Kieloben

Von Matthias Günther |
Kieloben. In der Seefahrt wird damit gemeinhin gesagt, dass ein Boot mit dem Kiel nach oben auf dem Wasser treibt. Es ist also gekentert. Aus welchen Gründen auch immer, es ist zuvor außer Kontrolle geraten. Ob Naturgewalten dazu führten oder andere Gründe, an Bord trägt der Kapitän dafür die Verantwortung. In der Politik ist das der Ministerpräsident des Landes. Und in Schleswig-Holstein ist offenbar nicht nur die Stimmung gekippt.
Zu selten macht die Große Koalition in Schleswig-Holstein Schlagzeilen wegen ihrer gemeinsamen Regierungsarbeit, zu oft wegen Streitigkeiten zwischen CDU und SPD. Viele Bürger sind es leid:

„So kann das ja nicht weitergehen, einer hackt auf dem anderen rum, und da geschieht ja nichts weiter!“
„Katastrophal, was da passiert, ist ja eine Lachnummer.“
„Ich hab den Eindruck, dass es mehr von Streit bestimmt ist. Ich wäre nicht dafür, dass das weiter läuft.“

Nach einer Infratest-Dimap-Umfrage für den NDR sind 61 Prozent der Schleswig-Holsteiner mit ihrer schwarz-roten Landesregierung unzufrieden. Wenn jetzt ein neuer Landtag gewählt würde, reichte es für eine schwarz-gelbe Mehrheit – dank einer mit 15 Prozent starken FDP. Und die CDU hätte zehn Prozentpunkte mehr als die SPD. Ministerpräsident Carstensen ging darauf beim jüngsten CDU-Parteitag ein:

„Ich bin sehr zufrieden mit der Differenz zur SPD, meine Damen und Herren. Ich bin auch sehr zufrieden mit der Koalitionsarithmetik, die sich dort ergibt! Aber ich bin nicht zufrieden mit unserem eigenen Ergebnis, meine Damen und Herren!“

Denn die CDU käme auf 37 Prozent der Stimmen. Die SPD allerdings nur auf 27 Prozent. SPD-Landeschef Stegner sieht in der Unbeliebtheit der Großen Koalition einen Grund dafür, warum die SPD in der Umfrage so schlecht wegkommt.

„Die Unionsanhänger bewerten in der Großen Koalition Herrn Carstensen und finden den prima. Die SPD-Anhänger bewerten in der Großen Koalition auch den Regierungschef, finden den nicht so gut. Das Ergebnis ist, dass viele sich dann nicht dazu bekennen, in der Konstellation SPD wählen zu wollen, weil sie die Große Koalition nicht mögen. Trotzdem bin ich ganz sicher, dass es eine Mehrheit in der Bevölkerung gerade in der Wirtschafts- und Finanzkrise für schwarz-gelb nicht gibt.“

Immerhin in einem Punkt hat die SPD eine große Mehrheit hinter sich: Die SPD ist die einzige Partei, die sich jetzt keiner Neuwahl stellen möchte. 72 Prozent der befragten Wähler sind ebenfalls gegen eine vorgezogene Landtagswahl – trotz ihrer Unzufriedenheit.

Die Lage des Landes Schleswig-Holstein ist geographisch eine schöne, finanziell und wirtschaftlich eine schwierige. Der Zustand der Großen Koalition überschattet derzeit sogar die arge finanzielle Situation. Die kann das Land aber nun überhaupt nicht gebrauchen, weil Wirtschaftskrise, Verschuldung und HSH-Nordbank-Debakel eigentlich alle Kräfte bündeln müsste, um aus der Misere wenigstens mit einem blauen Auge heraus zu kommen.
Die Politik und die finanziell, wirtschaftliche Misere – Mathias Günther faßt das Ausmaß und das Agieren der Verantwortlichen zusammen.


