Kickboxen und Klavier spielen

Von Christian Geuenich |
In diesem Jahr hat die 25-jährige Schauspielerin Hannah Herzsprung den Bayerischen Filmpreis als beste Nachwuchsschauspielerin erhalten. Für die Darstellung der Möderin und Gefängnisinsassin Jenny in ihrem ersten Kinofilm „Vier Minuten“ hat sie Klavier spielen und Kickboxen gelernt – und ist mit Lobeshymnen überschüttet worden.
In der Komödie „Das wahre Leben“ spielt die 25-jährige Hannah Herzsprung die pubertierende, rebellische Florina Krüger. Sie verführt den Nachbarsjungen, sprengt mit ihm eine Statue in die Luft, trinkt, trägt Jungsklamotten und rasiert sich zum 18. Geburtstag die Haare ab.

Filmausschnitt aus „Das wahre Leben“:
" Herr Krüger: „Darf ich vorstellen, unsere Tochter Florina. Florina, sag Hallo zu unseren neuen Freunden.“
Florina: „Hallo zu unseren neuen Freunden."“

In den beiden benachbarten Familien haben sich die Eltern auseinandergelebt, die Kinder müssen darunter leiden. Parallelen zur eigenen Familie gebe es nicht. Ihre Eltern hätten ihr nie vorgeschrieben, was sie zu tun habe, im Gegenteil, die Familie sei ihr wichtigster Rückhalt, erzählt die hübsche dunkelblonde Frau im roten Kinosessel.

Geboren in Hamburg, aufgewachsen in München war Hannah Herzsprung schon früh klar, dass sie Schauspielerin werden möchte. Allerdings nicht weil ihr Vater, der aus den Fernsehserien „SOKO 5113“ und „Freunde fürs Leben“ bekannte Schauspieler Bernd Herzsprung, sie dazu überredet hätte. Als sie zehn war, hatten ihre Eltern gerade ihren Bauernhof in einem kleinen Dorf in der Nähe von München für zweimonatige Dreharbeiten untervermietet. So konnte sie die Filmarbeiten live zu Hause erleben.

„Und da war auch ein junges Mädchen in meinem Alter und die hat die Hauptrolle gespielt und ich hab fasziniert jeden Tag da zugeguckt und fand das großartig, was die da macht und hab gesagt ‚das will ich auch’.“

Der Plan ist aufgegangen. Mit 15 spielt Hannah Herzsprung in der Vorabendserie „Aus heiterem Himmel“ mit. Danach lebt sie erst einmal ohne den Film, geht zwei Jahre in ein Internat nach England, macht dort ihr Abitur. Zurück in Deutschland nimmt sie Schauspielunterricht, Sprech- und Gesangstraining und kann ihre Vielseitigkeit in Komödien ebenso wie in ernsten Fernsehrollen zeigen. Auch von erfolglosen Castings lässt sie sich nicht entmutigen.

„Man muss ja weitermachen. Es ist halt die große Leidenschaft.“

Und für diese Leidenschaft sei auch eine kleine Notlüge erlaubt. Die Rolle der aggressiven Gefängnisinsassin Jenny im Kinofilm „Vier Minuten“ wollte Hannah Herzsprung so unbedingt, dass sie beim Casting behauptet hat, Klavier spielen zu können. Beim Vorspielen vor Regisseur Chris Kraus ist ihre „Notlüge“ dann zwar aufgeflogen, die Hauptrolle hat sie aber trotzdem bekommen.

„Und dann hab ich 5 Monate jeden Tag bis 3 Stunden geübt und zwei Mal die Woche Unterricht gehabt, und alles auswendig gelernt, weil ich kann keine Noten lesen und es hat zum Glück funktioniert.“

So gut funktioniert, dass der Zuschauer zu keiner Sekunde an Jennys außergewöhnlichem Talent zweifelt, genauso wenig wie an ihrer Wut.

