Kinderbetreuung

Keine Kitakosten mehr in Berlin

Ein Erzieher malt am 07.07.2016 mit zwei Kindern in der Kindertagesstätte «Coworking Toddler» in Berlin ein Bild. Es begann mit einer Kampagne im Internet, jetzt startet das Projekt «Coworking Toddler» durch. Das Konzept will Eltern dabei helfen, Job und Familie besser zu vereinbaren.
Ein Erzieher kümmert sich um zwei Kinder. Berliner Kitas sind ab dem 1. August 2018 kostenfrei. © picture alliance / dpa / Sophia Kembowski
Von Anja Nehls · 01.08.2018
In Berlin zahlen Eltern künftig für die Betreuung ihrer Kinder keine Beiträge mehr, ganz gleich ob das Kinder in der Kita oder bei einer Tagesmutter bleibt. Ab 1. August 2018 ist die Kinderbetreuung auch für Kleinkinder unter einem Jahr kostenlos.
Die Kinder der Mäusekatergruppe der Kita ZAK im Berliner Südwesten singen und tanzen, die Füchse-Gruppe backt Muffins und die ganz kleine Krippenkinder machen gerade Mittagschlaf. Alles das ist jetzt für alle Kita-Kinder in Berlin kostenfrei – auch für die Unter-Einjährigen, gezahlt werden muss nur ein Kostenbeitrag fürs Essen. Kitaleiterin Evelin Giese findet das gut, denn es könnte dazu führen, dass wirklich jedes Kind eine Kita besucht:
"Ich finde, wenn Eltern sich dazu entscheiden aus entweder finanzieller Notwendigkeit, weil sie arbeiten gehen müssen oder auch einfach nur, damit ihr Kind mit anderen Kindern zusammen aufwächst, wie in so einer Kita, das ist ganz, ganz wichtig. Weil wir haben inzwischen eine Generation Kinder, die oft das allererste Mal in einer Kita das Wort Nein hört."
Als allererstes Bundesland hat Berlin die Kitagebühren jetzt komplett abgeschafft. Dafür hat die Bildungssenatorin Sandra Scheeres SPD lange gekämpft:
"Ich finde, dass das der richtige Weg ist. Und wir sind der Auffassung, dass das eine Entlastung für Familien darstellt, das ist auch immer ein Thema der Eltern gewesen und wir sind ja in den letzten Jahren viele Schritte gegangen. Und mein Prinzip war es immer, dass wir gesagt haben, Beitragsfreiheit, Kitaausbau und parallel Qualitätsverbesserung."

Berlin ist noch nicht am Ziel

Damit ist Berlin allerdings noch nicht am Ziel. Es fehlen circa 3000 Kitaplätze, weitere 6000 können nicht besetzt werden, hauptsächlich wegen fehlender Erzieher. Tausende Berliner Eltern warten händeringend auf einen Betreuungsplatz obwohl sie eigentlich seit fünf Jahren darauf einen Rechtsanspruch haben. 200 Millionen Euro will Berlin für den Ausbau jetzt nochmal in die Hand nehmen. Schon jetzt belegt die Stadt einen Spitzenplatz bei den pro Kopf Ausgaben für die Kitabetreuung. Viele Städte und Kommunen seien durch diese Kosten finanziell am Limit, sagt Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund: Durch die Elternbeiträge käme ohnehin nur ein Bruchteil der Gesamtkosten wieder herein.
Landsberg: "Und jetzt gibt es ja eine breite Diskussion, sollte man das nicht abschaffen, nach dem Motto, Bildung muss kostenlos sein. Meine Antwort: Nein, wir brauchen das Geld, damit die Qualität besser wird, damit die Einrichtung besser wird, damit die Leute besser ausgebildet werden. Und – ganz wichtiges Argument – wer sich das nicht leisten kann, zahlt ja gar keine Kindergartenbeiträge."

Für Kinder mit Sprachdefiziten ist die Kita verpflichtend

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat sich in die Diskussion eingemischt. Sie will mit 3,5 Milliarden Euro aus dem Gute-Kita-Gesetz Länder und Kommunen auch dabei unterstützen, Schritt für Schritt beitragsfrei zu werden. Als ehemalige Bezirksbürgermeisterin des Berliner Brennpunktbezirks Neukölln ist ihr das wichtig:
"Ich habe erlebt vor Ort, was es bedeutet, wenn Kinder in die Schule kommen und extreme Sprach-und Entwicklungsverzögerungen haben, eben nicht das mindeste können, Schere halten, Stift halten, mit Knete umgehen. Und es ist wichtig, dass wir es schaffen, dass jedes Kind es packt – und dafür braucht es eine gute frühkindliche Bildung."
Für Kinder mit Sprachdefiziten ist deshalb in Berlin der Kitabesuch sogar verpflichtend.
Die Gebühren unterscheiden sich dabei selbst innerhalb der Bundesländer erheblich. Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung sind sie in Schleswig-Holstein am höchsten. Knapp neun Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens geben Familien hier für die Kinderbetreuung aus. Im beitragsfreien Berlin sind es gerade mal zwei Prozent.
Michaela Buchwald ist Mutter von vier Kindern, die allesamt eine Kita in Bad Oldesloe besuchen. Sie weiß, dass sie im nahen Hamburg inzwischen einen kostenlosen Halbtagsplatz bekommen könnte:
"Also grundsätzliche finde ich einmal die Ungleichbehandlung, in dieser engen regionalen Grenze, die finde ich sehr extrem. Also, wenn ich mir überlege: Meine Kollegen zahlen nichts, wir zahlen 800 Euro, finde ich das schon heftig."

Unfaire Staffelung der Beitragssätze

Und: Ärmere Familien zahlen trotz gestaffelter Beiträge circa zehn Prozent ihres Einkommens für die Kinderbetreuung, wohlhabendere nur fünf Prozent, so Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung.
"Das ist sehr unfair, dass Eltern so ungleich belastet werden und dass der Wohnort darüber entscheidet. Das Hauptproblem dabei sind die Kinder, denn gute Kita heißt gute Bildungschancen –und wenn die Barrieren da sind durch die Gebühren, heißt das ja auch, dass Kitagebühren Bildungsbarrieren darstellen können."
Weil Eltern mit geringem Einkommen, die die Staffelgrenze für niedrige Beiträge oder eine Befreiung knapp verfehlen, ihr Recht auf einen Kitaplatz dann womöglich nicht wahrnehmen, so Stein.
Die Leiterin der Kita Zak in Berlin hält die Gebührenfreiheit deshalb für richtig. Aber sie warnt auch:
"Was wir pädagogisch merken zu der Gebührenbefreiung ist, dass wir auch gerne wertlos gemacht werden damit. Es kostet die Eltern letztendlich für einen Kitaplatz 23 Euro Essen im Monat und das spüren wir im Umgang."
In Hessen und Niedersachsen fallen die Kindergarten-Gebühren ebenfalls ab sofort weg – allerdings nur für über Dreijährige, in Brandenburg im letzten Jahr vor der Schule. In Rheinland-Pfalz gilt Beitragsfreiheit schon lange für Kinder ab zwei und in Hamburg für alle, allerdings nur fünf Stunden am Tag.
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