Kette von Fehlern

Von Mirko Smiljanic · 27.03.2007
Vor 30 Jahren ereignete sich auf der Ferieninsel Teneriffa das bis heute schwerste Flugzeugunglück in der Geschichte der zivilen Luftfahrt. Zwei Boeing-Flugzeuge stießen zusammen, 583 Menschen starben.
Teneriffa, Flughafen Los Rodeos, 27. März 1977, 17.02 Uhr. Dicht gedrängt warten mehrere Maschinen auf die Starterlaubnis. Darunter je eine Boeing 747 der US-amerikanischen PanAm und der niederländischen KLM. Es ist nebelig, und es herrscht Zeitdruck: zwei Faktoren, die wenige Minuten später zusammen mit einer fast unglaublichen Verkettung aus technischen Fehlern und menschlichem Versagen, Inkompetenz und Überheblichkeit zur schwersten Katastrophe der zivilen Luftfahrt führen.

Alles begann ein paar Stunden vorher.

"Auf dem internationalen Flughafen der Kanareninsel Las Palmas explodierte ein Sprengsatz, und daraufhin musste der Flughafen geschlossen werden. Alle anfliegenden Maschinen wurden zur Nachbarinsel Teneriffa umgeleitet, und der dortige Flughafen war für den Ansturm zusätzlicher Maschinen nicht ausgelegt, es kam zu einem Riesengedränge","

erläutert Jan Arwed Richter vom Flugunfallbüro JACDEC, dem Jet Airliner Crash Data Evaluation Center in Hamburg. Um 15 Uhr wurde die Sperrung des Flughafens auf Las Palmas aufgehoben, nach und nach starteten die umgeleiteten Maschinen. Vor allem die KLM-Crew wollte rasch weiter: Sie war bereits über zehn Stunden im Dienst und musste Teneriffa bis 19 Uhr verlassen, sonst wäre eine Zwangspause fällig gewesen. Gegen 17 Uhr waren der PanAm- und der KLM-Jumbo bereit zum Abflug. Wegen der sich ändernden Windrichtung forderte der Tower den KLM-Piloten allerdings auf,

""die Bahn herunterzurollen, die Startbahn, am Ende zu drehen und auf Startfreigabe zu warten. Zur selben Zeit wurde auf einer anderen Frequenz der Jumbo der PanAm aufgefordert, der KLM-Maschine zu folgen, dies allerdings ohne Sichtkontakt zur voraus rollenden Maschine zu haben, weil zwischendurch sich das Wetter merklich verschlechtert hatte und Nebel aufzog, dass also weder die Piloten sich sehen konnten, noch die Fluglotsen im Tower Sichtkontakt zu einer der beiden Maschinen hatten."

Beide Maschinen rollten hintereinander zum Ende der Startbahn, allerdings hätte der PanAm-Jumbo nach wenigen Minuten auf einen Seitenweg ausweichen müssen, um die Bahn zu räumen. Genau das passierte aber nicht, weil es Kommunikationsprobleme gab. Der Funkkontakt war verzerrt, die Fluglotsen sprachen ein schlechtes Englisch, außerdem fanden die Piloten einfach nicht die Ausfahrt. Folge: Beide Jumbos standen sich auf derselben Startbahn frontal gegenüber, hatten wegen des Nebels aber keinen Sichtkontakt.

Den entscheidenden Fehler beging um 17.06 Uhr schließlich der KLM-Pilot: Er beschleunigte seine Maschine, obwohl der Tower noch keine Startfreigabe gegeben hatte.

"Im Nebel konnten sich erst wenige Momente vor dem eigentlichen Zusammenprall beide Crews sehen, die Piloten der PanAm Maschine haben als erste die Scheinwerfer der herannahenden 747, der KLM-Maschine gesehen, aber für ein Ausweichmanöver war es zu spät, der Jet stand noch mitten auf der Startbahn, machte noch eine Bewegung nach links, aber es reichte nicht, um von der Bahn runterzukommen. Beide Maschinen trafen sich nach einer Rollstrecke von etwa 1000 Metern, was viel zu kurz ist, um einen Jumbo in die Luft zu bringen, dabei rammte das ausgefahrene Fahrwerk fast die obere Sektion des amerikanischen Flugzeuges weg."

Alle Passagiere und Crew-Mitglieder der KLM-Maschine starben in dem sich ausbreitenden Feuer, beim PanAm-Jet überlebten 61 Passagiere. Insgesamt fanden 583 Menschen den Tod. Die Schuldfrage schien rasch geklärt: Der KLM-Pilot hatte die Starterlaubnis nicht abgewartet. Allerdings wurde noch eine andere Schwachstelle aufgedeckt: Damals herrschte in den Cockpits eine riskante Hierarchie: Der Chefpilot hatte immer Recht, ihm zu widersprechen war fast undenkbar. Ein Problem, mit dem vor allem die niederländische Crew zu kämpfen hatte.

"Nicht nur die Tatsache, dass er mit vier Streifen der Ranghöchste war im Cockpit, sondern auch durch seine Ausbildungstätigkeit, er war ja ein Starpilot dieser Airline, mit seinem Gesicht wurde auf Werbeplakaten geworden, das macht ihn natürlich zu einer absoluten Respektperson, dessen Ansichten und Entscheidungen nicht hinterfragt werden dürfen."

Die Katastrophe von Teneriffa hatte eine Reihe von Konsequenzen für die Sicherheitsregeln der zivilen Luftfahrt: Die Standarddialoge zwischen Tower und Cockpit wurden überarbeitet, der Funk qualitativ verbessert, vor allem aber gilt seit dem 27. März 1977 der Grundsatz: Der Copilot muss im Zweifel eingreifen.