Kinderpornografie

Renate Künast warnt vor populistischen Schnellschüssen

Grünen-Politikerin Renate Künast
Grünen-Politikerin Renate Künast © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Renate Künast im Gespräch mit Ute Welty |
Grünen-Politikerin Renate Künast weist bei einer Änderung des Strafrechts bei Kinderpornografie auf die schwierige Abgrenzung zum Privaten hin. Hierfür seien eindeutige Kriterien vonnöten.
Ute Welty: Ja, die Aufregung ist groß in der Affäre Edathy. Gegen den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten wird ermittelt. Er soll Bilder besessen haben, die offenbar nicht den Straftatbestand der Kinderpornografie erfüllen, aber gleichwohl grenzwertig gewesen sind. Kriminalbeamte und Kinderschützer fordern deswegen eine Überprüfung der gesetzlichen Regelungen, und CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach drückte es so aus: Nötig sei ein Straftatbestand, der sicherstelle, dass Minderjährige durch Nacktfotos nicht herabgewürdigt oder ausgenutzt würden. Dieses Thema dürfte auch für Renate Künast virulent werden als Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag. Guten Morgen, Frau Künast!
Renate Künast: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Sie und Wolfgang Bosbach sind ja nicht das, was man als politische Weggefährten bezeichnete – schließen Sie sich trotzdem seiner Forderung an nach einer Überprüfung?
Künast: Entschuldigung, aber dafür brauche ich nicht Herrn Bosbach. Die Debatte führen wir selber, und zwar nicht ganz platt, sondern uns mal auf das Thema konzentrierend. Vor einigen Jahren hat es ja eine Novelle gegeben des Rechts. Damals hat der Bundestag schon sehr intensiv diskutiert.
Ich würde jetzt dafür plädieren und habe schon dafür plädiert, diesen Vorfall, den wir jetzt diskutieren, einfach noch mal dazu zu nutzen, nachzudenken. Weil es im Augenblick so ist, dass Sie eine eindeutige sexuelle Handlung brauchen an, vor oder mit dem Kind, und bestimmte Posings sind strafbar, wo man sagen kann, das Kind steht eindeutig in Positur und man konzentriert sich auf die Geschlechtsmerkmale. Und genau an der Stelle ist es ja zum Teil unbefriedigend, weil es eben auch andere Bilder gibt, die – na, die könnte man begreifen unter dem Begriff sexuell aufreizende Darstellung von unbedeckten Genitalien oder des unbedeckten Gesäßes. Darüber müssen wir konkret diskutieren, aber wir müssen natürlich auch dafür sorgen, dass das ganz normale private Foto am FKK-Strand eben nicht unter die Strafbarkeit fällt.
Welty: Wie können Sie sicherstellen, dass diese Grenzziehung möglich ist, dass man nicht übers Ziel hinausschießt und am Ende Menschen unter Verdacht geraten, die in bester Absicht handeln oder in einfach privater Absicht handeln?
"In in Ruhe und seriös darüber unterhalten"
Künast: Ja, das ist genau das Schwierige. Wenn Sie sozusagen ein Kind in Schlafhaltung fotografieren, könnte das ja zum Beispiel so eine Frage sein. Ich weiß noch nicht genau, wie wir es sicherstellen, ich weiß, das ist jetzt sicherlich ein Thema, das uns alle emotional sehr stark angeht, wo wir sagen, wir müssen die Kinder schützen vor der Herabwürdigung, davor, zum Objekt degradiert zu werden, und natürlich davor, eines Tages über sich selbst zu erfahren, dass Bilder über einen selbst im Netz sind, die da ja nie wieder verschwinden.
