KFOR-Kommandeur fordert baldige Entscheidung über Kosovo-Status

Moderation: Marie Sagenschneider · 25.06.2007
Der Kommandeur der KFOR-Schutztruppe, Generalleutnant Roland Kather, hat eine schnelle Entscheidung über den künftigen Status des Kosovo angemahnt. Zwar sei die Lage in der serbischen Provinz derzeit absolut ruhig. Dennoch sei zu spüren, dass die Nervosität im Kosovo zunehme, sagte Kather.
Marie Sagenschneider: Was wird aus dem Kosovo? Die Kosovo-Albaner drängen auf ihre Souveränität, aber Serbien mauert. Und die internationale Gemeinschaft? Russland steht an der Seite Serbiens und droht mit Veto im Sicherheitsrat und die drei Mitglieder des Sicherheitsrates, die für den Artissari-Plan plädieren, nämlich Frankreich, Großbritannien und die USA, sie setzen auf Zeit. Vier Monate Beratungspause haben sie nun vorgeschlagen, um Serben und Kosovo-Albanern doch noch die Möglichkeit zu geben, eigenständig eine Lösung zu finden. Offiziell gehört das Kosovo immer noch zu Serbien. Faktisch steht es unter Verwaltung der Vereinten Nationen und deren Vermittler Marrti Artissari hatte empfohlen, das Kosovo in eine Art überwachter Unabhängigkeit zu entlassen.
Jetzt schon wie gesagt wird das Kosovo überwacht von einer NATO-geführten Schutztruppe, deren größtes Kontingent Deutschland stellt mit über 2000 Soldaten und an deren Spitze auch ein Deutscher steht, nämlich Generalleutnant Roland Kather. Herr Kather, ich grüße Sie!

Roland Kather: Ich begrüße Sie nach Berlin!

Sagenschneider: Dieses Spielen auf Zeit, Herr Kather, in der Statusfrage, inwieweit beeinträchtigt das eigentlich Ihre Arbeit im Kosovo?

Kather: Zunächst einmal vom Prinzip beeinträchtigt das meine Arbeit nicht. Mein Mandat ist klar: Wir haben hier für ein stabiles sicheres Umfeld zu sorgen und das aufrechtzuerhalten und insbesondere für unsere KFOR-Kräfte die Bewegungsfreiheit sicherzustellen. Das tun wir nunmehr seit gut acht Jahren und das werden wir, solange sich an diesem Mandat nichts ändert, auch weiterhin tun.

Aber Sie haben natürlich Recht: Die Lage hat sich schon ein wenig verändert. Man erkennt eine steigende Nervosität bei beiden Seiten. Alle Menschen wissen jawohl, wir sind möglicherweise – und das hoffen zumindest die einen – auf der Zielgeraden und wir müssen uns natürlich schon ein wenig darauf einstellen, dass es hier zu Reaktionen kommen kann. Deswegen sind wir auch gut vorbereitet. Im Augenblick ist aber festzustellen, die Lage ist absolut ruhig und ich bin ganz dankbar darüber. Das zeigt nämlich, dass die Menschen offenkundig unsere Botschaft verstanden haben, die wir nun seit Monaten, ja solange ich hier bin ihnen auch sagen, dass Gewalt zu nichts führt.

Sagenschneider: Ihre Botschaft lautet, so weit ich weiß, auch: akzeptiert den Artissari-Plan. Denn Sie betreiben ja schon Aufklärung dort auch?

Kather: Nicht ganz! Es sieht so aus, Frau Sagenschneider, dass die NATO - und der NATO-Generalsekretär hat das ganz deutlich unterstrichen – den Artissari-Vorschlag voll unterstützt. Das hat aber nicht unmittelbaren Ausfluss auf meinen Auftrag, weil der ist in diesem Zusammenhang unverändert. Und da wir uns grundsätzlich auch völlig neutral verhalten, das heißt, da wir unseren Auftrag völlig unparteiisch ausführen und sehr gute Verhältnisse beispielsweise auch zu unseren Nachbarn haben – und zwar zu allen Nachbarn -, hat das auf unseren Auftrag zunächst einmal keinen Einfluss. Wir sind hier da, für Sicherheit zu sorgen, und das tun wir für alle Menschen im Kosovo, völlig unabhängig davon, welchem Glauben sie angehören, welche Hautfarbe sie haben oder was auch immer.

