Kindesmissbrauch

Welche Strukturen fördern die sexualisierte Gewalt?

53:46 Minuten
Blick auf eine Gartenlaube vor der ein Polizeiabsperrband gespannt ist
In einer Gartenlaube in Münster sollen Ende April vier Männer zwei Jungen missbraucht haben. © picture alliance / Kirchner-Media / David Inderlied
Moderation: Monika van Bebber · 26.03.2021
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Sexueller Missbrauch von Kindern: ein weltweites Phänomen von dramatischem Ausmaß. Der Missbrauchsbeauftragte prangert seit Jahren das "ohrenbetäubende Schweigen" der Gesellschaft an. Betroffene wollen den "Tatort Familie" stärker in den Fokus rücken.
"Lügde war ein Weckruf", sagt die Psychologin Julia von Weiler von der internationalen Bewegung "Innocence in Danger". Seit den Missbrauchsfällen in Münster und Bergisch-Gladbach hat bei der Polizei ein Umdenken begonnen. Die Ermittlerteams wurden enorm vergrößert, zeitweise sichteten bis zu 400 Mitarbeiter die gigantischen Datenmengen, die bei den Tatverdächtigen sichergestellt wurden.
"Wir setzen sogar Spürhunde ein, um Datenträger zu finden", sagt der Leiter der Kölner Kriminalpolizei, Klaus-Stephan Becker. Und in den Teams zum Kindesmissbrauch arbeiten vor allem Frauen – die Mitarbeit ist freiwillig und wird mit Supervision und Seminaren professionell begleitet.

Eine Million missbrauchte Kinder in Deutschland?

Je mehr die Polizei sucht, desto mehr findet sie: Das Dunkelfeld ist gigantisch. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass allein in Deutschland bis zu einer Million Mädchen und Jungen pro Jahr sexuell missbraucht werden. Ein universelles Problem, das seit Generationen existiert. Wahrscheinlich gebe es in jeder Familie über die Jahrzehnte Betroffene von sexualisierter Gewalt und somit auch Täter, schreibt der Betroffenenrat in einem aktuellen Impulspapier zum "Tatort Familie".

Trauma fürs ganze Leben

Kinder könnten sich nicht selbst schützen, heißt es unisono. Das hat auch Beate Kriechel in ihrem Leben erfahren müssen. Missbrauchsopfer sind für ihr ganzes Leben traumatisiert. Ihnen zu helfen, das Leid zu verarbeiten und den Lebensweg positiv zu gestalten – darum gehe es. Beate Kriechel hat ein Buch über solche Lebenswege geschrieben: "Für immer traumatisiert?" Sie fragt sich, warum Betroffene zu sehr aus dem Blick geraten und viel zu selten die Frage gestellt wird, warum Missbrauch und sexuelle Gewalt so verbreitet sind und weitestgehend nicht zu einem Aufschrei führen.
Es gebe einen generellen Unwillen, sich mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder auseinanderzusetzen, sagt der Notfallseelsorger und Sachbuchautor Jörg H. Trauboth. Mit "Jakobs Weg" hat er einen Kriminalroman geschrieben, in dem er den Sachverhalt ins öffentliche Bewusstsein zu bringen versucht.

Tatort Familie – was läuft falsch seit Generationen?

Der "Wortwechsel" diskutiert über das Tabu-Thema, das möglicherweise jedes zehnte Kind betrifft – in Zeiten der Corona-Pandemie, in denen das Zuhause zum Gefängnis werden kann, vielleicht sogar noch mehr.
Wie kann die Perspektive der Opfer, der Betroffenen stärker als die der Täter in den Blick genommen werden? Wie kann mehr Licht in das große Dunkelfeld des "Tatorts Familie" gebracht werden? Wie arbeiten Ermittler und mit welchem Ausmaß des Schreckens müssen sie sich befassen?
Wie kann es sein, dass eine Gesellschaft ihre Schutzbefohlenen immer mehr Angriffen auf ihre körperliche und seelische Unversehrtheit aussetzt? Wie gefährlich ist die leichte Verbreitung massenhafter Kinderpornografie über das Netz?
Und welche guten Beispiele für die Durchsetzung der Kinder-Menschenrechte gibt es im internationalen Vergleich?

Darüber diskutieren im Wortwechsel
Klaus-Stephan Becker, Leiter der Kriminalpolizei Köln
Beate Kriechel, Journalistin und Autorin
Jörg H. Trauboth, Sach- und Kriminalbuchautor
Julia von Weiler, Geschäftsführerin von "Innocence in Danger"

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