King Vidor auf der Berlinale

Erneuerer des Genrekinos

10:46 Minuten
Nina Mae McKinney, Daniel L. Haynes
Einer der ersten Hollywood-Filme mit rein afro-amerikanischer Besetzung "Hallelujah" von 1929. © 1929 Turner Entertainment Co. All Rights Reserved.
Lisa Gotto im Gespräch mit Massimo Maio · 20.02.2020
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Über 50 Filme in fünf Jahrzehnten hat King Vidor gedreht - in fast allen großen Genres. Die Berlinale ehrt den Regisseur mit einer Retrospektive. Vidor zeigte ungewöhnlich starke Frauenfiguren und drehte einen der ersten Filme nur mit Afroamerikanern.
Der US-Filmemacher King Vidor (1894-1982) fing noch zu Stummfilmzeiten als Kameramann an, als Regisseur begleitete er den Aufstieg des Tonfilms, später den Aufstieg des Technicolor- und des Breitwandfilms. Er war in allen Genres zuhause, drehte Western, Krimis, romantische Komödien, Kriegs- und Abenteuerfilme. Insgesamt drehte er über 50 Filme in fünf Jahrzehnten.
Regisseur King Vidor, 1944
Setzte neue Akzente im Genrekino: Regisseur King Vidor.© Sammlung Cinémathèque suisse. Alle Rechte vorbehalten.
Die Berlinale ehrt in diesem Jahrgang den Ausnahmeregisseur des klassischen Hollywoodkinos mit einer Retrospektive. Lisa Gotto, Professorin für Theorie des Films an der Universität Wien, hat im Begleitbuch zur Retrospektive über "Hallelujah" von 1929 geschrieben, einen der ersten Hollywood-Filme mit ausschließlich afroamerikanischer Besetzung.
Vidor habe mit diesem Film die Übergangszeit vom Stumm- zum Tonfilm auszunutzen gewusst, sagt sie. In dieser neuen Situation habe man mit dem aufkommenden Jazz und Blues einen Verkaufswert von schwarzen Musikern und Tänzern erkannt.

Zwischen religiöser Extase und sexueller Ausschweifung

"Hallelujah" sei ein Musical, in dem Videor die Variationsbreite von Klangfarben entdecke: "Die Figuren stöhnen und seufzen. Die Stimmen können moduliert werden und werden dadurch auch ambivalent und mehrdeutig." Vidor lasse auch Dialekte und authentische Klangfarben zu. "Hallelujah" sei ein sinnlicher Film, der von religiöse Extase und sexueller Ausschweifung handle.
Doch der Film stehe trotzdem in einem "merkürdigen Mischverhältnis": Einerseits erscheine er kompromisslos, andererseits trage er auch den Traditionsballast von Klischees mit sich. "Die Figurenzeichnung erinnert deutlich an Genregerüste aus anderer Richtung", sagt Gotto. Vidor war zwar als bester Regisseur für einen Oscar nominiert, aber an der Kinokasse erfolglos.

Frauen als Energiequellen

Sein Film "Duell in the Sun" (dt. Duell in der Sonne, 1946) mit Jennifer Jones und Gregory Peck zählt zu den großen Technicolor-Western der Filmgeschichte. Darin zeigt Vidor im Finale einen Showdown zwischen Mann und Frau. Außergewöhnliche Frauenfiguren sind eines seiner Markenzeichen. "Frauen sind bei King Vidor nicht einfache Ensemble-Mitglieder, sondern eigene Energiequellen", sagt Gotto. "Es geht bei diesen Frauenfiguren sehr häufig um das Bedürfnis nach Freiheit, um einen besonderen Ausbruchswillen. Das sind Frauen, die sich weigern, die für sie vorgesehene Position zu akzeptieren. Sie haben besonders widerständiges Potenzial."
Vidor sei als Regisseur nicht der große Rebell gewesen, aber jemand, der das Genresystem aus sich selbst heraus erneuert habe, sagt Gotto. "Er reißt das Gerüst nicht ein, aber fügt ihm neue Sprossen hinzu."
(leg)

Retrospektive King Vidor
Berlinale 2020

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