"Kind, dieser Tristan wird was Furchtbares!"

Der Komponist Richard Wagner, Foto eines Gemäldes von 1843
Der Komponist Richard Wagner, Foto eines Gemäldes von 1843 © picture alliance / dpa / Zentralbild
Von Sabine Fringes · 09.02.2013
In einem Brief an seine Muse Mathilde Wesendonk prophezeit Richard Wagner im Jahr 1859, was sich im Laufe der kommenden Jahrzehnte erfüllen soll: "Kind, dieser Tristan wird was Furchtbares! Dieser letzte Akt! Ich fürchte, die Oper wird verboten, nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen."
In ganz Europa breitet sich seine Musik aus, in keinem Land jedoch macht sie die Leute so verrückt wie in Frankreich: "In diesem Werk steckt genug Musik für ein ganzes Jahrhundert; der Mann hat uns nichts mehr zu tun übrig gelassen!", soll Emmanuel Chabrier verzweifelt nach einer Aufführung von "Tristan und Isolde" ausgerufen haben.

Während sich die Komponisten mit einer Art Hassliebe an dem Titanen aus Deutschland aufreiben, entdecken Dichter wie Baudelaire, Verlaine und Mallarmé in Wagners Werken den Anbruch einer neuen Ästhetik und in Wagner selbst den Meister einer neuen Kunst. 1885 erscheint in Paris eine eigene, dichterisch orientierte Zeitschrift. Wie eine Krankheit breitet sich die Wagner-Begeisterung aus, die neben Komponisten, Dichtern und Malern bald auch immer mehr Menschen der Pariser Oberschicht ergreift.

Dabei kennen viele seine Musik nur aus zweiter Hand, aus Caféhaus- oder Salonkonversationen, da sie aus politischen Gründen nur selten in Frankreich gespielt werden durfte. Wagneritis, Wagneropsie, Wagnerseuche, lautet die Diagnose der Wagnergegner und einiger Scherzbolde; Wagnerismus die der Spezialisten. Eine "Lange Nacht" zum Mitfiebern.

Informationen rund um Wagner:

Richard Wagner Homepage von Bayern Online

Die Deutsche Richard-Wagner-Gesellschaft e.V.. ist hervorgegangen aus dem 1977 in Bayreuth als Publikumsinitiative gegründeten "Aktionskreis für das Werk Richard Wagners e. V.". Sie setzt dessen Arbeit für ein werkbezogenes Musiktheater- und Wagnerverständnis auf breiterer Basis fort.

www.richard-wagner-postkarten.de

Der Komponist Camille Saint-Saens in seinem Buch "Harmonie und Melodie" über Bayreuth und den Ring des Nibelungen:

Bevor wir in medias res gehen, werden vielleicht einige Details über die Wagnerianer und die Antiwagnerianer als eine Art Vorwort nicht unpassend sein:

Ich habe mich eingehend mit den Werken Richard Wagners beschäftigt; ihr Studium hat mir den höchsten Genuss bereitet und die Werke, die ich auf der Bühne sah, haben auf mich einen so nachhaltigen Eindruck gemacht, dass keine Theorie der Welt sie mich vergessen oder verleugnen lassen wird. Infolgedessen schimpfte man mich zu Hause einen Wagnerianer. Das war ein Fehler, ein Irrtum meinerseits. Ich habe Wagnerianer kennen gelernt und eingesehen, dass ich nicht zu ihnen gehöre, nie zu ihnen gehören werde.

Für einen Wagnerianer gab es vor Wagner überhaupt keine Musik, oder sie steckte mindestens noch in den Kinderschuhen. Wagner hat sie erst auf die Höhe der Kunst erhoben. Johann Sebastian Bach, Beethoven und zum Teil Weber haben die Ankunft des Messias vorbereitet; das ist ihr einziges Verdienst. Die anderen zählen überhaupt nicht mit: Händel, Haydn, Mozart, Mendelssohn haben auch nicht eine brauchbare Note geschrieben, französische und italienische Schulen gibt es nicht. Jeder Genuss einer anderen Musik als der Wagnerschen dünkt dem Urbild des Wagnerianers eine Erniedrigung, dagegen muss er bei einer Aufführung seines Meisters, und wäre es nur das Ballett aus "Rienzi" in einen Zustand der Verzückung geraten, der schwer zu beschreiben ist.

Ich habe einmal eine merkwürdige Szene miterlebt, die sich zwischen dem Meister und einer verzückten Dame abspielte, einer recht begabten Schriftstellerin und enthusiastischen Wagnerianerin. Die Dame bat den Meister, auf dem Klavier einen noch nie da gewesenen Akkord anzuschlagen, den sie in der Partitur des "Siegfried" entdeckt haben wollte.

"Teurer Meister, diesen Akkord!" "Aber Verehrteste", erwiderte der Meister mit gütigem Lächeln, "das ist ja ein ganz gewöhnlicher e-Moll-Akkord; Sie können ihn genau ebenso gut anschlagen wie ich."

"Teurer Meister, ich bitte Sie inbrünstig - diesen Akkord."

Der Meister, des Streitens müde, ging ans Klavier und schlug den Akkord e-g-h an; die Dame fiel mit einem lauten Schrei rücklings auf den Diwan. Das war mehr, als sie ertragen konnte.

