Kinder brauchen Zeit
Bekommen Paare tatsächlich Kinder, weil sie dadurch Steuern sparen können? Warum ist dann die Geburtenrate hierzulande so niedrig, trotz Ehegatten-Splitting? Weil es eben nicht nur um Steuern geht, sagt der Hamburger Publizist und Psychologe Martin Tschechne. Er argumentiert: Es geht vor allem um viel Zeit.
Manchmal liegt bedeutender Fortschritt der Wissenschaft schon darin, die eigenen Grenzen zu akzeptieren. In der Medizin zum Beispiel: Ja, räumen die entsprechenden Spezialisten ein, es gibt so etwas wie eine biologische Uhr, die festlegt, von welchem Alter an es problematisch werden könnte, noch ein Kind zu bekommen. Und: Nein, auch mit allen Finessen der modernen Reproduktionsmedizin, anhalten lässt sich diese biologische Uhr nicht.
Eine Frau sollte sich, wenn sie die 35 oder 40 erreicht und überschritten hat, vom Wunsch nach einer Familie mit eigenen Kindern langsam verabschieden. Vielleicht war er nicht so ernst gemeint. Und wenn doch? Die Mediziner zucken mit den Achseln: Dann wäre es eine gute Idee gewesen, die Sache früher in Angriff zu nehmen.
Erst vor diesem Hintergrund klingt es auch nicht mehr paradox, was die Vertreter anderer Disziplinen zu solchen Befunden beizusteuern haben. Obwohl die Lebenserwartung ständig steige, so sagen sie, obwohl ein Kind, das heute in Deutschland, Österreich oder der Schweiz geboren werde, gute Aussichten habe, einmal hundert Jahre alt zu werden - die Zeit zur Gründung einer Familie verlängere sich nicht etwa entsprechend. Im Gegenteil, sie werde gerade in diesen hoch zivilisierten Ländern immer kürzer.
Wie das kommt, erklären Soziologie, Ökonomie, auch Psychologie. Fast die Hälfte aller Schüler in Deutschland erreicht heute die Hochschulreife; in der Generation der Eltern war es noch etwa jeder Dritte. Daraus ergibt sich ein höherer Anspruch an die Bildung und eine längere Zeit, die dafür aufgewendet wird. Und viel länger als noch vor fünf oder zehn Jahren ist die Spanne der Unsicherheit, die sich anschließt.
Allzu oft hangeln sich Berufsanfänger mit Zeitverträgen über Jahre hinweg; Arbeitgeber halten sie hin, und viele warten lange, bis sie so etwas wie eine Perspektive fürs Leben erkennen können.
Denkt einer in solcher Lage daran, eine Familie zu gründen? Vielleicht doch besser später. Hoffentlich bleibt dann noch Zeit dazu. Bei jungen Akademikern sind es 80 Prozent, die sich Kinder wünschen, aber nur 30, denen es gelingt, diesen Wunsch auch wahr zu machen.
Kürzlich stellten die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und die Nationale Akademie Leopoldina eine Studie vor, die zum Modell für praxisnahe Forschung werden könnte. Was diese Studie "Zukunft mit Kindern" nämlich wie nebenbei deutlich macht, sind die Vorzüge der Zusammenarbeit über die Grenzen klassischer Disziplinen hinweg. Und zweitens: Auch die Erkenntnis, die solche Forschung bereitstellt, hat eine neue Qualität. Sie geht über das spezielle Detail hinaus, umfasst Zusammenhänge - und liefert genau damit nutzbares Wissen für Wirtschaft und Politik.
Was also ist zu tun, damit nicht weiterhin der Wunsch nach Kindern und der nach Karriere in Konkurrenz zueinander stehen, für viele Frauen einander gar ausschließen? Die Empfehlungen der Forscher können sich da nicht auf Kosmetik beschränken. Was sie fordern, bedeutet im Kern, die Perspektive der Familienpolitik komplett umzukehren.
Nämlich: die Kinder fördern und nicht eine Idee von Familie. Das Ehegatten-Splitting bei der Steuer zurückschneiden, stattdessen eine Grundsicherung für jedes Kind bereitstellen - egal, ob es nun bei Ehegatten aufwächst, in einer Patchwork-Gemeinschaft oder bei allein erziehenden Eltern. Eine Infrastruktur gehört dazu, die nicht nur Vorschul-, sondern auch Schulkinder pädagogisch betreut und fördert, bis berufstätige Eltern sie übernehmen können.
Was die Gemeinschaft aber vor allem bereitstellen muss, ist Zeit. Zeit für die Familie, so abgesichert und so unterstützt, dass niemandem ein Nachteil daraus erwächst, wenn zu seiner oder ihrer Lebensplanung auch Kinder gehören.
