Kinder als Handelsware

Schwierige Ermittlungen, hohe Dunkelziffer

07:17 Minuten
Ein kleines Kind hält sich die Augen zu. Dahinter schwarzer Hintergrund.
Handel mit Kinder und Jugendlichen: "Man redet ihnen ein, dass sie schuldig sind", sagt die Kriminalpolizistin Heike Rudat. © Unsplash / Caleb Woods
Von Ina Jackson und Kristine Kretschmer · 06.07.2020
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Menschenhandel – dabei denkt man an Prostituierte und Zwangsarbeiter, auf jeden Fall an Erwachsene. Aber auch Kinder und Jugendliche werden zu Opfern dieses grausamen Geschäfts. Dagegen vorzugehen ist für Polizei und Behörden alles andere als leicht.
Wenn Kinder ausgebeutet werden, wenn sie dazu gebracht werden, sich zu prostituieren, zu klauen oder zu betteln, sind sie für Polizei und Staatsanwaltschaft immer Opfer. Niemals Täter - egal, was sie getan haben.
"Man berücksichtigt hier, dass Kinder und Minderjährige stärker manipuliert werden können als es ein Erwachsener kann", sagt Heike Rudat. "Das heißt, es müssen nicht offensichtliche äußere Faktoren dazukommen, weil Minderjährige per se stärker verletzlich sind."
Heike Rudat arbeitet seit langem als Kriminalbeamtin in Berlin. Seit einigen Jahren ist sie Menschenhandelsbeauftragte beim Bund Deutscher Kriminalbeamter. Schon in den 1990er-Jahren kämpfte sie vehement für ein eigenes Kommissariat beim Berliner Landeskriminalamt. 2013 war es so weit. Bis heute ist es das einzige Kommissariat in Deutschland, das sich ausschließlich um den Handel mit Kindern kümmert.

Steigende Anzahl von Verfahren

Seitdem steigt die Zahl der Verfahren von Kinderhandel zum Nachteil Minderjähriger. 2018 landeten 149 Verfahren mit 172 Opfern vor Gericht. In der überwiegenden Mehrzahl - genau in 142 Fällen - ging es um kommerzielle sexuelle Ausbeutung, fünfmal wurden Minderjährige zur Begehung einer Straftat eingesetzt, je ein Verfahren fand wegen Arbeitsausbeutung und wegen Adoptivhandels statt. Diese Zahlen mögen niedrig wirken, doch Fachleute gehen von einer sehr hohen Dunkelziffer aus.
"Die Ermittlungen in dem Bereich des Handels mit Kindern stellen uns vor sehr große Probleme", sagt Heike Rudat. "Wie kommen wir an die Informationen ran? Schon im Bereich des Menschenhandels zum Nachteil von Erwachsenen kommen in der Regel die Opfer nicht zur Polizei. Und im Bereich von Minderjährigen haben wir sehr oft eine doppelte Traumatisierung. Das heißt, diese Kinder und Jugendlichen sind missbraucht worden. Diese Minderjährigen, diese Kinder und Jugendlichen sind gehandelt worden, und man redet ihnen ein, dass sie schuldig sind."

"Wir haben Netzwerke aufgebaut"