Die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags standen vor einer schweren – vielleicht vor einer historischen – Entscheidung. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen machte ihnen das noch einmal klar:

„Die Zeit drängt, und heute müssen wir wohl die Entscheidung treffen. Das ist wohl die schwierigste Entscheidung, die Verantwortliche für dieses Land jemals zu treffen hatten. Und doch führt an ihr kein Weg vorbei!“

Es ging an jenem Tag Anfang April um nicht mehr und nicht weniger als darum, ob das Land Schleswig-Holstein der angeschlagenen HSH Nordbank weitere Milliarden-Summen zur Verfügung stellt – Milliarden, die das Land nicht hat, denn es sitzt auf einem gigantischen Schuldenberg, der immer größer wird, und der sich auch ohne die neue Belastung durch die HSH Nordbank in absehbarer Zeit kaum abbauen lässt – zu gering sind die Steuereinnahmen im strukturschwachen Schleswig-Holstein. Klaus Schrader vom Kieler Institut für Weltwirtschaft beschreibt diese Schwäche so:

„Schleswig-Holstein ist ein Agrarland immer gewesen, hat dann den Tourismus weiterentwickelt, war aber immer industrieschwach gewesen. Und diese Industrieschwäche hat es heute noch. Es hat das Standbein Tourismus weiter ausgebaut, während die Agrarwirtschaft mittlerweile eine relativ geringe Rolle hat.“

Die Arbeitslosenquote in Schleswig-Holstein – im April lag sie bei gut acht Prozent – spiegelt dabei die Strukturschwäche noch gar nicht in vollem Umfang wider. Denn viele Jobs sind lediglich Hilfstätigkeiten im Tourismus:

„Tourismusjobs sind häufig Niedriglohnjobs, das heißt mit anderen Worten, die Einkommensbasis kann auf diesem Standbein allein nicht gehalten werden, da muss man mehr haben. Da muss man moderne, unternehmensbezogene Dienstleistungen entwickeln, da muss man seinen industriellen Kern pflegen und international wettbewerbsfähig halten. Das heißt, da muss Schleswig-Holstein ganz einfach diversifizieren wie andere Bundesländer auch.“

Aber eine auf breiter Basis aufgestellte Industrie hat Schleswig-Holstein ebenso wenig wie hoch qualifizierte Dienstleistungen. Entsprechend niedrig sind die Steuereinnahmen. Weil Schleswig-Holstein aber dennoch wie andere Bundesländer ausreichend Lehrer und Polizisten bezahlen muss, fehlen dem Land jährlich 500 Millionen Euro in der Kasse. Das ist das sogenannte strukturelle Defizit, das den Schuldenberg immer höher werden lässt. Seit 2005 versucht eine Große Koalition aus CDU und SPD gegenzusteuern. Die vorherige SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis war nach der Landtagswahl wegen eines unbekannten Abweichlers in den Reihen von SPD, Grünen und Südschleswigschen Wählerverband mit dem Versuch einer linken Koalition gescheitert. Peter Harry Carstensen von der CDU führt seit dem die Große Koalition. Und bei zunächst sprudelnden Steuereinnahmen konnte die Regierung zumindest die jährliche Neuverschuldung von 1,7 Milliarden auf 600 Millionen zurückführen. Politikwissenschaftler Joachim Krause von der Kieler Universität lobt die Koalition dafür:

„Sie hat zumindest im Bereich der Finanzen doch immerhin dafür gesorgt, dass es mal einen verfassungsgemäßen Finanzentwurf gab, aber das ist inzwischen durch die Weltwirtschaftskrise, für die natürlich diese Regierung nicht verantwortlich ist, doch erheblich ins Trudeln geraten, insbesondere durch die HSH-Nordbank-Krise.“