Martin Tschechne hat zwei tolle Söhne. Es hätten ruhig mehr Kinder sein dürfen - aber dazu hätte er früher und mutiger mit der Familienplanung beginnen müssen. Der Journalist und Autor lebt mit seiner Familie in Hamburg. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie DGPs zeichnete ihn kürzlich mit ihrem Preis für Wissenschaftspublizistik aus.
Eine Frau sollte sich, wenn sie die 35 oder 40 erreicht und überschritten hat, vom Wunsch nach einer Familie mit eigenen Kindern langsam verabschieden. Vielleicht war er nicht so ernst gemeint. Und wenn doch? Die Mediziner zucken mit den Achseln: Dann wäre es eine gute Idee gewesen, die Sache früher in Angriff zu nehmen.
Erst vor diesem Hintergrund klingt es auch nicht mehr paradox, was die Vertreter anderer Disziplinen zu solchen Befunden beizusteuern haben. Obwohl die Lebenserwartung ständig steige, so sagen sie, obwohl ein Kind, das heute in Deutschland, Österreich oder der Schweiz geboren werde, gute Aussichten habe, einmal hundert Jahre alt zu werden - die Zeit zur Gründung einer Familie verlängere sich nicht etwa entsprechend. Im Gegenteil, sie werde gerade in diesen hoch zivilisierten Ländern immer kürzer.
Wie das kommt, erklären Soziologie, Ökonomie, auch Psychologie. Fast die Hälfte aller Schüler in Deutschland erreicht heute die Hochschulreife; in der Generation der Eltern war es noch etwa jeder Dritte. Daraus ergibt sich ein höherer Anspruch an die Bildung und eine längere Zeit, die dafür aufgewendet wird. Und viel länger als noch vor fünf oder zehn Jahren ist die Spanne der Unsicherheit, die sich anschließt.
Allzu oft hangeln sich Berufsanfänger mit Zeitverträgen über Jahre hinweg; Arbeitgeber halten sie hin, und viele warten lange, bis sie so etwas wie eine Perspektive fürs Leben erkennen können.
Denkt einer in solcher Lage daran, eine Familie zu gründen? Vielleicht doch besser später. Hoffentlich bleibt dann noch Zeit dazu. Bei jungen Akademikern sind es 80 Prozent, die sich Kinder wünschen, aber nur 30, denen es gelingt, diesen Wunsch auch wahr zu machen.
Kürzlich stellten die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und die Nationale Akademie Leopoldina eine Studie vor, die zum Modell für praxisnahe Forschung werden könnte. Was diese Studie "Zukunft mit Kindern" nämlich wie nebenbei deutlich macht, sind die Vorzüge der Zusammenarbeit über die Grenzen klassischer Disziplinen hinweg. Und zweitens: Auch die Erkenntnis, die solche Forschung bereitstellt, hat eine neue Qualität. Sie geht über das spezielle Detail hinaus, umfasst Zusammenhänge - und liefert genau damit nutzbares Wissen für Wirtschaft und Politik.
Was also ist zu tun, damit nicht weiterhin der Wunsch nach Kindern und der nach Karriere in Konkurrenz zueinander stehen, für viele Frauen einander gar ausschließen? Die Empfehlungen der Forscher können sich da nicht auf Kosmetik beschränken. Was sie fordern, bedeutet im Kern, die Perspektive der Familienpolitik komplett umzukehren.
Nämlich: die Kinder fördern und nicht eine Idee von Familie. Das Ehegatten-Splitting bei der Steuer zurückschneiden, stattdessen eine Grundsicherung für jedes Kind bereitstellen - egal, ob es nun bei Ehegatten aufwächst, in einer Patchwork-Gemeinschaft oder bei allein erziehenden Eltern. Eine Infrastruktur gehört dazu, die nicht nur Vorschul-, sondern auch Schulkinder pädagogisch betreut und fördert, bis berufstätige Eltern sie übernehmen können.
Was die Gemeinschaft aber vor allem bereitstellen muss, ist Zeit. Zeit für die Familie, so abgesichert und so unterstützt, dass niemandem ein Nachteil daraus erwächst, wenn zu seiner oder ihrer Lebensplanung auch Kinder gehören.
Martin Tschechne hat zwei tolle Söhne. Es hätten ruhig mehr Kinder sein dürfen - aber dazu hätte er früher und mutiger mit der Familienplanung beginnen müssen. Der Journalist und Autor lebt mit seiner Familie in Hamburg. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie DGPs zeichnete ihn kürzlich mit ihrem Preis für Wissenschaftspublizistik aus.