Kinderraub in Spanien

Von Daniel Sulzmann |
Zehntausende Kinder sollen während der Franco-Diktatur und bis in die 80er-Jahre hinein Opfer systematischer Entführungen geworden sein. Sie wurden ihren Eltern weggenommen und an kinderlose Paare verkauft. Die Betroffenen haben sich seit einiger Zeit organisiert.
Antonio Baroso ist eines von mehreren tausend Kindern, die in Spanien ihren leiblichen Müttern weggenommen wurden - kurz nach der Geburt - und von skrupellosen Ärzten, Nonnen und Priestern an andere Familien verkauft wurden. Den echten Müttern teilte man meistens lapidar mit, ihr Kind sei kurz nach der Geburt gestorben, es habe Komplikationen gegeben. So wie bei der 62-jährigen Manuela Pagador:

"Ich habe mein Kind 1971 bekommen, einen Jungen, dann habe ich stundenlang gefragt, wo ist mein Kind, wo ist mein Kind, aber niemand hat mir geantwortet und dann sind sie gekommen und haben mir einfach mitgeteilt: Das Kind ist tot."

Schon in den 80er-Jahren gab es Medienberichte, wonach Ärzte, Hebammen und Priester an diesem Geschäft beteiligt waren. Auch Antonio hat die Nonne getroffen, die ihn an seine "Adoptivmutter" verkauft hat. Es ging alles um Geld, sagt er, bei den Nonnen und den Ärzten:

Natürlich sind nicht alle Gynäkologen schlecht, sagt er, einige sind richtig gut. Natürlich haben nicht alle Ärzte Schuld, aber es gibt und gab bestechliche Ärzte, und genauso ist es mit der Kirche: Es gab Nonnen die im Verborgenen bestechlich waren, die selbst von dem Schaden profitierte haben, den sie angerichtet haben.

Jetzt ist er der Vorsitzende des Vereins ANADIR, der sich um das Schicksal von illegal Adoptierten, wie sie sich nennen, kümmert. Inzwischen hat die Generalstaatsanwaltschaft eine Sammelklage von über 200 Betroffenen angenommen, denn Verbrechen gegen die Menschlichkeit verjähren in Spanien nicht. Trotzdem - die Erfahrungen mit dem Staat, mit offiziellen Stellen und Ämtern sind für die Betroffenen oftmals demütigend und frustrierend gewesen.

Einige berichten, sie seien in Standesämtern rüde abgewiesen worden. Rausgeschmissen quasi, als sie auf der Suche nach ihrem Schicksal Geburtsurkunden und Taufscheine gesucht hatten. Antonio Barosos Glauben in den Rechtsstaat Spanien ist definitiv erschüttert:

"Wir werden mal sehen, wie das alles ausgeht. Bevor wir die Vereinigung gegründet haben, habe ich schon selbst dreimal Anzeige erstattet, aber nie wurde ein Verfahren eingeleitet. Aber Klar, jetzt, wenn du mit mehr als 400 Betroffenen 260 Anzeigen einreichst, da tut sich plötzlich was. Ich aber glaube nicht mehr an die spanische Justiz, bis sie mich vom Gegenteil überzeugen."

Der Anwalt der Opfervereinigung, Enrique Vila, sieht es nicht ganz so pessimistisch, schließlich hätten sich die Zeiten auch in Spanien geändert:

"Ich fürchte, dass in den 80er-Jahren, als unsere Demokratie noch in den Kinderschuhen steckte, Druck aus einflussreichen Kreisen ausgeübt wurde, damit das Thema unter den Teppich gekehrt wurde. Heute ist unsere Demokratie gefestigter, ich vertraue darauf, dass die Staatsanwaltschaft bis zum Ende ermittelt."

Denn früher, da schien es, als seien zum Beispiel die Ärzte gegen die Untersuchungen sämtlich gefeit:

"Die Leute, die das gemacht haben, sind Leute mit einem guten Posten. Ärzte, mit hohem Ansehen und Prestige, die das Vertrauen der gesamten Bevölkerung genießen, sie haben dieses Vertrauen ausgenutzt."

Langsam aber kommen die illegal Adoptierten voran. Antonio Baroso führt inzwischen Verhandlungen mit dem Justizministerium darüber, ob zumindest für das Honorar der Anwälte ein Zuschuss des spanischen Staates infrage kommt. Und sie konnten konkret etwas erreichen: Für Mütter und Kinder, die glauben, sie seien Opfer einer kriminellen Adoption geworden, hat ANADIR eine Gen-Datenbank eingerichtet. Dort können sich alle registrieren lassen. Ein privates Unternehmen checkt dann, ob es Übereinstimmungen zwischen den Registrierten gibt.

Und ja, manchmal gibt es sie. Fünf leibliche Mütter und Kinder haben sich über die Gendatenbank inzwischen gefunden.