"Wir können nur mit denen umgehen, die Hilfe suchen"
Die Edathy-Affäre hat erneut die Debatte zum Thema Kinderpornografie entfacht. Heftig wird über höhere Strafen und neue Gesetze gestritten. Präventive Arbeit könne Täterschaften verhindern, betont der klinische Sexualpsychologe Christoph Joseph Ahlers.
Ute Welty: Bundestagsinnenausschuss, Bundeskriminalamt und auch das Justizministerium in Niedersachsen – an verschiedenen Stellen laufen die Recherchen im Fall Edathy. Wer hat wann was gewusst und wer hat wem was gesagt? Und noch eine andere Frage treibt um: Was veranlasst einen erwachsenen Mann, offenbar Fotos von nackten Kindern im Ausland zu bestellen, die wohl nicht strafrechtlich relevant sind, aber doch Schlüsse zulassen auf sexuelle Orientierungen? Darüber spreche ich jetzt mit Dr. Christoph Joseph Ahlers, klinischer Sexualpsychologe und Leiter der Praxis für Paarberatung und Sexualtherapie am Institut für Sexualpsychologie in Berlin. Guten Morgen!
Christoph Joseph Ahlers: Guten Morgen!
Welty: Wie häufig oder wie selten kommt jemand auf Sie zu und sagt: Kinder oder Bilder von Kindern erregen mich?
Ahlers: Aufgrund der Spezialisierung unserer Praxis sehr häufig. Wir haben also einen ganzen Anteil von Patienten, die mit dieser Problematik kommen, zum Teil eigenmotiviert, das heißt also Personen, die für sich selbst ein Problem diesbezüglich ausmachen, oder partnerschaftliche Beziehungsstörungen bekommen haben, weil solche Bilddateien aufgeflogen sind im Familienkontext, und die andere Gruppe sind Personen, die bereits rechtskräftig verurteilt sind und die eine gerichtliche Therapieauflage haben, die Sie dann hier erfüllen wollen.
Welty: Die, die drüber reden, sind ja offenbar problembewusst, Sie haben es ja gerade beschrieben, in der einen oder anderen Ausprägung, sonst kämen sie ja nicht zu Ihnen. Was ist aber mit denen, die nicht reden?
"Möglichkeit, einen vor allem straffreien Umgang zu finden"
Ahlers: Die, die nicht reden, lernen wir nicht kennen. Wir können ja nur von denen sprechen und mit denen umgehen, die in Kontakt treten und die Hilfe suchen. Und da hat sicherlich das Präventionsprojekt Dunkelfeld, das vor zehn Jahren an der Charité begründet wurde, einen wesentlichen Beitrag zu dem Bewusstsein dazu beigetragen, dass es überhaupt eine Möglichkeit gibt, mit einer solchen Problematik umzugehen und sich Hilfe zu suchen, um damit einen vor allem straffreien Umgang zu finden.
Welty: Wie sieht der aus?
Ahlers: Der sieht so aus, dass die Patienten zunächst mal sich einer Untersuchung unterziehen. Im Rahmen dieser Untersuchung wird herausgefunden, ob bei ihnen eine Sexualpräferenz gegeben ist, die tatsächlich auf vorpubertäre Kinder anspringt sozusagen, oder ob das nicht der Fall ist. Der Umstand, dass Personen problematische Bildinhalte konsumieren, alleine reicht als diagnostisches Kriterium nicht aus.
Welty: Warum nicht?
Ahlers: Weil wir keine Rückschlüsse vom Konsum von Medien ziehen können auf die Persönlichkeit des Konsumenten. Das können wir auch in anderen Bereichen nicht. Beispielsweise jemand, der Gewalt verherrlichende Medien konsumiert – da lässt dieser Konsum keinen seriösen und vor allen Dingen klinisch sachverständigen Rückschluss darauf zu, dass diese Person selbst gewalttätig ist. Wir müssen das eine vom anderen unterscheiden.
Welty: Das Präventionsnetzwerk ist zu finden auf der Website www.kein-taeter-werden.de und operiert mit dem Slogan "Lieben Sie Kinder mehr, als Ihnen lieb ist?“, was wiederum einen gewissen Leidensdruck nahe legt, der sich aber Außenstehenden nur sehr schwer erschließt. Lässt sich angesichts des hohen Grads der Tabuisierung dieses Themas darüber überhaupt eine gesellschaftliche Debatte anstoßen?