Die HSH-Nordbank-Krise: Die Pleite der Lehman-Bank und Geschäfte mit isländischen Banken hatten dazu maßgeblich beigetragen. Die HSH Nordbank kroch unter den Rettungsschirm des Bundes und beantragte Staatsbürgschaften über 30 Milliarden Euro. Aber das reichte nicht. Hamburg und Schleswig-Holstein sollten für ihre gemeinsame Landesbank für weitere zehn Milliarden bürgen und außerdem mit drei Milliarden Euro das Kapital aufstocken. Schleswig-Holsteins Anteil würde also insgesamt sechseinhalb Milliarden Euro betragen – bei einem Jahresetat von nur neun Milliarden sowie Altschulden in Höhe von derzeit 24 Milliarden Euro. Und ob die HSH Nordbank mit den neuen Milliarden gerettet werden kann, garantierte niemand. Das war die Ausgangslage, als Ministerpräsident Carstensen in der entscheidenden Landtagssitzung sagte:

„Das ist wohl die schwierigste Entscheidung, die Verantwortliche für dieses Land jemals zu treffen hatten. Und doch führt an ihr kein Weg vorbei!“

Darin waren sich CDU und SPD einig. Schließlich hatte die Bankenaufsicht Bafin erklärt, ohne die Finanzspritze würde die Bankenaufsicht die HSH Nordbank schließen – und das käme für das Land Schleswig-Holstein noch teurer. CDU-Fraktionschef Johann Wadephul warb für das milliardenschwere Rettungspaket:

„Sonst bleibt nur der Untergang der Bank mit gravierenden unabsehbaren Folgen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch am Bankenstandort Kiel, für die Schifffahrt-Industrie im Norden und für viele Arbeitsplätze in unserer Region. Eine solche Entscheidung ist aus Sicht meiner Fraktion nicht verantwortbar.“

CDU und SPD stimmten schließlich geschlossen für das Rettungspaket – schweren Herzens, hieß es oder auch: mit Bauchschmerzen. Die kleinen Oppositionsparteien FDP, Grüne und Südschleswigscher Wählerverband gingen allerdings mit der Regierung hart ins Gericht. Sie kündigten einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss an. Es soll geklärt werden, wer für die riskanten Geschäfte der HSH Nordbank verantwortlich war und ob die Vertreter der Regierung im Aufsichtsrat ihrer Kontrollpflicht nachgekommen sind. Der Oppositionsführer im Schleswig-Holsteinischen Landtag, FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki, sagte:

„Sollte sich herausstellen, dass dem Aufsichtsrat die Schieflage der Bank bereits seit mehr als einem Jahr bekannt war, ohne dass der Finanzminister unseres Landes das Parlament darüber unterrichtet hat, und sollte es zutreffen, dass es keine Risikoanalyse und kein Risikomanagement hinsichtlich der jetzt toxisch genannten Papiere bei der HSH Nordbank gegeben hat, wird nicht nur der Finanzminister gehen müssen, was ich ohnehin für überfällig halte, sondern dann wird die gesamte Regierung Peter Harry Carstensen beschädigt sein, und die Wählerinnen und Wähler werden – da bin ich mir sicher – im Mai 2010 über diese Art von Politik ein vernichtendes Urteil sprechen.“

Für die Opposition hat die Regierung schon jetzt abgewirtschaftet. Kein Wunder, denn die Koalition hat wichtige Vorhaben nicht umsetzen können: So wurde die aus Kostengründen eigentlich angestrebte große Verwaltungsstrukturreform mit der Zusammenlegung von Kreisen zu den Akten gelegt. Und beim beabsichtigten Personalabbau sind auch keine Fortschritte zu erkennen. Die Anhänger beider Koalitionspartner – von CDU wie von SPD – sind enttäuscht, erklärt der Politikwissenschaftler Joachim Krause:

