KI-Forscher Christoph von der Malsburg

Hoffen auf eine freundliche künstliche Intelligenz

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Replik eines Spielstands zwischen dem 'Go'-Spieler Lee Se-Dol und einem von Google entwickelten Supercomputer.
Das AlphaGo-Programm sei ein Schritt in die richtige Richtung, um echte künstliche Intelligenz zu schaffen, sagt Christoph von der Malsburg. © AFP/ Ed Jones
Christoph von der Malsburg im Gespräch mit Stefan Karkowsky · 23.12.2019
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Auch wenn die Welt im KI-Fieber zu sein scheint, von einer echten künstlichen Intelligenz sind wir noch weit entfernt, meint der Forscher Christoph von der Malsburg. Die Frage, wie ein Bewusstsein entsteht, sei immer noch nicht gelöst.
Fortschritte in der künstlichen Intelligenz werden unser Leben tiefgreifend verändern. Deshalb will der Physiker und Neurobiologe Christoph von der Malsburg der KI positive Ziele implantieren. Und "wenn wir das richtig anstellen, wird es eine freundliche Intelligenz sein, in erster Linie vielleicht gegenüber der Erde, und in zweiter Linie auch uns gegenüber, uns Menschen", hofft er.
Der Hochschullehrer ist weltweit anerkannt als Pionier der technischen Gesichtserkennung und zählt zu den profiliertesten deutschen Forschern im Bereich der KI. Bislang, so von der Malsburg, sei KI aber nur ein Reflex auf unsere menschliche Intelligenz und kaum mehr als die Intelligenz von Software-Entwicklern im Hintergrund.

Entwicklung ist durch Vorurteile gebremst

Einerseits sei die Welt im KI-Fieber, andererseits werde die Entwicklung im Augenblick durch Vorurteile gebremst ist, Vorurteile in Bezug auf die Interpretation der neuronalen Vorgänge. Die herkömmlichen Neurowissenschaftler würden bis heute in Form von Einzelzellen denken. "Worüber man nachdenken muss, um das zu verstehen, sind ganze Netze von Einzelzellen, die als Ganzes an- und ausschalten, und die so was wie die Legoblöcke unseres inneren Seins, unseres Denkens sind", sagt von der Malsburg.
Für den Frankfurter Forscher steht hier eine tiefgreifende Revolution im Denken an und er sucht nach Möglichkeiten, diese in Gang zu setzen.

Das Interview im Wortlaut:
Stephan Karkowsky: In unserer Reihe "Woran arbeiten Sie gerade?" befragen wir heute Morgen einen Physiker, Neurobiologen und Hochschullehrer. Er gilt als Pionier der technischen Gesichtserkennung und als einer der anerkanntesten Experten für künstliche Intelligenz. 1942 geboren, seinen Ruhestand also hätte er sich redlich verdient, aber stattdessen führt er in Frankfurt gerade Experten unterschiedlichster Disziplinen zusammen, um herauszufinden, was genau das ist, was wir Geist nennen.
Professor Christoph von der Malsburg, beginnen wir mit etwas, was scheinbar einfach ist und dann doch sehr kompliziert wird, nämlich der Definition von künstlicher Intelligenz, KI: Da halten ja manche bereits Alexa und Siri für künstliche Intelligenzen. Wo ziehen Sie denn die Grenze? Was ist das für Sie genau?
von der Malsburg: Also zu Intelligenz gehört ja ein gewisses Maß an Kreativität, Kreativität, die dann verlangt wird, wenn man allgemeine Ziele, also zum Beispiel für ein Tierchen Hunger stillen oder Gefahr aus dem Weg gehen, in wechselnden Umgebungen durchsetzen will. Die wechselnden Umgebungen legen einem dann immer die Notwendigkeit auf, kreativ zu sein, bei Tieren und bei Menschen. Und das würde man dann auch von der künstlichen Intelligenz verlangen müssen.
Karkowsky: Also um mal ein ganz schlichtes Beispiel zu nehmen: Das Tamagotchi als Spielzeug, das seinem Besitzer signalisiert, ich habe Hunger, ist nicht intelligent, es ist nur programmiert.
von der Malsburg: Das ist nur programmiert, es macht genau das, was der Programmierer vorausgesehen hat und vorausgedacht hat.
Karkowsky: Gibt es denn dann heute überhaupt schon echte künstliche Intelligenzen? Also das selbstständige "Deep Learning" etwa von Computern, die nach einem ersten Anstoß quasi von selbst immer schlauer werden, ist das KI?
von der Malsburg: "Deep Learning" beruht ja auf der statistischen Auswertung von ganz vielen Beispielen, und das, was es dann nachher kann, ist eigentlich nur ein Interpolieren, also sich an dem langtasten, was vorher Menschen schon vorgemacht haben. Man kann sich drum streiten, ob das Intelligenz genannt werden kann.

