Kinder haften für ihre Eltern

Von Jörg Lau |
50 Milliarden Euro sind viel Geld. Sollte man glauben. So viel gibt Deutschland im zweiten Konjunkturpaket aus, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen - oder doch jedenfalls, um das Abgleiten in eine richtige Depression zu verhindern.
Aber sind 50 Milliarden auch genug? Die Wahrheit ist, wir wissen es nicht, und die Experten wissen es auch nicht. Die Amerikaner hätten gerne, dass wir noch mehr ausgeben. Die Bundesregierung hält dagegen, das zweite Konjunkturprogramm sei immerhin das größte in der deutschen Geschichte, und das drittgrößte weltweit.

Zu groß, zu klein? Offenbar sind uns seit dem letzten Herbst die Maßstäbe entglitten, um die riesenhaften Summen einzuordnen, mit denen wir nun täglich hantieren. Dabei geht es in der Debatte vor allem um die kurzfristige Wirkung der Maßnahmen. Wann kommt die Wende an der Börse, wann ist die Talsohle am Arbeitsmarkt erreicht?

Ein Kriterium wird auffallend selten überhaupt noch erwähnt: Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit war einmal ein regelrechtes Modewort. Politische Entscheidungen sollten sich nicht nur danach rechtfertigen müssen, ob sie hier und jetzt zum Gemeinwohl beitragen. Sie dürfen auch nicht - das bedeutet ja der Begriff Nachhaltigkeit - die Lebensgrundlagen kommender Generationen gefährden.

In Wahrheit jedoch schreiben wir mit unseren Konjunkturprogrammen gerade den Generationenvertrag um. Unsere horrenden Ausgaben sind eine Wette, die ungefähr so funktioniert: Wir retten die Wirtschaft jetzt, ihr zahlt die Rechnung später. Ungewiss ist an dieser Wette, ob die Konjunktur wirklich gerettet werden wird. Sicher ist allerdings, dass jemand die Rechnung wird zahlen müssen.

Jemand? Unsere Kinder werden dafür aufkommen müssen. Sehr wahrscheinlich bedeutet das: Sie werden mehr Steuern zahlen müssen, um die Staatsschulden auszugleichen. Und sie müssen sich zugleich auf geringere Leistungen des Staates einstellen. In anderen Worten: Wir nehmen heute schon künftige Generationen mit in Haftung für ein Desaster, das wir selbst, wir heute Gegenwärtigen, angerichtet haben. Das ist das Gegenteil von Generationengerechtigkeit.

Der ökologische Gedanke hat sich allgemein durchgesetzt: Wir besitzen die natürlichen Lebensgrundlagen nur treuhänderisch für unsere Kinder und Kindeskinder. Darum nennen wir einen Anreiz zum Kauf neuer Autos heute "Umweltprämie". Ob die Umwelt- oder Abwrackprämie wirklich der Umwelt hilft, wird zwar bezweifelt. Hunderttausende neue Autos sind zunächst einmal eine enorme Umweltbelastung. Aber immerhin ist der Umweltgedanke selbst noch in der etwas verlogenen Namensgebung der Umweltprämie enthalten.

Für Generationengerechtigkeit hingegen, scheint es, haben wir in der Krise einfach keinen Sinn. Wir verfügen heute über Mittel, die andere einst werden aufbringen müssen. In gewissem Maß ist das immer so in der Politik. Aber unsere Entscheidungen heute müssen auch künftigen Generationen Entscheidungsspielraum übrig lassen.

Kommende Generationen können naturgemäß nicht gefragt werden, während wir mit unseren Konjunkturprogrammen einen neuen Generationenvertrag schreiben. Dass sie aber nicht einmal mehr erwähnt werden, ist ein Alarmzeichen.

In der Politik ist mit dem Wahlkampf der Wettkampf voll entbrannt, wer am schnellsten und meisten rettet. Es sollte aber auch eine Rolle spielen, wer dabei künftigen Generationen am meisten verbaut.


Jörg Lau war Literaturredakteur der "tageszeitung" und ist Mitarbeiter der "Zeit" in Berlin. Letzte Buchveröffentlichung: "Hans Magnus Enzensberger. Ein öffentliches Leben".