Kinderroman

Freundschaft mit Hindernissen

Von Sylvia Schwab · 26.03.2014
Für Lukas ist es aufregend, als er Jule kennenlernt. Ist sie doch ganz anders als er. Sie kommt aus einfachen Verhältnissen, die Mutter ist überfordert, ihr Bruder klaut. Schnell wird ihre Freundschaft auf die Probe gestellt.
Lukas ist Einzelkind, gut in der Schule und ein begeisterter Star Wars-Fan. Er hält sich selbst für absolut brav, langweilig, uncool und "scheißnormal". Was alles in ihm steckt an Grips, Mut und Team-Geist, das entdeckt er erst, als er Jule kennenlernt. Jule scheint das Gegenteil von ihm zu sein scheint: vorlaut, freiheitsliebend und voller komischer Ideen. Sie kommt aus armen Verhältnissen und steckt mitten in der Patsche. Und trotzdem freunden sich die beiden dank Jules Charme an.
Bei der spielerischen Verfolgung zweier schräger Typen machen die beiden eine Entdeckung, die sie umhaut: "Lieferant" für geklaute Luxus-Fahrräder ist Tim, Jules älterer Bruder. Der 16-Jährige hat sich diesen "Job" an Land gezogen, weil ihn der Geldmangel zu Hause zu sehr nervte - selbst Nutella gibt es nur sonntags. Jules und Tims Mutter ist alleinerziehend, sie ist überfordert im Job und hat permanent ein schlechtes Gewissen gegenüber ihren Kindern.
In der Zwickmühle
Jörg Isermeyer hat einen starken Kinderroman geschrieben. Denn Lukas und Jule geraten in eine Zwickmühle. Soll Lukas den Fahrraddieb Tim anzeigen und damit die Freundschaft zu Jule aufs Spiel setzen? Wie kann er ihr helfen? Darf Jule den Bruder verraten, muss sie es vielleicht sogar? Und wie kann sie Lukas beschützen, als Tim ihm an den Kragen will? Freundschaft oder Recht, Bruder oder Freund – das sind harte Entscheidungen, die sie mit Mut und Konsequenz treffen und an denen sie schließlich ein ganzes Stück wachsen werden. Denn schnell wird klar: Wichtig ist, "dass man am nächsten Tag noch in den Spiegel gucken kann“. Und so bekommen auch die Mütter eine Lektion erteilt.
Witzig, mit Sinn für Pointen
Dass "Alles Andere als normal“ zuerst ein Theaterstück war, spürt man höchstens – und das ist ausgesprochen positiv – an der doppelten Erzählperspektive. Beide Kinder erzählen abwechselnd, Lukas absolut nicht "uncool“, sondern witzig, mit Sinn für Pointen und Überraschungen. Jules Passagen klingen erwachsener - sie redet sich selbst mit Du an - manchmal ein wenig pathetisch und sehr emotional. Ob rasante Verfolgungsjagd oder dramatische Diskussion - beide reißen ihre Leser mitten hinein in ihre spannende Geschichte.
Ein zusätzlicher Pluspunkt: Jörg Isermeyers Roman hat einen hohen Unterhaltungswert! Die Abschlussszene auf der Polizeistation, wo alle Beteiligten nacheinander auftreten und Verwirrung stiften, ist voller komischer Missverständnisse und Slapstick. Was dem ernsten Anliegen des Romans aber keinen Abbruch tut: Ohne erhobenen Zeigefinger wird klar, dass die Wahrheit etwas verflixt Kompliziertes ist, und dass man sie oft erst "jenseits der Worte“ findet.

Jörg Isermeyer: Alles andere als normal
Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2014
213 Seiten, 12,95 Euro, ab 10 Jahren