„Das sieht man bei den Meinungsumfragen, wo erkennbar ist, dass also mindestens die Hälfte der SPD-Anhänger das eigentlich nicht goutiert, sondern lieber eine linke Koalition hätte. Und bei der CDU ist es ungefähr ein Drittel der Wähler, die hier frustriert sind darüber, dass die CDU mit der SPD eine Koalition eingeht. Und es gehen einfach weniger Sozialdemokraten und auch weniger Christdemokraten oder Anhänger dieser Parteien zur Wahl. Und das führt natürlich zu einer gewissen Nervosität und Verunsicherung bei Spitzenpolitikern, die sich dann bemühen, den großen Spagat zu machen: einerseits zur Großen Koalition zu stehen, andererseits aber auch zu signalisieren, dass ihre jeweilige Partei doch erhebliches Eigenprofil hat.“

Vor allem der SPD-Vorsitzende und Spitzenkandidat seiner Partei Ralf Stegner versucht immer wieder, durch provokante Äußerungen Profil zu zeigen, wodurch er den Koalitionspartner verärgert. Stegner bestreitet auch gar nicht, dass er regelmäßig aneckt:

„Ich habe sicherlich ein anderes Temperament als diejenigen, die nun im Wesentlichen im diplomatischen Dienst sind.“

Aber nicht nur im diplomatischen Dienst, auch im Kabinett ist Stegner nach Ansicht von Ministerpräsident Carstensen fehl am Platze. Anfang 2008 musste Stegner das Amt des Innenministers niederlegen – sonst wollte Carstensen die Koalition platzen lassen. Ministerpräsident Carstensen verkündete das Arrangement nach einer Krisensitzung so:

„Herr Stegner hat das Angebot gemacht, dass er, weil er die Spitzenkandidatur der SPD zur Landtagswahl 2010 sich bewerben wird, und die Situation sieht, dass es schwierig ist, Spitzenkandidat zu sein und nebenbei im Kabinett zu sitzen, das Angebot gemacht, zum 15. Januar 2008 aus dem Kabinett auszuscheiden.“

Die SPD akzeptierte den Rauswurf ihres Vorsitzenden, weil sie die Koalition mit der CDU fortsetzen wollte, wie Stegner nach einer Sitzung der SPD-Spitzengremien erklärte:

„Die Einschätzung, dass jede Regierung in Schleswig-Holstein mit SPD besser ist als ohne, ist sehr intensiv so unterstützt worden, dass man gesehen hat, dass die Entscheidung Zustimmung gefunden hat.“

SPD-Landeschef Stegner schied aus dem Kabinett aus und wurde Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. Aber dadurch wurde es auch nicht ruhiger in der Koalition. Den nächsten größeren Streit lieferten sich Carstensen und Stegner am Abend der Kommunalwahl im Mai 2008 vor laufenden Kameras und offenen Mikrofonen. Die CDU hatte zweistellig verloren, die SPD das schlechteste Ergebnis der Landesgeschichte eingefahren. Auf die Frage, ob er einen Moment lang an Rücktritt gedacht habe, sagte Stegner:

„Ich wüsste nicht warum. Die SPD hat mit den richtigen Themen Wahlkampf gemacht, der Hauptverlierer dieser Wahl ist die Union, die zweistellig verloren hat.“

Carstensen Antwort kam prompt:

„Wenn ich ein solches Ergebnis gehabt hätte, ein solches kümmerliches Ergebnis einfahren würde, dann würde ich sehr bescheiden doch mal fragen, woran liegt es? Liegt es vielleicht auch an mir? Und dann würde ich also wesentlich selbstkritischer sein als das, was ich gerade eben erlebt habe.“

Stegner setzte den Schlagabtausch fort:

„Das ist Unfug, und ich vermisse die Kinderstube des Parteivorsitzenden der Union.“

Die Große Koalition überstand auch dies – ohne dass sich das Verhältnis zwischen Carstensen und Stegner verbesserte. Immer wieder gerieten sie aneinander. Als Carstensen nach einigen verlorenen kommunalen Wahlen und nach seinem Alleingang bei der Auswahl eines neuen Wirtschaftsministers in der CDU in Bedrängnis geriet, versuchte er es nach einer CDU-internen Krisensitzung mit einem Befreiungsschlag – natürlich in Richtung SPD und Ralf Stegner. Anspielend auf Spekulationen in den Medien, Teile der SPD könnten eventuell eine vorgezogene Neuwahl wünschen, sagte Carstensen:

