Kicken mit Krücken

Von Alexander Göbel · 31.05.2010
Die Amputierten und Kriegsversehrten sind die sichtbarsten Opfer des vergangenen Bürgerkriegs in Sierra Leone. Sie haben Arme und Beine verloren, durch Gewehrkugeln, Granaten oder die Macheten der Rebellen. Aber ihre Leidenschaft ist geblieben - der Fußball. Und so kämpfen sie auf dem Bolzplatz gemeinsam gegen ihr Trauma.
Lumley Beach. Der Stadtstrand von Freetown, Sierra Leone, ist zugleich der größte Fußballplatz des Landes. Überall wird gekickt. Doch am Samstagmorgen gehört der Sandboden neben Harry’s Bar der Nationalmannschaft der "Amputees". Wenn die 22 nassgeschwitzten jungen Männer auf Krücken über den Platz fegen, dann kommt selbst Nationalcoach Moses Mambou aus dem Staunen nicht mehr heraus:

"Es ist einfach unfassbar, wie sie spielen. Diese Körperbeherrschung! Das glaubt einem ja keiner, der das nicht schon mal gesehen hat. Sie sinken immer wieder mit den Krücken im Sand ein, und trotzdem sind sie so unglaublich schnell. Man stelle sich als gesunder Mensch mal vor, wie das ist - Fußball mit nur einem Arm oder einem Bein; die Balance, die sie halten müssen, mit den Krücken und dem Körper. Also, es ist wunderbar, diesen Jungs hier zuzuschauen!"
Fußball als Therapie - fast zehn Jahre nach dem Bürgerkrieg. Noch immer haben die Spieler keine Jobs, kein Geld, keine Sponsoren. Trainieren können sie nur einmal pro Woche – weil sie zu wenig essen. Seit dem Krieg leiden viele an schweren Depressionen, haben Selbstmordversuche hinter sich.

Nur der Fußball hält sie am Leben, und deswegen gilt das Training vor Harry’s Bar als absoluter Pflichttermin. Auch für Team-Kapitän Maxwell Fornah, den sie hier alle Eto'o nennen. Weil er mindestens so viele Tore schießt wie Samuel Eto’o, Kameruns berühmter Fußballstar. Nur eben mit einem Bein.
Maxwell Fornah: "Wir fühlen uns stark, wir können alles erreichen. Wenn wir Fußball spielen, sind wir glücklich. Dann vergessen wir ganz einfach, dass unsere Beine fehlen.""

Die Begeisterung für den Sport treibt die Amputees zu Top-Leistungen. Die Mannschaft aus Sierra Leone stand sogar schon im Finale von Afrikas Behinderten-Fußball-Pokal. Torjäger Mohammed Lapeah ist überzeugt - die Amputees aus Sierra Leone sind die stärksten des ganzen Kontinents.
Lapeah: "We are the best team in Africa."
Auch Mohammed hat sein rechtes Bein verloren, als die Rebellen mit Macheten auf ihn losgingen - da war er neun Jahre alt. Heute, mit 22, hat er endlich seinen Schulabschluss nachgeholt und hofft, dass er bald aufs College gehen kann. Strafrecht will er studieren und Anwalt werden, die Kriegsverbrechen in seinem Land aufklären. Der Fußball gibt ihm die Kraft zum Weitermachen. Und natürlich wird er weiter trainieren. Samstags, am Lumley Beach. Mit all den anderen, für die Fußball so viel mehr ist als nur ein Spiel.