Kinderwelt Anoha des Jüdischen Museums

Von Mammuts und Kakerlaken

06:30 Minuten
Innenansicht des Kindermuseums. Entwurf: Olson Kundig Architecture and Exhibit Design
Innenansicht des Kindermuseums. Entwurf: Olson Kundig Architecture and Exhibit Design © Grafik: Olson Kundig
Von Peter Kaiser · 13.03.2020
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Vor allem um die Sintflut und Noahs Arche geht es im neuen jüdischen Kindermuseum Anoha in Berlin. Kinder sind nicht nur Besucherinnen und Besucher, sondern haben die Ausstellung auch mitgeplant, in einem eigenen Kinderbeirat.
Geschickt hievt der US-Amerikaner Alan Maskin mit Mitarbeiterinnen des Jüdischen Museums Berlin den zentnerschweren Eisbären per Seilkran in die sieben Meter hohe Arche. Alan Maskin ist Architekt und Mitinhaber des Architektur- und Design-Büros Olson Kundig in Seattle, USA.
Er und seine Kollegen haben die sieben Meter hohe, ringförmige Holzarche entworfen, die im Durchmesser von 28 Metern sowohl einer mesopotamischen Arche ähnelt als auch einem Raumschiff.
Doch die Arche ist keines von beidem, sie ist das Herzstück des neuen jüdischen Kindermuseums "Anoha" am Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz 1, vis á vis des Jüdischen Museums Berlin. Anoha-Kinderweltleiterin Ane Kleine-Engel:
"Die Arche Noah ist zum einen, passend zum Jüdischen Museum, eine Geschichte aus der Tora, die wir hier in Szene setzen. Sie ist zugleich aber auch eine Geschichte, die hier mehrheitlich in der deutschen christlichen Kultur, die auch in der muslimischen Kultur sehr bekannt ist. Und wir sind hier am Standort Berlin-Kreuzberg ja in einer sehr multikulturellen Gegend, wo es sehr viele Zuwanderer auch mit muslimischem Hintergrund gibt, die wir einladen wollen. Und Flutgeschichten, wie die Sintflut der Arche Noah, sind fast universelle Geschichten, die fast alle Kulturen kennen und die Neubeginn und Ende zusammenlegen."

Wildschwein mit Pinsel im Hintern

150 verschiedene Tiere, von der sieben Zentimeter großen Kakerlake bis hin zum drei Meter großen Mammut, tummeln sich auf der imaginären Fahrt der Arche zum Berg Ararat auf 2700 Quadratme-tern Innenfläche. Doch die Tiere sind nicht nur hölzerne Kopien ihrer natürlichen Vorbilder, erklärt Anne Metzen, die Tierdesignerin, sondern sie bestehen aus ungewöhnlichen Gegenständen.
"Es sind ja Alltagsgegenstände, die wir benutzen sollten, um diesen Gedanken des Upcyclings- oder Recyclings aufzunehmen. Nehmen wir das kleine Wildschwein, das ich gerade hier vor uns sitzen sehe. Das Tier besteht aus einem Holzfass, aus einer kupfernen Kanne, aus kleinen Holzkegeln, und die Ohren, was ist das, muss ich näher heranlaufen, ah, kleine Schippen sind das. Und vorne ist eine Steckdose als Nase, und hinten im Hintern steckt ein Pinsel als Schwanz."
Gott gab in der Tora vor, dass die Arche 300 Ellen lang, 50 Ellen breit und 30 Ellen hoch sein soll:
"Der Ursprung der Geschichte ist ja in der Tora, jüdischer kann eine Geschichte gar nicht sein, wenn Sie so wollen."
Martin Michaelis ist geschäftsführender Direktor des Jüdischen Museums Berlin. "Die Geschichte bietet eben gleichzeitig viele Anknüpfungspunkte für zeitgenössische Phänomene und zeitgenössische Probleme wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz, all die Fragen, die uns heute bewegen, finden sich wieder. In das große Museum kommen mit ihren Eltern um die 22.000 Kinder im Jahr. Das ist schon eine beachtliche Zahl. Aber das Kindermuseum, denke ich, wird so attraktiv sein, dass wir mindestens 100.000 Besucher haben werden. Pro Jahr."

Entdecken, pflegen, füttern

Auch wenn die Archebauer in Berlin sich nicht an den himmlischen Bauplan gehalten haben, so haben doch die Kinder in der irdischen Arche die Möglichkeit, das Leben zu erkunden, Tiere zu entdecken, sie zu pflegen, zu füttern und so spielerisch Offenheit, Toleranz und Respekt zu üben. Etwa wenn ungeliebte Tiere wie Kakerlaken, Schlangen und Insekten sich zu Elefanten, Affen oder Pferde gesellen.
Da gäbe es Vergleiche zur Ausgrenzung unter Menschen, zu Rassismus. Kinder des Kinderbeirates, der die Museumsmacher beraten hat, wissen:
"Im sozialen Kontakt ist es sehr wichtig, dass man sich gegenseitig nicht verabscheut, nur weil man eine andere Hautfarbe hat. Es gibt überhaupt keinen guten Grund dafür, und es ist einfach nur gemein und unhöflich."
"Ich finde es unfair, weil, jeder Mensch ist gleich."
"Man sollte das nicht machen, weil, jeder darf in Deutschland leben."
Es gilt, auf unterschiedlichen Erlebnisebenen den Arche-Gedanken vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher und ökologischer Fragen neu zu formulieren, Stichwort Migration. Dennoch sagt Martin Michaelis:
"Wir haben uns nicht von dem zeitgenössischen Migrationsthema leiten lassen, aber natürlich ist es so, dass die Flucht vor Naturkatastrophen, Verheerung ein jahrtausendealtes Thema ist, das jetzt wieder auf andere Weise aktuell wird. Und wir vermitteln ganz klar den Kindern, dass hier jeder mit an Bord darf. Die schönen Tiere genauso wie die hässlichen Tiere. Nun steht keines der Tiere für eine bestimmte Gruppe von Menschen. Den Vergleich würden wir nie ziehen. Aber der Grundgedanke ist: Jeder darf mit, und jeder wird auch gerettet."

Nicht ganz konform mit der Bibel

So ganz konform geht der Grundgedanke nicht mit der biblischen Erzählung, denn dort sind die meisten Menschen sündig. Und alle bis auf Noahs Familie ertrinken. Diese Härte wollten die Macher den Kindern offenbar nicht zumuten.
Vor allem geht es darum, die Kinder hier spielerisch zu ermutigen, selbst aktiv zu werden, und selbst Visionen einer vielfältigen und besseren Welt als die jetzige zu formulieren. Dazu bieten alle sechs Ausstellungsbereiche im neuen Kindermuseum Anoha gute Möglichkeiten.
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