Kindgerechte Musik mit Niveau

Von Jörg Wunderlich |
Rund 150 Erstaufführungen brachte der Hallenser Kinderchor bereits auf die Bühne, er wirkte an Opern- und Fernsehproduktionen mit. Doch der Kinderchor aus Halle an der Saale ist akut gefährdet.
Mädchen 1: „Ich glaube, als ich acht oder neun war, habe ich durch meine Freundin hier vom Chor auch angefangen zu singen.“

Junge 1: „Als ich angefangen habe, war ich Alt eins, aber ich bin immer weiter tiefer gerutscht, also bin ich jetzt Alt zwei.“

Mädchen 2: „Wir haben zwei mal in der Woche eineinhalb Stunden Probe, und dann hat man noch einzeln Gesangsunterricht. Das gehört noch mit dazu, und das ist auch noch mal eine halbe Stunde. Es kostet schon viel Zeit.“

Mädchen 3: „Es macht einfach fröhlich. Einmal haben wir auch ein Lied von meiner Lieblingsgruppe gesungen: ABBA, ‚Thank you for the music‘.“

Sabine Bauer: „"Das Schöne ist, dass wir immer mit jedem Alter von Kindern zu tun haben, das hält zumindest im Kopf jung.“

Manfred Wippler: „Wir machen eigentlich alles von Anfang an zusammen. Von frühmorgens von der Dienstberatung bis zum Ende sind wir eigentlich eine Person.“

Bauer: „… mit durchaus verschiedenen Ansichten, und das ist gut so.“

Sabine Bauer und Manfred Wippler sind beruflich und auch privat seit Langem ein Paar. Gemeinsam gründeten sie vor 39 Jahren einen Kinderchor in Halle an der Saale. Im Laufe der Jahre kamen weitere Chöre dazu, die alle unter dem Dach einer Singschule zusammenarbeiten. Ihren Lehrerjob gaben die beiden Musikpädagogen schon zu DDR-Zeiten komplett für die Chorarbeit auf.

Wippler: „In Deutschland gibt es ganz viele Singschulen, und diese Idee haben wir übernommen. Wir waren 1973 zu einem Festival und haben sehr schöne Beispiele gehört und haben gesagt, wenn wir zusammenarbeiten, dann machen wir nicht einen Kinderchor auf, sondern eine Chorpyramide.“

Dieses Bild verdeutlicht das Konzept der Singschule. Die musikalische Bildung beginnt bereits im Kleinkindalter und wird dann über verschiedene Chöre durchgehend fortgesetzt. Viele bleiben auch als Erwachsene dem Chor noch treu.

Bauer: „Das empfinden die Leute dann als schön, weil es wie eine Familie ist. Es ist ja nicht so, dass ich in den Chor gehe, eine Projektarbeit mache und wieder verschwinde, sondern die Eltern sind eingebunden und auch die Großeltern. In einem Fall haben wir sogar Urgroßmutter, Großmutter, Mutter und Kind.“

Die Nähe zu den Familien der mitsingenden Kinder kam auch durch das Internationale Kinderchorfestival zustande. Dieses gibt es seit 1979 in Halle und wurde 30 Jahre lang von Sabine Bauer und Manfred Wippler geleitet.

Bauer: „Die Gasteltern nahmen natürlich Anteil. Eigentlich entstand es, weil in Halle drei Chöre waren, die zufällig zur gleichen Zeit ausländische Gäste hatten: einen ungarischen Chor, Polen und Tschechen. Da haben wir gesagt, lass uns mal was zusammen machen. Das haben wir im Nachhinein dann ‚Erstes Festival‘ genannt. Es wurde immer größer und schöner und hatte in Europa und darüber hinaus einen guten Namen.“

Durch das jährlich stattfindende Festival kamen viele Stücke zeitgenössischer Kinderchormusik ins eigene Repertoire des Chores. Gemeinsam mit Komponisten und Textern aus ganz Europa brachten die beiden Chorleiter bis heute über 150 Erstaufführungen auf die Bühne.

Bauer: „Oftmals singen Kinderchöre Frauenchorliteratur. Dem wollten wir ein bisschen begegnen. Einfach kindgerechte Sachen mit Anspruch, das war uns wichtig, sowohl an den Text als auch an die Musik, das war uns wichtig. Gerade für Kinderchöre muss Neues entstehen.“

Mädchen 2: „Jetzt steht ja Südafrika bevor, das ist ja die erste riesige Reise.“

Mädchen 3: „Ich war noch nicht in einem anderen Kontinent, deswegen freue ich mich drauf, aber es wird schwer wegen meinem Englisch, ich bin halt auch erst vierte Klasse.“

In über 15 Ländern Europas und Afrikas ist der Kinderchor schon aufgetreten, nahm an den Händelfestspielen teil und wirkte an Opern- und Fernsehproduktionen mit. 2002 dann wurde der Chor Bundessieger beim Deutschen Chorwettbewerb. Trotz dieser Erfolge und Verdienste ist die aktuelle Situation ungewiss, wie Bernhard Ullrich, der Vorsitzende des Trägervereins, berichtet.

„Im Moment ist es so, dass wir keine Förderung von der Stadt bekommen, der Chor in freier Trägerschaft durch den von den Eltern gegründeten Verein ist und finanziert sich ausschließlich aus den Unterrichtsgebühren, die auch erhoben werden, aus Einzelspenden und projektgebundenen Fördermitteln.“

Nicht nur der traditionsreiche Hallenser Kinderchor ist akut bedroht. Die Anzahl der Kinderchöre insgesamt in Sachsen-Anhalt geht immer mehr zurück.

Bauer: „Wir sind der einzige Kinderchor, der sich beim Landeswettbewerb angemeldet hat. Früher gab es Hunderte Chöre. Chorarbeit auf hohem Niveau ist mühsam und man muss Durchhaltevermögen haben. Natürlich wird der Kinderchor daran teilnehmen, schon um zu zeigen: Es gibt uns.“

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im „Chor der Woche“ sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der „normalen“ Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.