Ahlers: Davon sind wir überzeugt und verfügen bezüglich dieser Fragestellung ja jetzt auch über eine zehnjährige Verlaufserfahrung, und da hat sich gezeigt, dass durch die engagierte Öffentlichkeitsarbeit, die im Rahmen dieses Präventionsprojektes Dunkelfeld begonnen hat und jetzt über das Präventionsnetzwerk bundesweit läuft, durchaus eine Differenzierung und eine Öffnung des gesellschaftlichen Diskurses stattgefunden hat. Vor zehn Jahren fanden Sie in der medialen Repräsentation keine zutreffende Differenzierung zwischen Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch. Jetzt ist es so, dass wir zunehmend mehr Medienberichte finden, in denen zutreffend unterschieden wird und deutlich gemacht wird, dass die Mehrzahl aller Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch nicht von pädophilen Tätern begangen wird, und dass nach allem, was wir bisher wissenschaftlich diesbezüglich wissen, die Mehrzahl der pädophilen Personen nicht automatisch sexuellen Kindesmissbrauch begeht.
Welty: Welche Umstände führen dazu, dass dann tatsächlich das Worst-Case-Szenario wahr wird und aus dem Potenzial eine tatsächliche Täterschaft?
Eine sichere Berufswahl finden
Ahlers: Das ist ein breites Spektrum an sogenannten Risikofaktoren: andere Eigenschaften der Persönlichkeit wie zum Beispiel Schwierigkeiten, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, soziale Isolation und Rückzug, eingeschränkte Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe und so weiter, das sind alles so Faktoren die in der Person … und dann gibt es situative Faktoren, wohin begebe ich mich, in welchen Kontexten bewege ich mich? Wenn ich zum Beispiel mit einer pädophilen Sexualpräferenz Trainer von Kindersportmannschaften werde oder Betreuer von Kindergruppen werde, dann begebe ich mich in eine sehr herausfodernde und auch riskante Tätigkeit. Wenn ich hingegen Altenpfleger werde, dann wähle ich eine vergleichsweise sichere Berufswahl.
Welty: Besteht die Möglichkeit dahingehend, dass sich die Grunddisposition verändert, dass eine Sexualität möglich ist, die mehr der Norm entspricht?
Ahlers: Eine Sexualität hebt jetzt ab auf die Möglichkeiten, wie sich jemand verhalten kann, und Verhalten, also das sexuelle Verhalten ist unabhängig von dem, wie jemand in sexueller Hinsicht innerlich empfindet. Das heißt also, wir haben viele Menschen zum Beispiel, die sind gleichgeschlechtlich sexuell orientiert und leben aber in gegengeschlechtlichen Partnerschaften und haben dort auch sexuelle Kontakte. Das heißt also, das ist nichts Ungewöhnliches. Wir wissen, dass die Sexualpräferenz ein Bestandteil der Persönlichkeit ist, und bei allen Bestandteilen der Persönlichkeit wissen wir aus der Psychotherapie-Wirkforschung, dass genuine Persönlichkeitsbestandteile sehr schwierig sind, wenn sie in der Therapie verändert werden sollen oder ins Gegenteil verkehrt werden sollen. Da sind mittlerweile die wesentlichen Forscher einig, dass sie sagen: Grundlegende Persönlichkeitseigenschaften, die werden wir nicht abschaffen oder ins Gegenteil verkehren können. Was wir aber können, ist, erfolgreich und effektiv behandeln, auch dahingehend, dass sich das sexuelle Interesse, zum Beispiel jetzt bei der Pädophilie das sexuelle Interesse an vorpubertären Kindern, dass sich das nicht als einziger Interessens- und Aufmerksamkeitsfokus der Person darstellt, sondern dass diese Person ihre gedankliche und Fantasiebetätigung aber eben auch ihr Verhalten ausweiten kann. Was können wir tun, damit Personen, die befürchten, Übergriffe zu begehen, nicht zum Täter werden?
Welty: Er hat das Präventionsnetzwerk Dunkelfeld mit aufgebaut, der klinische Sexualpsychologe Dr. Christoph Joseph Ahlers. Ich danke sehr für dieses Gespräch in der "Ortszeit“!
Ahlers: Danke ebenfalls!
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