Aus welchem Material ist der Geist gezimmert?

Karkowsky: Wohin müsste denn dann die Reise gehen, bevor auch Sie sagen, das hier ist die erste echte künstliche Intelligenz?
von der Malsburg: Also dieses AlphaGo ist ja schon ein Schritt in die richtige Richtung. Sie erinnern sich, das ist von dieser Firma DeepMind in London gebaut worden, ein Programm, das Go spielen kann. Und da sind von der Firma, so verlauten die in ihren Veröffentlichungen, die Regeln für das Go-Spiel festgelegt worden, und dann geht das Spiel selber auf die Suche und sucht den Suchraum aller möglichen Spielzüge ab und optimiert sich dann, bis es Go spielen kann. Das ist eigentlich schon ein Schritt in die richtige Richtung – in einem sehr engen Rahmen, aber immerhin –, nämlich Intelligenz wird ja immer auf einer Suche in einem eingeschränkten Raum beruhen, und das ist hier der Fall.
Karkowsky: Muss die Forschung erst noch viel besser die Funktionsweise neuronaler Prozesse verstehen, um echte künstliche Intelligenzen erschaffen zu können?
von der Malsburg: Also ich würde mal sagen, man muss sie besser interpretieren. Wir wissen ja schon unendlich viel über das Gehirn und in jeder Dekade wird das, was wir wissen, noch mal um den Faktor zehn oder so vergrößert. Die Neurowissenschaften sind aber im Augenblick in einem Zustand, wo sie eigentlich mal wieder aufgegeben haben, daran zu glauben, dass sie es je rauskriegen. Was nötig ist, ist die richtige Interpretation dessen, was im Gehirn passiert, was wir darüber wissen – Interpretation in dem Sinne, dass das das Material ist, aus dem der Geist gezimmert ist.
Karkowsky: Wie würden Sie dann das KI-Äquivalent zum Geist nennen? Wären das dann, ja, was, elektronische Organismen?
von der Malsburg: Das ist ein Ausdruck, der mir sehr gut gefällt, autonome elektronische Organismen. Das Organismische drückt ja dieses aus, dass aus einer Vielzahl von Daten, von Gegebenheiten in einer Situation etwas Sinnhaftes gemacht wird. Das muss man ja doch von denen verlangen. Also das scheint mir ein guter Name zu sein.

"Ich glaube nicht, dass das 100 Jahre dauert"

