Kinder- und Jugendpsychiater zur vierten Welle

Junge Menschen in Impfentscheidung einbeziehen

08:31 Minuten
Eine Mutter sitzt mit ihren beiden Kindern wartend in einem Impfzentrum und übergibt ihrem älteren Sohn eine Karte.
Für viele Eltern ist es eine schwierige Entscheidung, ob sie ihre Kinder impfen lassen sollten. © KEYSTONE
Jakob Hein im Gespräch mit Stephan Karkowsky  · 29.06.2021
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Vor schweren Corona-Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen im Herbst warnt der Psychiater und Schriftsteller Jakob Hein. Er findet, dass junge Leute nach ärztlicher Beratung mitentscheiden sollten, ob sie sich impfen lassen.
Mit Sorge blickt der Kinder- und Jugendpsychiater und Schriftsteller Jakob Hein auf den Herbst. "Die vierte Welle kommt, es wird vielleicht Delta sein, vielleicht aber sogar schon die nächste Variante", sagt der Arzt. Schon in zwei Wochen werde Delta das Pandemiegeschehen dominieren.


Die Mädchen und Jungen hätten bereits erlebt, wie schrecklich das Lockdown-Geschehen gewesen sei und wie wenig manche Schulen darauf vorbereitet gewesen seien, so Hein. Mit Blick auf den Herbst sagt er: "Wir versammeln in Schulen dann eine nicht-geimpfte Bevölkerung und die Politik wird sich kaum anders entscheiden können, als dann teilweise Schulen zu schließen, um Infektionsherde einzudämmen."
Zudem gebe es auch Medien, deren Geschäft es sei, nicht etwa sachlich, sondern "hochemotionalisiert mit großen Buchstaben und großen Fragezeichen" zu berichten - und das vor der Bundestagswahl.

Warnung vor schweren Verläufen

Dass unter den nichtgeimpften Kindern und Jugendlichen voraussichtlich jeder Hundertste ins Krankenhaus kommen könnte, findet der Kinderpsychiater beunruhigend. "Das heißt, dass in jeder Grundschule so zwei, drei, vier Fälle ins Krankenhaus gehen."
An diesem Punkt würden viele Kinder und Eltern "mit den Oberarmen abstimmen" und eine Impfung wünschen, erwartet der Arzt. Sie würden sehen, wie dramatisch sich das entwickeln könne und gerne auf diese Erfahrung verzichten.

"Das ist nicht wenig, jedes hundertste Kind wird so schwer krank werden", widerspricht der Arzt einer Argumentation, dass die meisten Kinder keinen schweren Krankheitsverlauf erlebten. Es sei wunderbar, dass viele Kinder nicht schwer oder gar nicht betroffen seien. "Aber jedes hundertste Kind - das ist verdammt dramatisch", so der Psychiater. "Bei den Masern ist es jeder tausendste und wir sagen, eine Impfung ist verpflichtend."

Kinder sollten selbst über Impfung entscheiden

Er wundere sich darüber, dass immer nur über die Kinder gesprochen werde, sagt Hein. Die Eltern könnten zwar die Unterschrift geben oder verweigern, aber die Kinder wollten und müssten selbst entscheiden. "Gerade die, die im Moment geimpft werden können, sind alle älter als zwölf", so der Kinder- und Jugendpsychiater. "Das sind ja keine Säuglinge, über die wir hier reden, sondern entscheidungsfähige, junge Menschen, gut informiert über ihre Kanäle und mit einem festen Willen ausgestattet."
Ein 14-jähriges Mädchen könne das genauso gut entscheiden wie eine 43-jährige Frau. Natürlich müssten Mediziner dabei die Gesundheitsberatung übernehmen.
(gem)
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