Kennzeichnungspflicht für bearbeitete Bilder in Frankreich

"Wir können uns vor Bildwelten nicht verschließen"

Ein Model auf dem Laufsteg während der Berliner Fashion Week.
Bilder von Magermodels sollen in Frankreich bald der Vergangenheit angehören. © picure alliance / dpa / Jens Kalaene
Fotograf Maurice Weiss im Gespräch · 10.10.2017
In Frankreich müssen Fotografen seit dem 1. Oktober kennzeichnen, ob Model-Fotos per Photoshop nachbearbeitet wurden. Der Fotograf Maurice Weiss sieht darin eine sinnvolle Maßnahme, weil es junge Menschen schützt.
Das Retuschier-Verbot bzw. das Kenntlichmachen von Bildbearbeitung soll dabei helfen, stärker gegen Magersucht vorzugehen. Wir haben mit dem Fotografen Maurice Weiss von der Agentur Ostkreuz darüber gesprochen, wie sinnvoll solche Maßnahmen sind.
Gesa Ufer: Das Kenntlichmachen von retuschierten Frauenkörpern - halten Sie das für sinnvoll?
Maurice Weiss: Modefotografie ist für viele junge Menschen ein Vorbild, und wenn das Vorbild auch rein physiologisch nicht mehr erreichbar ist, dann ist es natürlich für die jungen Frauen extrem frustrierend und auch gefährlich. Und wenn die Gesellschaft auf so ein Problem keine andere Antwort weiß, dann hoffe ich, dass so ein Gesetz die jungen Leute schützt.
Gesa Ufer: Wie verbreitet ist Photoshop in der Modefotografie?
Maurice Weiss: Werbung versucht, uns im Herz zu treffen. Uns dort abzuholen, unsere Traumwelten, unsere Bildwelten zu finden.
Das ist auch eine Produktionskostengeschichte: Wir reden von Pixelschubsern. Sie fotografieren ein Auto im Studio, dann wird es in eine Landschaft gepackt und dann findet aber der Marketingleiter, das Rot ist schöner als das Blau zum Verkaufen, und da wird man kein neues Auto fotografieren, sondern da wird eben in Photoshop das Bild verändert. Das ist ein reines Produktionsmittel.
Im journalistischen Bereich sind Bildmanipulationen im Sinne von Inhalte verändern, hinzufügen usw. ein absolutes No-go. In der Werbung ist das einfach wie Malerei, wie Grafik, wie Zeichnung – alltägliches Brot.
Gesa Ufer: Genießen wir nicht auch die Illusion der Werbung, lassen uns gerne verzaubern?

"Gute Werbung kann einen sicherlich verzaubern"

Maurice Weiss: Gute Werbung kann einen sicherlich verzaubern, nicht umsonst gibt es ja berühmte Werbekampagnen, die wir bis heute zitieren, sowohl als Bild als auch Sprache.
Das Problem mit Fotografie allgemein ist: Wir können uns vor Bildwelten nicht verschließen, sie machen sofort mit uns was. Ich denke, dass jeder sich dabei erwischt hat, wie er sich von Bildern hat verführen lassen zu Dingen, die er eigentlich nicht wollte und wie er sich in etwas hineingeträumt hat.
Die jüngste Plakatkampagne des französischen Modehauses Yves Saint Laurent zeigte schlanke Frauen in Netzstrumpfhosen, hochhackigen Rollschuhen und knappen Bodys. Die Models posierten mit hochgerecktem Hinterteil, wirkten dürr, devot und stark sexualisiert
Die jüngste Plakatkampagne des französischen Modehauses Yves Saint Laurent wurde nach Protesten eingestellt© dpa picture alliance/Leon Tanguy/MAXPPP
Das ist die alte Masche von Gefühlen, Hollywood arbeitet damit, die Werbung arbeitet damit, gute Kunst arbeitet damit, die Stoßrichtungen sind natürlich sehr anders. Gut, der Journalismus arbeitet auch mit diesen Gefühlen, aber die Intentionen dahinter sind sehr, sehr unterschiedlich. Die darf man bitte nicht verwechseln.

Laute Werbung ist wie ein Knall: Kein Entkommen

Gesa Ufer: Es gibt seit Jahrzehnten Bestrebungen, auch in der Werbung, Frauenkörper realistisch abzubilden, sprich mit ein paar Gramm mehr, oder mit Zellulite. Da verändert sich doch schon einiges peu à peu. Oder wie nehmen Sie das wahr?
Maurice Weiss: Möchte ich wirklich wissen, wie der Mensch, der auf dem Foto ist, ist der echt? Gerade in der Werbung ist es ein Problem: Möchte ich eine Frau sehen oder möchten sich die Frauen selber sehen mit Zellulite? Eher nicht!
Man möchte sich auch ein bisschen hineinträumen, was man sein könnte, und die Werbung sagt, wenn du dieses oder jenes Produkt verwendest, dann kannst du so schön sein wie das, was wir dir hier gerade zeigen.
Das Problem ist nur, wenn man da immer in die Extreme geht, und ich meine in dieser Welt, wo mittlerweile Smartphones Millionen von Bildern produzieren, geht es darum, wie erreiche ich Aufmerksamkeit? Mit Sensation, mit noch dicker, mit noch dünner, mit noch größer, es geht immer um das Mehr, das ist immer das Einfachste.
Und das Feine, den richtigen Ton zu treffen, das ist natürlich viel schwieriger. Die gute Werbung trifft den feinen Ton, die holt einen beim übernächsten Mal ab.
Die laute Werbung, ich red dann vom Knall, der Knall ist laut, ich kann nichts hören, kann mich nicht verstecken vor ihm, und dann bin ich sozusagen mit drin. Einen Klang zu erzeugen, ist viel schwerer, und diese superdünnen Models sind eben bloß ein Knall - oh, Gott ist die dünn! - und diese Extreme immer zu suchen.
Und ich finde, immer das Extreme zu suchen und wenn bestimmte Extreme überschritten werden und in das Herz von Menschen treffen, die sich nicht dagegen wehren können, ein 14-jähriges pubertierendes Mädchen, das auf der Suche nach seiner Identität ist, kann sich nicht dagegen wehren. Und dass man dann irgendwann als Gesellschaft sagt: Nun ist eine Grenze erreicht, das können wir nicht weiter denen überlassen, die die Verantwortung für diese Bilder tragen, das halte ich dann für konsequent.
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