Sagenschneider: Dann frage ich mal anders herum, Herr Kather. Würde es denn Ihre Arbeit erleichtern, wenn es eine Entscheidung in der Statusfrage gäbe?

Kather: Wenn es eine Entscheidung gäbe, der alle Seiten zustimmen würden, dann wäre das natürlich sicherlich ein Durchbruch. Das würde meine Arbeit maßgeblich erleichtern.

Sagenschneider: Inwiefern?

Kather: Weil eben alle zustimmen und dann wäre Einvernehmen. Würde es aber dazu kommen, dass wir eine wie auch immer geartete Unabhängigkeit bekämen, der vorab weder die Serben noch vor allem die Russen zugestimmt haben, dann würde das unsere Arbeit sicherlich nicht vereinfachen, sondern ganz im Gegenteil: das würde die Arbeit dann schon ein wenig verkomplizieren. Insofern würde ich mich schon auch darüber freuen, wenn es hier zu einem einvernehmlichen Ergebnis käme.
Aber eines ist klar, und das ist auch aus meiner Verantwortung heraus ganz wichtig: Wir brauchen die Entscheidung so schnell wie möglich. Das ist eindeutig, weil man eben merkt, dass die Nervosität hier zunimmt.

Sagenschneider: Die Nervosität nimmt zu und Sie befürchten, dass die Kosovo-Albaner dann möglicherweise nicht mehr stillhalten werden und auch ohne die Vereinten Nationen ihre Unabhängigkeit erklären?

Kather: Das kann ich im Augenblick nicht sagen. Wir sind ja dabei, den Menschen klar zu machen – und das ich denke schon mit gutem Erfolg -, alle gemeinsam, sowohl die internationale Gemeinschaft, aber KFOR auch, ihnen zu sagen, dass sich das hierbei um einen zutiefst demokratischen Prozess handelt, der wegen seiner Komplexität – und es ist ja zweifelsfrei eines der schwierigsten Probleme, die wir auf dem Tisch liegen haben – natürlich etwas Zeit dauert und möglicherweise wie Sie es sagten sogar etwas länger dauern wird und deshalb ein wenig mehr Geduld erfordert. Aber eines – und das macht KFOR natürlich in besonderem Maße -, wir sagen den Menschen lasst die Finger weg von Gewalt. Ihr habt 2004 gesehen, Gewalt führt zu gar nichts. Und ich glaube, das haben die Menschen verstanden. Insofern kann ich sagen, die Lage ist unverändert ruhig.

Sagenschneider: Sie haben vorhin gesagt, Herr Kather, die internationale Schutztruppe ist jetzt seit acht Jahren da. Das ist ja eine lange Zeit. Was hat sich denn seitdem entwickelt in dieser Region, außer dass die Lage ruhig ist? Wobei gibt es Fortschritte und auf welchen Feldern kommt nun so gut wie gar nichts voran?

Kather: Ich bin ja wie Sie vielleicht wissen 99 unmittelbar nach dem Kriege schon mal hier gewesen für sechs Monate und wenn man das vergleicht, dann ist das ein Quantensprung. Damals war die Provinz nahezu zerstört. Allabendlich brannten noch Häuser. Die Menschen litten Hunger und Not. Man konnte das Entsetzen auf den Gesichtern sehen. Die Kinder konnten nicht mehr lachen. Sie hatten das Lachen verlernt. In meinem ersten Einsatz ging es damals im Wesentlichen darum, Hungerskatastrophen zu verhindern und vor allem die Menschen durch den extrem kalten Winter zu bringen. Wenn man heute mit dem Flugzeug hier reinfliegt, wir haben es hier äußerlich mit einem ganz normalen südeuropäischen Landstrich zu tun. Insofern alleine daran sieht man, was sich verändert hat. Wir haben hier das Gefühl, in einem normalen friedlichen Umfeld zu leben. Die Kinder lachen wieder. Die Schulen sind voll, teilweise in drei Schichten. Die Universität hier in Pristina quillt aus allen Nähten. Die Menschen sind bildungshungrig und über 90 Prozent der Menschen haben die Nase von Gewalt gestrichen voll. Das kann man ganz deutlich sagen: das hat sich geändert. Die Menschen haben auch dazu gelernt. Im Übrigen auch wir haben dazu gelernt nach 2004. Insofern glaube ich in der Tat ja, hier hat ein doch gewaltiger Entwicklungsprozess stattgefunden.