Ein andermal sah ich einen Musiker, einen Mann von Talent und Geschmack, rot, grün und blau werden, sobald er den Göttermarsch aus Rheingold vernahm, der sich bekanntlich in feierlich gemessenen Dur-Akkorden bewegt. Schon beim sechsten Takte hatte er Schaum vor dem Mund, die Augen traten aus dem Kopfe wie bei einem Wahnsinnigen. Er schien sich vor sich selber zu schämen, konnte es aber nicht ändern.


(Zitiert nach: Werner Otto: Richard Wagner. Ein Lebens- und Charakterbild in Dokumenten und zeitgenössischen Darstellungen. Buchverlag der Morgen, Berlin, 1990.)

Weitere Linkempfehlungen:
Dass Richard Wagner, einem gebürtigen Leipziger, in den Beziehungen zwischen Bayern und Frankreich auf dem Gebiet der Musik eine herausragende Vermittlerrolle zukommt, ist ganz wesentlich darin begründet, dass acht seiner insgesamt dreizehn Bühnenwerke in München und Bayreuth uraufgeführt wurden.
Kurt Malisch in: Richard Wagner und Frankreich. Frankreich und Richard Wagner(pdf-Datei)

Zeitlebens hat sich Thomas Mann mit Richard Wagners Musik beschäftigt. Auf die frühe Leidenschaft folgte während des Nationalsozialismus eine rabiate Zurückweisung. In späten Jahren verband sich die Bewunderung mit einer tiefen Ambivalenz des Empfindens.
Weiterlesen:
Nike Wagner: Enthusiasmus und Abwehr - Thomas Manns schwankende Beziehung zu Richard Wagner und seiner Musik

Wagner-Rezeption in Frankreich: Sie beginnt mit einem Pfeifkonzert. Wir schreiben den 13. März 1861 - erneut hat sich Richard Wagner aufgemacht, Paris zu erobern, und diesmal steht ihm kein mürrisches Seefahrergespenst, sondern ein richtiger bon-vivant zur Seite: Tannhäuser. Zwar schwankt dieser zwischen Venus und Elisabeth, zwischen Fleisch und Himmel, doch Wagner ist überzeugt, endlich ein einigermaßen marktgerechtes Produkt gefunden zu haben. Die Partitur hat er noch einmal umgearbeitet und ihr ein verknäult-wollüstiges Bacchanal hinzugefügt, mit dessen Hilfe das französische Publikum gnädig gestimmt werden soll, bevor es mit deutsch-romantischer Jenseitssehnsucht konfrontiert wird. Und doch, es fliegen die Fetzen - während auf der Wartburg der Sängerkrieg tobt und um holde Liebe gestritten wird, vermissen die Herren vom Jockey-Klub ein Ballett mit ihren leichtfüßigen Geliebten und pfeifen die Vorstellung gnadenlos nieder. Wieder will das verständige Frankreich nichts von deutscher Treibhaus-Kunst wissen.
Weiterlesen: Jean-François Candoni und Ronald Perlwitz in: "Mallarmé und Wagner: ein wahres Miss-Verständnis"


Das Richard Wagner Museum Bayreuth
http://www.wagnermuseum.de/index_de.html

Die Homepage der Bayreuther Festspiele
http://www.bayreuther-festspiele.de/Anfangsseite/deutsch.htm

Buchempfehlungen der Autorin
Biographien:

Martin Gregor-Dellin
Richard Wagner.
Sein Leben, sein Werk, sein Jahrhundert. .
1991 Piper

Werner Otto
Richard Wagner
Ein Lebens- und Charakterbild in Dokumenten und zeitgenössischen Darstellungen. Buchverlag der Morgen, Berlin 1990.

Zur Übersicht:

Sieghart Döhring / Sabine Henze-Döhring
Oper und Musikdrama im 19. Jahrhundert.
Handbuch der musikalischen Gattungen,
Band 13. Laaber-Verlag, Laaber 1997.

Theo Hirsbrunner
Die Musik in Frankreich im 20. Jahrhundert.
Laaber-Verlag, Laaber, 1995.

Ulrich Müller und Peter Wapnewski (Hrsg.):
Richard-Wagner-Handbuch.
Alfred Körner Verlag, Stuttgart, 1986.

Zur Vertiefung:

Ursula Eckart-Bäcker
Frankreichs Musik zwischen Romantik und Moderne.
Die Zeit im Spiegel der Kritik.
Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts. Band 2.
Gustav Bosse Verlag, Regensburg 1965.

Annegret Fauser/Manuela Schwartz (Hrsg.)
Von Wagner zum Wagnérisme.
Musik, Literatur, Kunst, Politik.
Leipziger Universitätsverlag, Leipzig, 1999.

Erwin Koppen
Dekadenter Wagnerismus.
De Gruyter, Berlin/New York, 1973.

Kurioses:

Manfred Eger
Richard-Wagner-Museum Bayreuth.
Georg Westermann Verlag, Braunschweig. (ohne Jahresangabe)

Mario Praz
Liebe, Tod und Teufel.
Die schwarze Romantik.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1960.

Wilhelm Tappert (Hrsg.)
Hurenaquarium und andere Unhöflichkeiten.
Richard Wagner im Spiegel der zeitgenössischen Kritik.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1968.


Regie: Rita Höhne