeroen Willems Richter hat sich in seiner Resignation hinter einem Panzer der Härte verschanzt, den Sandra Hüllers Valentine mit resoluter Zärtlichkeit allmählich aufbricht.

Mit seinem fantastischen Ensemble ist es Johan Simons gelungen, nah an Krzysztof Kieslowskis Filmen zu bleiben, und doch mehr als nur eine schlechte Kopie abzuliefern. Assoziationsreichtum und Suggestivkraft der Filme bleiben erhalten, und doch ist dieser Abend in jeder Minute: reinstes Theater.

"Drei Farben: Blau, Weiß, Rot"
Nach den Filmen von Krzysztof Kieslowski
Münchner Kammerspiele
Regie: Johan Simons