Filmausschnitt aus „Vier Minuten“:
" Jenny: „Nein, Scheiße (klirren), Fuck, (klirren), Scheiße (klirren), Fuck!“
Frau Krüger: „Jenny, bitte hören Sie auf!“
Jenny: „Scheiße!“ "

Diese Explosionen spielt Hannah Herzsprung mit soviel Wucht und Gewalt, dass schauspielerisches Handwerk und Talent allein für diese Leistung kaum ausreichen. Man braucht:

„Nen enormen Willen und viel Glück, auch Disziplin das wirklich durchzuhalten.“

Hannah Herzsprung spielt in dem Gefühlsdrama die aggressive, unberechenbare Mörderin Jenny, die gegen sich und andere wütet, sogar den Gefängniswärter krankenhausreif schlägt. Die 80-jährige Klavierlehrerin Traude Krüger erkennt in ihr ein musikalisches Ausnahmetalent und möchte sie im Gefängnis auf einen bedeutenden Klavierwettbewerb vorbereiten.

Nach den mitreißenden Gefühls- und Gewaltausbrüchen als rohe, selbstzerstörerische Jenny auf der Leinwand, bin ich überrascht, dass mir jetzt eine zierliche, gut gelaunte junge Frau in Jeans und Turnschuhen gegenübersitzt.

„Es gibt so Kräfte in einem, die man aber nicht kennt, absolut, glaub ich steckt in jedem von uns. Und ich durfte sie für diesen Film kennen lernen diese Kräfte, die in mir stecken, die ich davor noch nie kennen gelernt hatte, weil ich bin wirklich überhaupt kein aggressiver Mensch, wenn mich jemand anschreit, bin ich so klein mit Hut und stotter und auf einmal hab ich gemerkt, wow, was sind das denn für Kräfte, die ich da habe.“

Um diese Kräfte kennen zu lernen, hat die mädchenhafte Frau mit der Ballettfigur und den strahlend blauen Augen vier Monate lang Kickbox-Training genommen, gelernt, wie es ist, zuzuschlagen. Beim Dreh hat sie jeden Stunt selbst übernommen, ist etwa 30 Mal mit voller Wucht gegen eine Fensterscheibe gerannt, hat jeden Charakterzug ihrer Figur durchlebt.

„Davor hab ich gedacht, oh Gott, hoffentlich glaubt man mir das überhaupt, wenn ich da so jemanden verprügel und rumschreie, man darf’s ja nicht spielen, man muss es in dem Moment ja auch wirklich sein. Ich bin halt der totale Bauchmensch und Bauch-Darsteller, das passiert halt so, dieses Gefühl, wie jemand ist, kann ich halt dann so empfinden, dass ich es nachspiele.“

Spätestens seit dem Bayerischen Filmpreis Anfang des Jahres wird Hannah Herzsprung als deutsche Nachwuchshoffnung gefeiert. Ihr Studium der Kommunikationswissenschaften in Wien hat sie erst einmal abgebrochen, denn:

„Ich kann nicht zwei Sachen gleichzeitig.“

Deswegen dreht die ehrgeizige Wahl-Berlinerin einfach einen Film nach dem anderen. Zum Freunde treffen, tanzen oder essen gehen kommt sie nur selten, obwohl sie doch so gerne isst, wie sie sagt. Am liebsten gehe sie allerdings ins Kino. Trotz der Lobeshymnen ist sie bescheiden, verlegen, kann mit Kritik besser als mit Komplimenten umgehen. Sich selbst sehe sie auf der Leinwand ohnehin nicht, sie sehe die Jenny als Jenny und freut sich, dass das Publikum es auch tut.

„Man ist sehr uneitel für so eine Rolle. Aber das hat ja dann auch nichts mehr mit Hannah zu tun, das ist so ein Eigenschutz, ich will mich ja nicht selber zeigen. Ich will ja nicht, dass ihr mich alle kennen lernt als Hannah, dafür bin ich viel zu schüchtern, sondern es macht mir einfach Spaß, ja jemanden zu spielen.“