Sagenschneider: Gilt das auch für die serbische Minderheit im Kosovo? Da hat es ja schon einen großen Exodus gegeben und der größte Teil der serbischen Minderheit, die im Kosovo lebt, lebt mehr oder weniger in Enklaven.

Kather: Wir haben zunächst mal den Teil im Norden des Kosovo mit über 90 Prozent Anteilen von Kosovo-Serben und dann in der Tat ja kleine, mittlere und größere Enklaven insbesondere hier im Zentralbereich und dann unten in dem Sektor, den die Amerikaner verantworten. Wenn wir mit den Kosovo-Serben reden – und ich komme selber gerade von einem solchen Unternehmen. Wir haben ein wenig unsere Strategie angepasst. Wir sitzen ab von unseren Fahrzeugen. Wir gehen zu Fuß. Wir machen sogenannte Fußpatrouillen. Wir beschreiben das Ganze mit dem Slogan "walk and talk", also gehe und sprich mit den Menschen, gib das Zeichen, dass du ansprechbar bist. Ich habe selbst gerade wieder zum zweiten, dritten Mal die Erfahrung gemacht, dass mir ein serbischer Dorfältester sagte, wir brauchen die Statusentscheidung jetzt. Er merkte wohl, wie ich etwas erstaunt geguckt habe ob dieser Klarheit, und er sagte "das ist doch ganz klar. Wir hier in unseren Dörfern und Gemeinden haben vor dem Krieg bestens zusammen gelebt und das werden wir jetzt auch wieder tun. Und sie sind doch Deutscher und sie wissen doch: Versöhnung, das geht nicht von heute auf morgen. Aber wir kriegen das hier auf die Reihe. Da können sie ganz sicher sein."

Natürlich gibt es auch die andere Sprache. Natürlich gibt es die auch. Es gibt auch sicherlich den einen oder anderen, der hier weggehen wird. Ein Stück weit, wenn ich das so sagen kann, ist meine Sorge auch, dass natürlich so ein CNN-Effekt hier möglicherweise stattfinden könnte, solange alle weltweiten Kameras an sind man hier den Eindruck erwecken möchte wir gehen raus, kaum sind die Kameras aus kommen die Menschen wieder. Denn die Erfahrung lehrt uns: alle die, die da sind, sagen jawohl, man kann hier wieder miteinander leben und vor allen Dingen in Serbien hat auf uns keiner gewartet und die Lebensverhältnisse einschließlich der Arbeitslosigkeit sind dort auch schon gleich gar nicht besser als hier im Kosovo. Also die Menschen bemühen sich und ich habe auch einen Paradigmenwechsel festgestellt. Das heißt, ich habe zunehmend den Eindruck, dass die Menschen sagen kommt, lasst uns bitte schön jetzt Schluss machen mit der Debatte. Wir wollen jetzt die Ärmel aufkrempeln und zusammenleben. Dazu kommt, dass die Armut hier so groß ist, dass die Menschen in Wirklichkeit damit beschäftigt sind, ihren Alltag zu regeln und ihre Familien satt zu kriegen. Das geht über alle Ethnien hinweg, so dass ich glaube, in der Tat auch aus diesem Grund, wir brauchen die Entscheidung so schnell wie möglich, auch aus wirtschaftlichen Gründen. Stagnation der Wirtschaft, Rechtsstaatlichkeit, organisierte Kriminalität, um Ihren zweiten Teil der Frage zu beantworten, das sind die Felder, die hier nach wie vor eminent sind. Das sind Felder, die so bald es möglich ist gelöst werden müssen, weil sonst greift hier tatsächlich Anarchie um sich und das wollen wir alle vermeiden.

Sagenschneider: Herr Kather, ich danke Ihnen. – Generalleutnant Roland Kather war das, der Kommandeur der NATO-Schutztruppen im Kosovo, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.