Ein Zimmer, ein Kind, eine Kamera - und Kunden, die bereit sind, dafür zu bezahlen, dass sie mit Kindern alles machen können, was ihnen sexuelle Befriedigung verschafft. Staufen vor zwei Jahren, Bergisch-Gladbach und Münster im Juni diesen Jahres. Drei Orte, drei Fälle und eine besonders grausame Spielart von Kinderhandel: sexuelle Ausbeutung. Doch wie kommen die Ermittlerinnen und Ermittler an die Täter? Heike Rudat berichtet, wie sie und ihr Team anfangs völlig neue und unkonventionelle Ermittlungswege einschlagen mussten.
"Wir haben Netzwerke aufgebaut", erklärt sie, "weil wir immer mehr erfahren haben, dass sequentielle Informationen bei Lehrern, bei Jugendamtsmitarbeitern, bei Erziehern, auch bei den Kollegen zum Teil auf den Abschnitten vorgelegen haben, die für sich genommen aber nicht den Anfangsverdacht einer solchen Straftat gegeben haben. Aber diese Informationen mussten vernetzt, verknüpft werden und dann geprüft werden."
Wenn sich der Tatverdacht erhärtet und die Kriminalpolizei Täter ermittelt hat, steht die nächste Herausforderung an: Eine Gerichtsverhandlung, bei der die Taten bewiesen werden müssen. Nicht leicht, wenn die Opfer Kinder sind, die womöglich auch eine emotionale Bindung zu ihren Peinigern aufgebaut oder einfach nur Angst vor ihnen haben.
"Die Aussage des Opfers ist maßgeblich für die Verurteilung des Täters. Und so müssen wir diese Betroffenen stabilisieren und, um letztendlich auch den Angriffen der Verteidigung im Prozess widerstehen zu können. Und das macht diese Ermittlung, das macht letztendlich die Prozesse auch dermaßen schwierig", sagt Heike Rudat.

Wohl der Kinder steht im Vordergrund

Ein Problem, mit dem auch die Berliner Staatsanwältin Laura Burens-Stratigakis zu kämpfen hat: "Wir versuchen, ganz großflächig natürlich auch andere Beweise zu erlangen, sei es durch verdeckte Maßnahmen, Observationsmaßnahmen, oder Telefonüberwachungsmaßnahmen, sei es durch andere Zeugen, die vielleicht Auskunft dazu geben können und so dann Verfahren auch abzusichern, dass es letzten Endes nicht alleine auf die Aussage des Zeugen ankommt."
Denn im Vordergrund stehe immer und unbedingt das Wohl der Kinder und Jugendlichen.
"Um gerade auch eine Retraumatisierung durch eine erneute Zeugenvernehmung vor Gericht zu verhindern, gehen wir dazu über, dass man frühzeitig im Ermittlungsverfahren schon Zeugen vernehmen lässt vor den Ermittlungsrichtern", erklärt die Staatsanwältin. "Dadurch kann ihre Zeugenvernehmung später auch durch eine Videobotschaft in die Hauptverhandlung eingespielt werden, ohne dass das Kind dann noch mal vernommen werden muss. Was ja viel besser ist für das Kind, weil das soll sich nach Monaten ja auch irgendwann mal von dem Sachverhalt lösen können und versuchen, wieder ein normales Leben aufzunehmen."
Doch was, wenn die eigenen Eltern Beschuldigte sind, die Kinder gegen sie aussagen müssen? Polizei und Staatsanwaltschaft versuchen dann, die Kinder von den Erwachsenen zu trennen, einen Schutzraum für diese Kinder zu finden und ihnen zur Seite zu stehen im juristischen Kampf. Eine wichtige Maßnahme, für die es allerdings bisher noch an Räumen und Fachleuten mangelt.
"Man muss in einen Bereich Personal investieren, in dem man erstmal noch nicht allzu viel Hellfeldzahlen hat", sagt Heike Rudat.

Polizistinnen und Polizisten sensibilisieren

Es geht bei Kinderhandel nicht nur um sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Die Polizistinnen und Polizisten müssten noch stärker sensibilisiert werden – nur dann könne das Gesetz gegen Kinderhandel ernsthaft umgesetzt werden.
Staatsanwältin Laura Burens-Stratigakis: "Tatsächlich ist es auch wichtig, dass der Polizeibeamte, der Streife fährt, auch bei einem Ladendiebstahl realisiert, das ist vielleicht ein minderjähriger Täter auch, der da gerade drei Parfums bei Douglas eingesteckt hat, aber gleichfalls kann das eben auch ein Opfer von Menschenhandel sein. Und es geht eben darum, diese einzelnen Opfer von verschiedenen anderen Deliktsformen des Menschenhandels zu identifizieren. Das ist glaube ich das große Problem, was wir noch haben, aber wo wir immer besser werden."
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