„Wenn dieses Angebot ernst gemeint ist, dann stehen wir bereit. Und da möchten wir gern von der SPD eine ganz klare Auskunft haben.“

Carstensen sprach sich für eine vorgezogene Landtagswahl zusammen mit der Bundestagswahl aus. Aber da hatte der CDU-Chef und Ministerpräsident die Rechnung ohne die SPD gemacht. Denn ohne sie gibt es keine Zweidrittelmehrheit zur Auflösung des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Und die SPD, die in einer aktuellen Umfrage zehn Prozentpunkte hinter der CDU liegt, lehnte eine Neuwahl ab. Wieder kam es nicht zu dem von vielen erwarteten und von der Opposition immer wieder geforderten Ende der Großen Koalition in Kiel.

Für die Opposition ist die Koalition wegen ihrer Zerstrittenheit schon lange nicht mehr handlungsfähig. Aber CDU und SPD verabredeten, bis zum regulären Wahltermin im Mai kommenden Jahres weiter zu machen. Die nächsten Streitthemen liegen schon auf dem Tisch. Die SPD möchte, dass nach dem dritten Kita-Jahr nun auch das erste und zweite Kita-Jahr für die Eltern beitragsfrei wird. Die CDU hält das für nicht finanzierbar. Die Große Koalition rettete sich mit einer Vereinbarung, die als Ziel drei freie Kita-Jahre nannte und gleichzeitig auf die Haushaltslage verwies. Eine schwammige Formulierung, die Stoff für weiteren Streit bietet. Denn für SPD-Chef Stegner wurde ein verfassungsgemäßer Haushalt eben nicht als Bedingung vereinbart:

„Wenn es eine Bedingung wäre, dann würde es da stehen. Da steht, dass das der Kontext ist, in dem wir das wollen. Und ich sag noch einmal: Auch die SPD möchte verfassungsgemäße Haushalte, das ist doch ganz normal. Aber wenn es eine Bedingung wäre, dann würde da stehen: Unter der Bedingung … wird folgendes vereinbart, aber, der Text liegt Ihnen ja vor, er ist veröffentlicht, es gilt die deutsche Sprache, die gilt für alle Beteiligten.“

Also auch für CDU-Chef Carstensen, der für sich in Anspruch nimmt:

„Also ich spreche ja einigermaßen Deutsch, und wenn ich das richtig sehe, dann steht dort unten nach dem Satz über die Kita-Plätze: Die Koalition bekräftigt dabei das Ziel verfassungsgemäßer Haushalte und bis 2015 ausgeglichener Haushalte!“

Mitte Juni wollen sich CDU und SPD im Koalitionsausschuss damit weiter auseinandersetzen. Dann geht es auch um einen weiteren Knackpunkt: die so genannte Schuldenbremse. Schon im Landtag stritten die Partner über den Kompromiss von Bund und Ländern, der den finanzschwachen Ländern im Gegenzug für ein Neuverschuldungsverbot ab 2020 gewisse Hilfen in Aussicht stellte. SPD-Landes- und Fraktionschef Stegner:

„Ich bin sehr wohl dafür, dass wir Schuldenbegrenzung einführen. Ich bin sehr wohl dafür, dass wir auch sparen und unseren Kindern und Enkeln nicht nur Schulden hinterlassen. Aber hinzugehen – bei einem strukturellen Defizit von 500 Millionen Euro, die wir haben – und dann zu sagen, ihr kriegt die Leistung von 65 Millionen Euro netto nur, wenn ihr zum Beispiel nicht die beitragsfreie Kita macht, wenn ihr eure Polizisten schlechter bezahlt, wenn ihr weniger Bildung habt, wenn ihr weniger Kinderbetreuung habt, dann ist das ein Verarmungsprogramm für Schleswig-Holstein. Dann sage ich dieses kann man nicht mitmachen, das ist nicht verantwortbar, meine sehr verehrten Damen und Herren!“