Karkowsky: Aber es bleibt am Ende immer die Frage: Wie kriegt man in eine Maschine etwas hinein, was man wirklich ein eigenes Bewusstsein nennen kann? Haben Sie eine Antwort?
von der Malsburg: Also ich denke, Bewusstsein ist die Fähigkeit unseres Organismus, unseres Hirns, eine ganz große Vielzahl von verschiedenen Gegebenheiten, also das, was wir sehen, was wir hören, was wir im Augenblick beabsichtigen, alle diese Dinge, die in verschiedenen Teilen in unserem Gehirn ablaufen, in ein organisches Ganzes zu bringen, sodass sie sich alle aufeinander beziehen, von derselben Sache reden. Das scheint mir auch Voraussetzung dafür zu sein, dass ein Gebilde bewusst wird. Und dazu muss man, so nehme ich an, nur die Regeln finden, wie also nun die Bauteile sich aneinander orientieren und sich aneinander ausrichten, sodass sie in einen organischen Zustand fallen.
Karkowsky: Das kann aber durchaus noch 100 Jahre dauern?
von der Malsburg: Ich glaube nicht, dass das 100 Jahre dauert, ich glaube, dass die Entwicklung im Augenblick eher durch Vorurteile gebremst ist, Vorurteile in Bezug auf die Interpretation der neuronalen Vorgänge, und dass, wenn diese Vorurteile mal weggeräumt sind, dass es dann sehr schnell gehen kann, erstens, die Sache zu verstehen, und dann auch relativ schnell gehen kann, die computermäßigen Grundlagen dafür zu schaffen, das auch umzusetzen.
Karkowsky: Sind vor allen Dingen Vorurteile bei Ihren neurowissenschaftlichen Kollegen – welche sind es genau?
von der Malsburg: Also eine Frage, die man stellen muss in Bezug aufs Gehirn, ist ja doch: Wie wird das, was wir intern fühlen, was wir erleben, die Szene, die mich umgibt zum Beispiel im Augenblick, wie wird das durch die Neuronen im Hirn dargestellt?
Und dazu gibt es eine Antwort, die im Augenblich das Denken total dominiert. Die besteht darin, dass jede Nervenzelle in meinem Gehirn ein Elementarsymbol ist, also rotes Licht an dieser Stelle oder ein Muskel, der bewegt werden soll oder so, ein Elementarsymbol, und der Zustand als Ganzes ist richtig beschrieben, wenn man weiß, welche Zellen an sind. Es ist wie ein Sandhaufen von Einzelaussagen über die gegenwärtige Situation.
Da dran fehlt der Zusammenhang: Wie beziehen die sich aufeinander? Dies ist die Farbe, die an dieser Form klebt sozusagen, das Bindungsproblem. Dieses Bindungsproblem – das habe ich vor 40 Jahren als solches beschrieben, das wird auch diskutiert, aber so ein bisschen an den Rand gedrängt –, dieses Bindungsproblem ist immer noch nicht gelöst.

Welche Ziele gibt man dieser Intelligenz?

Karkowsky: Sie müssen also andere Wege gehen, um zum Durchbruch zu verhelfen den Wegen, die Sie denken würden, um eine sehr fundamentale Revolution im Denken und der Technik auszulösen. Welche Wege könnten das denn sein, die sich unterscheiden von denen der, ich nenne sie jetzt mal, herkömmlichen Neurowissenschaftler?
von der Malsburg: Also wie gerade gesagt, die herkömmlichen Neurowissenschaftler denken in Form von Einzelzellen. Das liegt nahe, weil man auch mit technischen Methoden immer nur die Aktivität von Einzelzellen wahrnehmen kann. Worüber man nachdenken muss, um das zu verstehen, sind ganze Netze von Einzelzellen, die als Ganzes an- und ausschalten, und die so was wie die Legoblöcke unseres inneren Seins, unseres Denkens sind – also in Netzwerken denken, Netzwerke, die sich miteinander verschränken im bewussten Zustand, also Legoblöcke, die von alleine in komplexe Gedankengebäude fallen. Das ist die Revolution, die passieren muss.
Karkowsky: Und spätestens an dieser Stelle lösen diese Gedanken beim Normalmenschen ja auch Angst aus, denn selbstlernende Systeme brauchen keine Programmierer mehr, die machen sich selbstständig. Wir als Menschen werden überflüssig. Gibt es für Sie eine Strategie, das zu verhindern?
von der Malsburg: Also ich denke, wir kriegen eine ganze Menge Zeit, bis es so weit kommt, denn die Sache hat ja auch eine ökonomische Seite. Im Augenblick müsste man Großcomputer einsetzen, um so etwas wie eine Nachbildung des Menschen zu realisieren. Das ist sehr beschränkt in der Anwendung. Das wird Jahrzehnte dauern. Und dann muss man in der Tat sehr heftig als Menschheit drüber nachdenken, welche Ziele und welche Inhalte man echten, also freien Intelligenzen, so wie wir Menschen frei sind von unseren Instinkten, welche Ziele man dieser Intelligenz geben wird.
Karkowsky: Und haben Sie schon eine Ahnung, welche Ziele das sein könnten? Weil das erste Robotergesetz, was immer wieder in der Science Fiction angeführt wird, du darfst nicht gegen deinen Programmierer aufbegehren, das wird die nicht mehr interessieren, wenn sie so selbstständig sind.
von der Malsburg: Na, man kann ja hoffen, dass die Intelligenz, wenn sie mal existiert, wirklich intelligent ist. Also wenn wir das richtig anstellen, wird es eine freundliche Intelligenz sein, in erster Linie vielleicht gegenüber der Erde, und in zweiter Linie auch uns gegenüber, uns Menschen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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