Täglich unter Generalverdacht

Zahlreiche Missbrauchsfälle sorgen dafür, dass vor allem männliche Erzieher unter Generalverdacht geraten. Das schreckt viele Männer ab, diesen Beruf zu ergreifen. Einblicke in den Alltag eines Erziehers in Berlin.
Frank Brennekam: "Ja, warum bin ich Erzieher geworden? Ich wollte immer was Soziales machen. Ich hatte viel mit Kindern zu tun, auch schon als Kind viel mit Kindern, denen ich was vorgespielt habe, und dann habe ich gedacht: Okay, machst du eben eine Erzieherausbildung, und die habe ich dann auch gemacht."
Er wirkt wie ein Riesenbaby, wenn er am viel zu niedrigen Kindertisch sitzt: Frank Brennekam, 53. Sein spitzbübischer Blick lässt ihn jünger erscheinen. Yunes, Dahlia und Gabriel sitzen artig neben ihm und lassen ihre Polizeiautos über den Tisch rollen. Seit 1989 betreibt Frank die Tagespflegestelle, acht Kinder betreut er zurzeit.
"Siehst du, Sigrid, das kommt da oben rein in die Ecke."
Es ist eine altersgemischte Gruppe von zwei bis fünf Jahren, fast alle Kinder haben ausländische Wurzeln. Gerade haben sie getobt, jetzt versammeln sie sich auf dem bunten Teppich im großen Spielzimmer.
Jeden Tag neu entscheiden
"So, wir machen mal, wir machen mal kurz wieder Obst und Gemüse raten. Mal sehen, was ihr noch kennt von den ganzen Sachen."
Frank hält verschiedene Tafeln in die Höhe. Ein festes pädagogisches Konzept hat er nicht. Er entscheidet jeden Tag neu, was er mit den Kindern unternimmt.
– "Gabriel, was ist das?"
– "Eine Erdbeere."
– "Hey super. Schmeckt die süß oder sauer?"
– "Süß."
– "Super, Erdbeeren sind süß."
– "Eine Erdbeere."
– "Hey super. Schmeckt die süß oder sauer?"
– "Süß."
– "Super, Erdbeeren sind süß."
Einfach mitzubekommen, wie schnell Kinder lernen können, also auch die Sprache lernen können. Und auch in einer gemischten Gruppe, wo alle Sprachen vorhanden sind, sich untereinander verständigen können. Es klappt trotzdem, wenn es Zeichensprache ist, aber: sie lernen einfach unheimlich schnell. Und das ist das Schöne daran.
– "Yunes, was ist denn das?
– "Eine Praprika."
– "Genau, und welche Farbe hat die Paprika?"
– "Rot."
– "Richtig, das ist eine rote Paprika."
– "Und es gibt auch noch gelbe und grüne."
– "Ist Paprika Obst oder Gemüse?"
– "Gemüse"
– "Hey Mann, Yunes, hast du etwa geübt zuhause?"
– "Eine Praprika."
– "Genau, und welche Farbe hat die Paprika?"
– "Rot."
– "Richtig, das ist eine rote Paprika."
– "Und es gibt auch noch gelbe und grüne."
– "Ist Paprika Obst oder Gemüse?"
– "Gemüse"
– "Hey Mann, Yunes, hast du etwa geübt zuhause?"
Eltern vernachlässigen zu oft ihren Erziehungsauftrag
Frank macht seine Arbeit sichtlich Spaß. Auch wenn er findet: die Verantwortung wächst, die Eltern vernachlässigen zu oft ihren Erziehungsauftrag. Ein Urteil, dass er sich nach 25 Jahren Berufserfahrung erlaubt.
"Ja. Weil: Erziehung an den Kindern wird immer lockerer gesehen. Das wird immer mehr den Medien überlassen, das wird immer mehr den PCs, den Computern und anderen überlassen. Es ist auch wichtig, dass die Eltern im Bewusstsein behalten, dass sie die größte Rolle spielen in der Erziehung. Und nicht die Erzieher das sind. Wir sind eigentlich die Unterstützer."
Wenn möglich, geht Frank einmal am Tag mit den Kindern raus an die frische Luft. Heute nicht, also wird die Betreuungseinrichtung selbst zum Abenteuerspielplatz. Stopptanz ist angesagt. Hört Frank auf zu trommeln, legen sich die Kinder schnell auf den Boden und dürfen sich nicht mehr bewegen. Was ihnen schwer fällt, denn kaum liegen sie, kitzelt Frank sie aus.
In der Gruppe haben einige Kinder allein erziehende Mütter, für sie ist der Tagesvater eine Art Ersatzpapa. Eine Rolle, die Frank gern annimmt.
Stopptanz und Lernspiele, Zähne putzen und Windeln wechseln
"Ja, sie kommen halt öfters kuscheln, auf einen auch zu, und man merkt es halt, dass sie sich mehr auf mich beziehen, um mit mir eben zu toben und reden auch anders mit mir. Gerade Yunes und Jawad, die dann hier eben mal kommen und so rumknuffen und ein bisschen grober sind. Das machen sie schon eher, weil sie wissen: sie können es mit mir dann schon machen auch."
"Jetzt könnt ihr mal alle im Kreis euch stellen und euch alle mal anfassen."
Mit den Kindern kuscheln? Frank Brennekam ist sich der möglichen Brisanz eines solchen Verhaltens sehr wohl bewusst. Männer stehen schnell unter dem Verdacht, Schutzbefohlene sexuell zu missbrauchen.
"Ich mache mir natürlich meine Gedanken, wenn ich so was auch mal im Fernsehen sehe so 'ne Berichte, wo ich dann denke: Ich lebe natürlich immer auf 'nem dünnen Eis. Und deswegen ist meine Vorsicht auch ein bisschen größer."
Vor kurzem kam er mit den Eltern eines Kindes nicht klar. Permanent stritt er sich mit ihnen um Erziehungsfragen, kurzerhand kündigte er den Betreuungsvertrag. Um zu verhindern, dass, wenn der Streit eskaliert wäre, sie versucht hätten, ihn als Pädophilen zu verunglimpfen. Aber, so sagt er, das war ein Einzelfall.
"Ich weiß nicht, ob man das so dramatisieren muss. Ich höre eigentlich gerade eher Sachen, wo die Leute sich freuen, dass es Männer machen, dass die das auch auffangen und dass es einfach 'ne tolle Sache ist. Ich empfinde das gar nicht so, dass uns das so nachgetragen wird. Oder dass wir damit ein großes Problem haben müssten."
"Und bravo, super, habt ihr gut gemacht."
Stopptanz und Lernspiele, Zähne putzen und Windeln wechseln: Der Tag im Kindergarten macht hungrig, das Mittagessen steht auf dem Tisch. Es gibt Nudeln mit Mais und Geflügelwurst, einer der Renner auf dem Speiseplan. Glücklich und zufrieden haben sich die Kinder an den Tisch gesetzt. Frank Brennekam freut sich, wenn er es wieder einmal geschafft hat, die Erziehung seiner kleinen Menschen im positiven Sinne beeinflusst zu haben.
"Wobei man immer hofft, dass es auch belohnt wird. (Lacht) Von allen Seiten. Vor ein paar Jahren habe ich eine Einladung bekommen von Kilian, das war aus meiner ersten Gruppe 1989, der dann seinen 18ten Geburtstag gefeiert hat, und es gab auch einige, die dann ihr Praktikum hier bei mir gemacht haben. Das ist natürlich toll zusehen, ne."
"Piep, piep, piep, guten Appetit, jeder isst, so viel er kann, nur nicht seinen Nebenmann."