Für die CDU entgegnete ihr Fraktionsvorsitzender Johann Wadephul:

„Wer sich jetzt – zehn Jahre vorher – nicht zutraut, im Jahre 2020 ohne neue Schulden auszukommen, meine sehr verehrten Damen und Herren, der kapituliert landespolitisch und der hat jeden Gestaltungsanspruch in diesem Land verloren, noch Politik zu gestalten. Wer es in zehn Jahren nicht schafft, der wird es nie schaffen!“

Trotz dieser Streitpunkte geht der Politikwissenschaftler Joachim Krause von der Universität Kiel aber davon aus, dass CDU und SPD im Koalitionsausschuss auch diesmal einen Weg finden werden, die Große Koalition nicht platzen zu lassen.

„Ich denke mal, das wird jetzt noch ein Jahr gehen. Es wird ein ewiges Auf und Ab sein, und die Streitphasen werden sich erhöhen, je näher die Bundestagswahl rückt und sie werden sich auch noch mal erhöhen, je näher die Landtagswahl rückt. Und dann hoffe ich, dass wir entweder eine klare Mehrheit in die eine oder in die andere Richtung haben. Denn auf die Dauer sind Große Koalitionen nichts Gutes.“

Neue Probleme bringt die jüngste Steuerschätzung – eine Hiobsbotschaft. Dem einnahmeschwachen Land Schleswig-Holstein mit dem Schuldenberg in Höhe von 24 Milliarden Euro brechen in den nächsten vier Jahren infolge der Wirtschaftskrise vier Milliarden Euro Einnahmen weg. Die Landesregierung will im Juli einen Nachtragshaushalt für das laufende Jahr vorlegen – mit zusätzlichen Schulden und zusätzlichen Einsparungen. Viel Spielraum zum Sparen sieht Politikwissenschaftler Joachim Krause aber nicht:

„Strukturell gesehen eigentlich nicht, denn die meisten Ausgaben sind ja durch Personalausgaben oder langfristige Verpflichtungen festgelegt. Wir können eigentlich nur dann die Staatsgeschäfte wieder sanieren, wenn es zu einem erheblichen wirtschaftlichen Aufschwung in diesem Lande kommt. Dass mehr Arbeitsplätze geschaffen werden – das ist meines Erachtens die entscheidende Frage.“

Und dazu ist auch der Staat gefordert – in diesem Falle die Landesregierung, meint Klaus Schrader vom Kieler Institut für Weltwirtschaft:

„Der Staat kann helfen, indem er Rahmenbedingungen schafft, indem er eine Infrastruktur bietet, die es den Unternehmen dann erlaubt, Entwicklungspotenziale zu nutzen. Infrastruktur – das heißt nicht nur Verkehr, Straße, Schiene, sondern das heißt auch Bildung, Human-Kapital-Bildung. Also wenn in Schleswig-Holstein hoch qualifizierte Arbeitnehmer zur Verfügung stehen, ist das für viele Investoren durchaus ein Anreiz, auch mal den hohen Norden als Investitionsstandort ins Kalkül zu ziehen.“

Nur so könnte das bisher strukturschwache Schleswig-Holstein mehr Steuereinnahmen bekommen und dann vielleicht auch einmal beginnen, seinen Schuldenberg abtragen:

„Der Schuldenberg lässt sich sicherlich nicht in zehn Jahren abbauen. Allerdings man kann heute schon Zukunftsinvestitionen betreiben. Man sichert sich Zukunftsarbeitsplätze und das sind Zukunftseinnahmen, und das heißt, da kann auch der Schuldenberg irgendwann einmal in der schleswig-holsteinischen Sonne schmelzen.“

Aber um dafür die Voraussetzungen zu schaffen, braucht das Land erst einmal eine handlungsfähige Landesregierung, in der sich die Partner nicht gegenseitig belauern und blockieren.