Kick statt Karriereknick

Von Carolin Hoffrogge · 16.04.2013
Vorlesungen, Seminare, Hausarbeiten - Frauen, die während des Studiums dann auch noch Kinder bekommen, haben viel um die Ohren. Um Studium und Familie unter einen Hut zu kriegen, gibt es in Hildesheim ein Mentoring-Programm. Schließlich soll der Nachwuchs nicht die Karriere ausbremsen.
"Das ist der Julius, der ist fast drei und das ist Marlene, neun Monate alt. Das sind ganz liebe Kinder. Pflegeleicht, sagt man so schön."

Julius, ein süßer blonder Fratz, helle Augen. Heute mit roter Rotznase. In zwei Wochen wird Julius drei Jahre alt. Marlene, mindestens genauso süß wie ihr großer Bruder, aalt sich bei Mama Laura Hänke auf dem Schoß.

"Die Kleine möchte den ganzen Tag auf den Arm, was anderes gibt es einfach nicht. Und er ist sehr fordernd, weil er die gleiche Aufmerksamkeit möchte. Die beiden schlafen jetzt auch nicht besonders viel. Das ist ganz toll, aber es ist nicht so, dass ich nebenbei noch irgendwas schaffen würde, locker."

Laura Hänke ist 26 Jahre alt und studiert im niedersächsischen Hildesheim Soziale Arbeit. Schlank, ein bisschen blässlich um die Nase, dunkle Augenringe. Die langen Haare hat sie zu einem Zopf gebunden. Ihre beiden kleinen Kinder wuseln um Laura herum. Heute ist alles ein bisschen einfacher, denn Martina Oster ruht wie ein Fels in der Brandung neben ihr. Ihre wilden Haare wirft die 52-jährige Mentorin nach hinten, strahlt dabei eine Lebensfreude und Energie aus. Motivierend:

"Es gibt ja nicht nur die Möglichkeit, sich im Büro zu treffen. Wir haben dann gemailt oder telefoniert. Dann war was mit Prüfungsangelegenheiten. Da mussten schnell Entscheidungen getroffen werden, Strategien entwickelt werden, wie man mit der Situation umgeht."

"Wir fahren fast zwei Stunden mit dem Zug hierher. Insofern war es dann auch praktisch, dass ich Frau Oster nicht nur persönlich treffen konnte, sondern dass man sich auch telefonisch und per Mail austauschen konnte."

Heute treffen sich die beiden Frauen persönlich, im Gleichstellungsbüro ihrer Hochschule, an der Martina Oster als promovierte Kulturwissenschaftlerin Lernmodule entwickelt. Von den 25 Jahren Berufserfahrung ihrer Mentorin kann Laura nur profitieren. So hilft Martina Oster ihr bei Referaten, beim Stress mit dem Prüfungsamt, organisiert auch mal eine Kinderbetreuung oder knüpft für sie berufliche Kontakte außerhalb der Uni.

Der schwierige Kampf mit dem Unialltag
Erwartungsvoll sitzt Laura ihrer Mentorin am Tisch gegenüber, Baby Marlene auf dem Schoß, Julius spielt Fußball. Laura Hänkes Lebenssituation ist nicht einfach. Vom Vater der Kinder getrennt, wohnt sie wieder bei den Eltern - in der Nähe von Hameln.

"Ich habe angefangen mit einem Teilzeitsemester. Dann ist er auf die Welt gekommen. Dann habe ich ein Urlaubssemester gemacht. Dann Sommer, Winter, Sommer, dann jetzt... Moment Mal, also fünf Semester."

Ihre Mentorin Martina Oster denkt 26 Jahre zurück, die Geburt ihrer Tochter. Sie ist heute genauso alt wie Laura.

"Das erste Kind habe ich auch im Studium bekommen, habe aber nicht gewagt, gleich das zweite zu kriegen. Das kam bei mir dann später. Da ist schon viel Organisationsarbeit wichtig und ich hatte viele Kommilitonen, die sich dann abwechselnd drum gekümmert haben. Das war eine gute Erfahrung damals, dieses Freundes-Netzwerk."

Ein Netzwerk von Freunden, die helfen, die die Kinder nehmen, ganz selbstverständlich da sind: davon kann Laura Hänke nur träumen. Sie kämpft sich durch ihren Unialltag. Auch wenn das Mentoring Programm Seminare zur Selbstoptimierung und zum Management von Familie und Beruf anbietet, droht jetzt aus Lauras angestrebtem Karriere-Kick ein echter Knick zu werden.

"Bei unserem letzten Gespräch, da gab es drei Prüfungen. Die habe ich direkt nach der Schwangerschaft abgelegt, die ist aber in die Hose gegangen. Dann gab es zwei Prüfungen, davor habe ich mich gedrückt. Denn kommen Situationen auf mich zu, dann mache ich Vogel-Strauß."
"Eigentlich ist es doch super gut, dass Sie eine Strategie haben mit Überforderungssituationen umzugehen. Da fällt man auch nicht in ein Loch, wo man komplett rausfliegt aus dem Leben."

Für die Teilnahme am Mentoringprogramm bekommt Laura zwar wichtige Creditpoints und einen Schein, aber die nützen ihr nichts, wenn sie andere Prüfungen nicht besteht. Während Laura um ihr Studium kämpft, steckt sich Julius einen Kuli in die Nase.

"Das war auch bei unserem ersten Treffen so schön. Ich kam da an, gestresst. Frau Oster gab meinem Kind dann erst einmal ein Nadelkissen mit Nadeln und einem Stapel Blätter und hat gesagt: ‚So jetzt kannst du das da an die Pinnwand pinnen.‘ Da musste ich so lachen, dass man mit der Erfahrenheit einer Frau, die das schon hinter sich hat, viel gelassener damit umgeht."

Zehn Tandems fahren derzeit mit dem Mentoring-Programm der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kultur in Hildesheim. Eigentlich sitzen beim Tandem die Frauen hintereinander; davon wollen Laura Hänke und Martina Oster aber nichts wissen.

Laura: "Wir haben das umgebaut, wir sitzen nebeneinander, als Rikscha."

Oster: "Genau - und wer fährt uns?"

Laura: "Das Leben."