Kellerei

Schwefellos - ein guter Wein?

In einem Glas Weißwein spiegelt sich in Moritzburg in Sachsen ein Teehaus am Jagdschloss.
Vollmundig und fruchtig soll der Weißwein sein, die Winzer haben da so ihre Tricks. © picture alliance / ZB
Von Udo Pollmer · 28.08.2015
Auch wenn im Wein die Wahrheit liegen soll, so bleibt das Treiben im Weinkeller nach wie vor das Geheimnis des Kellermeisters. Lediglich die Beigabe von Schwefel muss deklariert werden. Das mache so manchen Verbraucher grundlos nervös, findet Lebensmittelchemiker Udo Pollmer.
Der Schwefel hat ein Imageproblem: Seit dem Mittelalter steht er unter Generalverdacht. Er ist das Element des Teufels. Dort wo es nach Schwefel riecht, hat der Gottseibeiuns seine Duftmarke hinterlassen. Wen wundert es da, wenn der Schwefel heute Allergien auslöst? Noch verdächtiger: Er soll bei übermäßigem Weingenuss für den Kater am nächsten Morgen verantwortlich sein – Teufel aber auch!
Dieser Verdacht hat einen konkreten Grund: Bei Fehlgärungen gab der Winzer eine Extraportion Schwefel in den Most, sonst hätte er ihn wegkippen können. Das Schädelbrummen kam aber weniger vom Schwefel, sondern von unangenehmen Gärungsnebenprodukten wie Histamin und Fuselalkohol.
Weniger Schwefel ist gut, aber gar kein Schwefel?
Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde vom Gesetzgeber die erlaubte Zugabemenge an Schwefel immer weiter gesenkt. Das hatte einen erfreulichen Effekt: Die Winzer mussten zunehmend sauberer arbeiten, sowohl bei der Wahl des Lesegutes, als auch bei der Hygiene im Keller. Das kam der Bekömmlichkeit zugute. Daraus entstand beim Verbraucher die Vorstellung, ein Wein sei perfekt, wenn gar kein Schwefel mehr verwendet würde. Dies ist so nicht zutreffend.
Wenn beispielsweise junger Fasswein guter Qualität aus Spanien importiert wird, braucht er locker 50 Milligramm Schwefel pro Liter, bevor er vom Keller in den Tank gepumpt werden kann. Für den Transport kommt nochmal Schwefel zur Stabilisierung dazu, sonst taugt der Wein nur noch für Essig. Selbst beim Transport in Thermo-Tanks ist der Schwefel bereits verbraucht, wenn der Wein in Deutschland ankommt. Während des Ausbaus und vor der Abfüllung wird nochmals geschwefelt. Wer zu knapp dosiert, produziert Weine, die nur eine kurze Haltbarkeit haben, die nicht frisch und fruchtig schmecken, sondern alt und oxidiert, und bisweilen auch nach Hamsterkäfig riechen. In den nächsten Jahren wird wohl viel schwefelarmer Wein im Ausguss der Kunden landen.
Jede einzelne faule Traube wird aussortiert
Nun gibt es auf dem Markt auch gänzlich ungeschwefelte Weine – es geht offenbar doch. Das gelingt aber nur mit einem Bündel an Maßnahmen: Manche Winzer vergären nur absolut sauberes Lesegut, aus dem jede einzelne faule Traube aussortiert wurde. Die weitere Verarbeitung und Abfüllung erfolgt möglichst unter sterilen Bedingungen und unter Ausschluss von Luftsauerstoff. Statt einem atmenden Naturkorken benötigt dieser Wein einen luftdichten Schraubverschluss.
Doch das allein genügt nicht, um auf den Schwefel gänzlich verzichten zu können. Deshalb wird der Traubensaft zusätzlich pasteurisiert, also wie die Milch kurzzeitig erhitzt, um den Keimgehalt zu senken. Das tötet auch die natürliche Hefe ab, damit sind dann Reinzuchthefen unumgänglich. Abgefüllt wird mit sogenannten Entkeimungs-Filtern. Die filtern auch die feinsten Bestandteile aus dem fertigen Wein, und damit auch alle Mikroorganismen. Das Verfahren hat sich bei Bier bewährt, führt allerdings zu einem flachen Geschmack.
Mit wohldosierten Stromstößen lässt sich das Sulfit entfernen
Effektiver als die Pasteurisation ist die Druckwechseltechnologie. Dabei wird der Wein mit einem Gas, meist Stickstoff oder Argon imprägniert. Dann wird die Gas-Wein-Mischung einem hohen Druck von mehreren hundert bar ausgesetzt. Das gelöste Gas diffundiert so in die Mikroorganismen. Wird der Druck anschließend abrupt gesenkt, dehnt sich das Gas in den Mikroben aus und bringt diese zum Platzen. Derartige Weine werden dann mit dem Image der "Natürlichkeit" vermarktet, weil ohne Sulfit.
Platzen könnte wohl mancher Genießer, wenn er von jenen Verfahren erfährt, bei denen Elektroden in den Wein getaucht werden. Mit wohldosierten Stromstößen lässt sich das Sulfit entfernen, und vor allem: Der Wein wird weicher, runder und voller im Geschmack. Nach einer anderen Methode wird für den gleichen Zweck Ozon in den fertigen Wein geblasen. Eine solche Schnellreifung ist äußerst lukrativ – überprüfen kann das letztlich kein Kunde. Aber es reicht allemal für Begeisterung bei Weinverkostungen: Endlich mal ein vollmundiger, fruchtiger Wein ohne den verteufelten Schwefel! Mahlzeit!

Literatur:
Vally H, Thompson PJ: Allergic and asthmatic reactions to alcoholic drinks. Addiction Biology 2003; 8: 3-11
Stites R et al: Device for accelerated aging of wine: WO-Patent 2015/103164
Klingner E et al: Verfahren und Vorrichtung zum Konservieren von Flüssigkeiten. DE-Patent 103 43 511
Guangli H et al: Instrument for removing sulfite in grape wine through ozone oxidation method. CN-Patent 203200242
Anon: Wein: Übler Stoff. Spiegel 1980; Nr. 17: 111-114
Reisinger W: Geheimnisvoller Schwefel. Selbstverlag, Fluch oder Segen für den Wein? Ingelheim 2009
Schilling A: Schwefel im Wein – Bruchlandung des Monats März. derweinblog.de 25. März 2014
Sigler J et al: EineMenge neuer Mittel im Test. Der Badische Winzer 2013; (Sept): 17-24
Riegel P: EU-Bio-Richtlinie: Außer Schwefel keine Frevel? Weinkenner.de 2. März 2012
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