Kinder als Kriegsbeute

Von Stefan Keim |
Die besondere Leidenschaft des US-Dramatikers Neil LaBute ist es, den Grausamkeiten nachzuspüren, zu denen scheinbar zivilisierte Menschen fähig sind. Die Einakter, die das Theater Bonn derzeit zeigt, sind dafür beste Beispiele. Dass die Uraufführungen dort gezeigt werden können, ist einer Mailfreundschaft LaButes mit der Schauspielerin Birte Schrein zu verdanken.
"Du kannst die Kinder haben."

Locker und ruhig tropft der Satz von den Lippen der Frau, ihre Augen sind kalt. Der Mann, der bald ihr Ex-Mann werden soll, ist verstört. Die Gefühlsgranate hat getroffen. Er wird nervös, mag es nicht verstehen, dass sie so gar keinen Mutterinstinkt spürt. Die Vorstellung, er müsse nun selbst die Kinder versorgen, ist ihm ein Grauen.

Er wollte sie nie haben, in die Vaterschaft ist er "reingeschliddert" wie das Deutsche Reich in den ersten Weltkrieg. Als das geklärt ist, herrscht Waffengleichstand. Die Kinder sind Opfer und Beute in diesem Geschlechterkampf. Wenn niemand sie haben will, sind sie wertlos.

Neil LaBute zeigt wieder einmal, zu welchen Grausamkeiten scheinbar zivilisierte Menschen fähig sind. In seinem Einakter "Der große Krieg" lässt er die beiden Gegner Parallelen zu den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts ziehen. Schon zum zweiten Mal zeigt das Theater Bonn in seiner Werkstatt Uraufführungen des erfolgreichen US-Dramatikers und Filmregisseurs, dessen Nachbarschaftsthriller "Lakeview Terrace" mit Samuel L. Jackson gerade in den deutschen Kinos gestartet ist.

LaBute war nie in Bonn, sein besonderes Verhältnis zu diesem Theater basiert auf einer Mailfreundschaft mit der Schauspielerin Birte Schrein. Die hatte ihm vor einigen Jahren geschrieben, weil sie sein Stück "Wie es so läuft", das in Bonn extrem gut lief, sehr mochte. LaBute antwortete sofort, es enstand ein intensiver Dialog über Theater, Leben und Politik.

Als Birte Schrein dem Dramatiker schrieb, sie sei schwanger und bekäme keine Rollen mehr, schrieb LaBute ihr das kurze Stück "Helter Skelter", in dem die Hauptfigur bald ein Kind bekommt. Die Uraufführung - kombiniert mit zwei weiteren Texten - war ein Erfolg. Und LaBute fand Gefallen daran, für Birte Schrein, die er nur zweimal kurz getroffen hat, Stücke zu verfassen. So kam es nun zur Uraufführung der nächsten drei Einakter.

Es sind keine bedeutenden Werke, eher Variationen bekannter Themen, dramatische Fingerübungen. Aber die können ja einen besonderen Reiz entfalten, weil sich in solchen Texten oft das Wesen eines Dramatikers direkt erfahren lässt. So etwas geschieht am Ende von "Der große Krieg".

Da tritt die Schauspielerin aus ihrer Rolle, weigert sich, die Scheußlichkeiten zu Ende zu spielen, ruft die Zuschauer auf, nach Hause zu gehen und ihre Kinder in den Arm zu nehmen. Ihr Partner - der überragende Yorck Dippe spielt alle Männerrollen des Abends - reagiert aggressiv, will sie zum Weiterspielen zwingen, verlässt schließlich entnervt die Bühne. Natürlich folgt niemand den verzweifelten Appellen der Schauspielerin, langsam geht das Licht aus.

Sie muss einsehen, dass ihre Worte keine Wirkung haben. Hier reflektiert der Moralist Neil LaBute sein eigenes Tun, denn alle seine Stücke haben diese Botschaft, sprechen sie nur nicht so deutlich aus. Immer zeigt er die Schrecken der Welt, um sie zu verarbeiten und weil er auf ein Umdenken hofft. Aber mit Theaterstücken lässt sich eben nicht die Welt verändern.

Der Einakter "Die Furien" verweist schon im Titel auf antike Tragödien. Auch das führt direkt in LaButes Theaterverständnis. Er will durch Jammern und Schaudern eine Katharsis, eine Reinigung erreichen. Eine Frau (wieder Birte Schrein) will sich von ihrem Lebensgefährten Jimmy trennen. Der bringt zum klärenden Gespräch seine Schwester (abgründig Anke Zillich) mit, die gerade eine Krankheit an den Stimmbändern hat und ihrem Bruder ständig ins Ohr flüstert.

In Jennifer Whighams detailtreuer, manchmal etwas zu respektvoll die Texte nachbuchstabierender Inszenierung, wirken die beiden wie amerikanische Landbewohner aus den Filmen der Coen-Brüder. Schrullig, leicht debil, seltsam - und sekundenschnell können sie sehr bedrohlich werden. Der abschließende Einakter "Was Ernstes" erzählt von einer Frau, die auf ihren Traummann wartet, und ist dramaturgisch überflüssig.

Stärkere Wirkung entfalten die Stücke zuvor. Jennifer Whigham inszeniert mit wenigen Mitteln präzise Situationen, die Zuschauer lachen oft, doch die absurden Situationen kippen immer wieder ins Grauen. LaButes Seelenkrüppel sind wir alle, er schreibt beunruhigende Zeitstücke über Menschen, die auf schmalem Grat balancieren und jederzeit in Gewaltrausch und Perversion stürzen können.