Insofern ist ein besonderer Schutzbedarf, aber es heißt auch, dass wir uns sehr genau darauf konzentrieren müssen, wie könnte denn eine andere Formulierung gehen, die auch in der Praxis geht. Deshalb habe ich gerade eine genannt, die in der Fachwelt diskutiert wird, und ich bin dafür, dass wir vollkommen unabhängig vom augenblicklichen – also vom sogenannten Fall Edathy, von den ganzen Auseinandersetzung um das herum innerhalb der Koalition wir in Ruhe und seriös uns darüber unterhalten, mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, mit Fachleuten, und dazu gehören dann auch die Praktiker.
Welty: Es steht ja vor allem immer noch eine Überarbeitung an, denn der Gesetzgeber spricht ja immer noch und vor allem von Schriften – was im digitalen Zeitalter schon etwas antiquiert wirkt. Wenn Sie sich diesen Vorgang anschauen, sind Sie dann überhaupt hoffnungsvoll, was diese noch kompliziertere Aufgabe angeht?
Künast: Ja, wissen Sie, das Wort pornografische Schriften irritiert mich dabei gar nicht so sehr, das kann man einfach verändern. Das ist aber auch nicht der Kern –
Welty: Dauert aber jetzt auch schon Jahre.
Künast: Ja, der Kern ist aber, dass man guckt, was genau, welches Bild genau ist strafbar. Und das muss man tatsächlich richtig abgrenzen, weil das Bild eines nackten Kindes an sich kann man ja nicht bestrafen. Dann dürften Eltern keine Fotos ihrer Kinder mehr machen oder sie mindestens keinem Dritten – würden sich strafbar machen, sobald ein Dritter dieses Foto sieht. Und das kann man ja auch wieder nicht ernsthaft meinen.
Die Verbreitung als ein mögliches Kriterium
Welty: Aber wie lässt sich denn in einen Gesetzestext hineingießen, dass das eine nicht stattfindet und das andere sehr wohl erlaubt ist?
Künast: Na ja, wir könnten es zum Beispiel am gewerblichen und aber am Thema gewerblicher Umgang mit Bildern machen. Wir könnten die Verbreitung als Kriterium machen, um einen Punkt zu haben. Dann muss man aber auch die Kunst und Kultur davon abgrenzen, sonst würden wir demnächst in Museen Bilder abhängen. Sie erkennen daran, es ist schwierig. Deshalb will ich da auch nicht einfach populistisch losgehen, sondern sagen, wir müssen Kriterien entwickeln, die wir vielleicht sinnstiftend nutzen könnten.
Also so ein Begriff – sexuell aufreizende Darstellung von unbedeckten Genitalien oder so – könnte eine Begrifflichkeit sein. Aber auch da müssen wir uns dann, ich glaube, auch mit den Fachleuten bei der Polizei hinsetzen und gucken, ist das am Ende wirklich ein praktikabler Begriff. Aber da ungefähr könnte die Debatte losgehen. Das Wichtigste ist aber doch, dass wir, so tragisch es ist, Fälle, die bekannt werden, dazu nutzen müssen, die Debatte noch mal zu führen, in aller Ruhe. Und dann würde ich aber aus diesem Anlass gerne noch eine andere Debatte führen, nämlich, wie werden Kinder eigentlich ansonsten strukturell in Deutschland unterstützt.
Welty: Heißt?
Künast: Dass in den Ländern, dass in den Jugendhilfen, bei der freiwilligen Familienhilfe viel zu wenig Personal und Unterstützung ist. Wir hören ja immer bei sexueller Gewalt oder bei Gewalt, dass Jugendämter nicht rechtzeitig eingegriffen haben, dass sie viel zu viele Fälle haben. Also lassen Sie uns auch darüber diskutieren, wie eigentlich ein wachsames Auge auf die Entwicklung der Kinder geht in diesem Land. Dazu gehört auch eine finanzielle und personelle Ausstattung.
Welty: Wie können, wie müssen neue Regeln aussehen, die Kinder vor Missbrauch auch im weiteren Sinne schützen. Dazu im Interview der Ortszeit die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Renate Künast von den Grünen. Ich danke Ihnen!
Künast: Ich danke auch!
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