Kernlose Früchte

Die Tricks der Züchter

Von Udo Pollmer · 04.11.2012
Herbst ist die Zeit für erntefrisches Obst. Besonders beliebt bei jung und alt sind kernlose Früchte. Warum aber gibt es Trauben, die keine Kerne, also keine Samen enthalten? Eigentlich dürften die sich ja gar nicht vermehren lassen.
Wir Verbraucher lieben kernlose Früchte, vor allem die Kinder. Deshalb arbeiten die Pflanzenzüchter daran, das Angebot an kinderfreundlichem Obst zu erweitern. Dazu kommt das Eigeninteresse der Züchter. Denn aus samenlosen Früchten lässt sich so leicht kein neues Pflänzchen heranziehen. Das sichert ihnen die Lizenzgebühren bei Neuzüchtungen.

Dabei sind kernlose Früchte ein alter Hut – zumindest im Falle der Trauben. Die derzeit bei uns angebotene Sorte "Thompson Seedless" ist sogar uralt. So nennen die US-Amerikaner die gute alte kernlose Sultana; sie ist vermutlich türkischen Ursprungs. Getrocknet spricht man von Sultaninen – daher der Name. Die Sultana-Traube ist ein biologisches Kuriosum. Damit sie Beeren bildet, muss sie erst mal bestäubt werden. Dann entstehen sogar kleine Kerne, die aber wieder verschwinden. In freier Wildbahn wäre diese Mutante mangels Nachwuchs schnell untergegangen. Aber der Mensch hat ihre Reiser auf andere Weinstöcke gepfropft und bis heute weiterkultiviert.

Das Fehlen der Traubenkerne hat auch Nachteile. Richtige Kerne geben nämlich Hormone ab, die das Wachstum der Beeren stimulieren. Deshalb sind kernlose Traubensorten oftmals so klein. Um das Schlimmste zu verhindern, besprühen die Winzer ihre Weinstöcke mit den fehlenden Hormonen, mit Gibberellinen. Dadurch werden die einzelnen Träubchen größer und der ganze Fruchtstand wirkt dann fülliger – sozusagen kerngesund.

Bei einer anderen Frucht wundert sich kaum jemand über das Fehlen der Kerne: Es ist die Ananas. Anders als die Sultana bildet sie ihre Früchte auch dann, wenn sie nicht befruchtet wurde. Dieses Phänomen heißt Parthenocarpie – das Ergebnis sind "Jungfernfrüchte". In freier Wildbahn enthält die Ananas natürlich Kerne. Die sind hart und rau und zu tausenden im Fruchtfleisch verteilt. Um das zu vermeiden, achtet man in den Ananas-Plantagen auf zwei Dinge: Erstens wird weit und breit ausschließlich nur ein einziger Klon angebaut. Denn der kann sich nicht selbst befruchten. Ohne Befruchtung keine Kerne. Zweitens hält man auch die natürlichen Bestäuber der Ananas fern. Das sind Kolibris. Die Ananas-Nation Hawaii hat deshalb den Import von Kolibris streng untersagt.

Kernlose Wassermelonen ticken wieder anders. Hier werden nicht Klone gepflanzt, sondern Hybrid-Saatgut. Man beginnt mit den schwarzen Kernen, die überreichlich im Fruchtfleisch zu finden sind. Diese Kerne werden mit einer Chemikalie behandelt, damit sich die Zahl der Chromosomen im Erbgut verdoppelt - von 22 auf 44. Dieses neue Saatgut wird nun erst mal vermehrt. Im nächsten Jahr wird das 44er zusammen mit 22er-Saatgut angebaut. Wenn die Blüten der 44er-Melonen von den 22ern bestäubt werden, enthalten die neuen Kerne die Schnittmenge – nämlich Hybriden mit 33 Chromosomen. Das macht sie unfruchtbar. Doch damit diese 33er-Pflänzchen noch richtige Früchte bilden, müssen sie vorher – so wie die Sultana auch – befruchtet werden. Für eine erfolgreiche Bestäubung pflanzt der Gemüsebauer noch ein paar Reihen normaler 22er-Sorten dazwischen. So reifen saftige Melonen heran – aber ohne Kerne. Sie enthalten lediglich noch ein paar kleine weiße essbare Hüllen.

In der Natur sind samenlose Früchte gar nicht so selten. Über den Sinn und Zweck haben die Botaniker lange gerätselt. Wozu soll so etwas gut sein? Inzwischen weiß man, dass auch samenlose Früchte zu einer erfolgreichen Vermehrung beitragen. Denn nicht nur Menschen, auch andere Fressfeinde wie Insekten bevorzugen die kernlosen Exemplare. Um die Schädlinge zu ihren kernlosen Früchten zu locken, vermindern die Pflanzen darin sogar den Anteil an schädlichen Abwehrstoffen. So bleiben die "echten" Früchte mit ihren Kernen verschont – denn die schmecken ja nicht. So gesehen dient kernloses Obst wieder einmal der Täuschung – zugunsten der Pflanze.

Literatur:

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