Kim Gordons Autobiografie

Auf der Bühne cool und frei

Die frühere Sängerin von Sonic Youth, Kim Gordon.
Kim Gordon, die frühere Sängerin von Sonic Youth © Imago / Future Image
Von Olga Hochweis · 10.04.2015
Die Vielschichtigkeit der persönlichen Erzählungen in Kim Gordons "Girl in a Band" erinnert ein wenig an die Komplexität der Musik ihrer Band Sonic Youth. Hier kommen das Bildungsbürgerkind, die Rockmusikerin wie die Feministin oder spät berufene Mutter zu Wort.
Längst gehört die New Yorker Band Sonic Youth zu den Ikonen der US-amerikanischen Pop-Musik. Die langlebige Geschichte der experimentellen Post-Punk-Band ist zugleich die Geschichte eines coolen Paares: Thurston Moore und Kim Gordon haben Sonic Youth Anfang der 80er gegründet. Sie waren 27 Jahre verheiratet und sie haben mit ihrer privaten Trennung 2011 auch das vorläufige Ende der Band besiegelt. Exponiert steht das Ereignis am Anfang der Autobiografie von Kim Gordon. Der Prolog mit dem Titel "Das Ende" beschreibt das schmerzvolle Abschiedskonzert in Brasilien, an der Seite ihres einstigen Lebensgefährten. Doch im folgenden weitet sich der Blick. 30 Jahre Band-und Beziehungsgeschichte werden eingebettet in ein mehr als doppelt so langes Leben, auf das Kim Gordon (Jahrgang 1953) aus unterschiedlichster Perspektive zurückblickt.
Genau 53 Kurz-Kapitel sind es, in denen sie den Bogen spannt von bildreichen Episoden ihrer Kindheit und Jugend in Kalifornien über die ersten Jahre in New York bis hinein in die Gegenwart an verschiedenen Orten der USA. Eindringlich beschreibt sie die junge Kim Gordon, die im liberalen Klima einer aufgeschlossenen und kultur-affinen Mittelschichtsfamilie aufwächst (Kind eines Soziologie-Professors und einer Schneiderin), allerdings massiv unter einem manipulativen (und später als schizophren diagnostizierten) älteren Bruder leidet, der sie wie kein anderer prägt:
"Ich frage mich, was oder wer ich ohne ihn als meinen Bruder geworden wäre."
Selbstverständnis als bildende Künstlerin
In der Bildenden Kunst findet die Einzelgängerin ihre adäquate Ausdrucksform, geht an die Kunsthochschule, zieht als 25-Jährige ins raue, aber freigeistige New York. Im Experimentierlabor Downtown Manhattan wird nach dem Prinzip "do it yourself" auch das Musikmachen nur zu einer weiteren Form kreativer Kunstproduktion. Eher zufällig tritt Gordon ausgerechnet bei einer Kunstperformance des befreundeten Dan Graham erstmals als Musikerin auf. Ihr Selbstverständnis – das betont sie mehrfach in ihrer Autobiografie – bleibt bis heute das einer Künstlerin, trotz 30 Jahren als Bassistin und Sängern bei Sonic Youth und trotz weiterer Aktivitäten als Musikproduzentin, Video-Regisseurin, Modedesignerin oder Schauspielerin.
Von einem ihrer längeren Aufenthalte in Berlin hat Kim Gordon das deutsche Wort "Maskenfreiheit" mitgebracht, wie sie ziemlich zu Anfang ihres Buchs erzählt. Der Begriff beschreibe wunderbar die Möglichkeit, die Bühne mit all dem füllen zu können, was sich anderswo nicht ausdrücken lässt.
"Es ist mir schon immer schwer gefallen, in Gesellschaft anderer Raum für mich selbst und meine Gefühle zu schaffen. Das ist eine alte Geschichte, die bis in meine Kindheit zurückreicht."
Mit ihrer Autobiografie hat sich Kim Gordon eine Vielzahl von weiteren Bühnen geschaffen, in der sie diverse Gefühle und "Ichs" präsentiert: die coole Rockmusikerin genau so wie die spät berufene Mutter, das Bildungsbürgerkind genau so wie den Hipster, die abgeklärte Feministin genau so wie die verlassene Ehefrau. Zornig wie kämpferisch, poetisch wie politisch klingt ihr Buch, je nach dem, wovon oder von wem sie erzählt. Vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Passagen ergeben diese persönlichen Erinnerungen eine wunderbare Dissonanz, die auch ein bisschen an die komplexe Musik von Sonic Youth erinnert.
Kim Gordon: Girl in a Band, Eine Autobiographie
Aus dem amerikanischen Englisch von Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015
352 Seiten, 19,99 Euro

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