Keller: Wir können nicht weiter kürzen

Atai Keller im Gespräch mit Susanne Führer |
In Sparzeiten müsse man das Geld für Kultur erhöhen und nicht kürzen, sagt Atai Keller von der Kulturliste Freiburg. Da sie ein Lebenselixier für die Menschen sei, plädiere er für eine Sonderabgabe, so der Stadtrat.
Susanne Führer: Schon seit Jahren klagen die Kommunen darüber, dass sie für ihre Aufgaben, also Müll, Kitas, Schwimmbäder, Bibliotheken oder auch Theater zu wenig Geld erhalten. Durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat sich die Lage noch verschärft, und wir führen im "Radiofeuilleton" nun eine Debatte darüber, wie die kommunalen Kulturaufgaben finanziert werden können und von wem. Einer, der kommunalpolitisch-kulturell sehr engagiert ist, ist Atai Keller, Stadtrat im Freiburger Gemeinderat, der Kulturliste Freiburg. Guten Tag, Herr Keller!

Atai Keller: Hallo!

Führer: Wuppertal schließt sein Theater, andere Kommunen ihre Bibliotheken, wie sieht es im reichen Freiburg aus?

Keller: Na ja, das reiche Freiburg sagen wir mal ist so reich ja nun auch nicht, aber sagen wir, die Sorgen, die andere Kommunen vielleicht wie in Nordrhein-Westfalen haben, die haben wir im Moment noch nicht. Das heißt, wir haben einen ordnungsgemäßen Haushalt verabschiedet und sind also auch in der Lage, unsere Aufgaben zu bewältigen – das allerdings in den letzten Jahren doch unter dramatischen Kürzungen, auch was die Kultur angeht.

Führer: Was ist denn für Sie eine dramatische Kürzung?

Keller: Na ja, wissen Sie, wenn zum Beispiel in einer Stadt wie Freiburg sämtliche Festivals eigentlich mehr oder weniger abgeschafft werden, weil sie flexible Töpfe sind, flexible Punkte im Haushalt, dann ist das schon dramatisch, weil natürlich eine Stadt wie Freiburg, die natürlich vom Fremdenverkehr und auch von Tourismus stark lebt, braucht natürlich Festivals. Und wir haben im Moment, was Festivals angeht, wirklich eine relative Brache in Freiburg. Nicht nur das, wir sind auch stark gekürzt worden, was den freien Bereich angeht. Die freien Theatergruppen, die Institutionen mussten in den letzten Jahren doch mindestens zehn Prozent alle lassen, und das ist für manche Einrichtungen schon sehr dramatisch gewesen. Also ich muss sagen, wir können eigentlich nicht weiter kürzen.

Führer: Das sind ja alles freiwillige Aufgaben der Kommunen, die Sie gerade erwähnt haben, Herr Keller, und aus diesem Grund hat auch der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, vor einigen Tagen hier im Deutschlandradio Kultur eben gefordert, die Länder sollten über entsprechende Gesetze, die Kulturfinanzierung der Kommunen zur Pflichtaufgabe machen. Ob er nun Festivals damit gemeint hat, da bin ich nicht so sicher, er sprach eigentlich von Theatergesetzen und Museumsgesetzen und so weiter. Was halten Sie davon?

Keller: Nur noch mal zum Stichwort Festival: Also das Festival, das klingt jetzt so, wie wenn ich Events meine. Ich meine keine Events, ich meine thematische Festivals, die Freiburg hatte, ich meine ein 30 Jahre altes Theaterfestival, was in Freiburg seit 1976 Bestand hatte. Ich bin da natürlich absolut dafür, wie Herr Zimmermann auch, dass man die Kultur zur Pflichtaufgabe macht. Wir hatten das übrigens auch in unserem Wahlprogramm, die Kulturliste als eines der obersten Punkte angeführt. Pflichtaufgabe so wie in Sachsen, glaube ich, es inzwischen auch ist. Manche Länder haben da ja schon kleine Schritte gewagt, aber Baden-Württemberg und andere Länder sind da leider noch ein bisschen hinten dran.

Führer: Nun ist ja das Problem, dass durch so ein Gesetz das Geld ja nicht mehr wird, und Jürgen Büssow, der Regierungspräsident von Düsseldorf, sieht eher die Notlage der Kommunen. Er sagte gestern in unserem Programm:

Jürgen Büssow: Die Kultureinrichtungen stehen natürlich in Konkurrenz auch zu den anderen Einrichtungen: Tagesprojekte, Tagesmütter, Betreuung von Jugendlichen, Stadtteilangebote – alle diese Aufgaben sind ja weiter zu finanzieren. Und alle diese Kosten müssen aufgenommen werden über Kredit, die die jetzige Generation und die späteren Generationen zu finanzieren haben. Und diese Debatte findet natürlich in den kulturinteressierten Zirkeln weniger intensiv statt.

Führer: Sagte Jürgen Büssow, Regierungspräsident von Düsseldorf. Und jetzt in unserem Programm ist weiterhin Atai Keller von der Kulturliste Freiburg. Wie ist das, Herr Keller, führen Sie diese Debatte?

Keller: Ja natürlich führen wir die Debatte. Ich finde, der Regierungspräsident irrt einfach. Sie müssen einfach sehen, dass wir der Meinung sind, dass man das gleichzustellen hat. Die kulturellen Aufgaben und die Leistungen, die in dieser Hinsicht gebracht werden müssen, sind eben nicht freiwillige Leistungen, sondern sie sind genauso wichtig auch in Richtung der nächsten Generationen. Ich finde genau das falsch. In Sparzeiten müsste man die Kultur erhöhen und nicht kürzen. Das ist genau der falsche Ansatz. Außerdem ist es eine politische Frage, ob sie in der Kultur investieren oder nicht. Schauen Sie doch mal, ich möchte jetzt nicht die ganze Bankendebatte anfangen, aber ich meine, Sie können mir doch nicht im Ernst sagen, es sei zu wenig Geld da im Moment.

Führer: Moment, Moment, Moment! Die Kommunen haben aber bekanntlich die Banken weder in die Grütze geritten noch gerettet ...

Keller: Richtig, richtig.

Führer: Und einen Euro kann man ja nur einmal ausgeben.

Keller: Richtig, aber es geht ...

Führer: Also wenn Sie jetzt Bürgermeister wären, dann würden Sie lieber bei den Kitas kürzen als bei einem Festival in Freiburg?

Keller: Nein!

Führer: Das ist ja die Alternative, vor der die meisten Kommunen stehen.

Keller: Ja richtig, aber es geht ja auch um die Leistungen, die von den Ländern auf die Kommunen runterkommen, und die müssen eben sagen wir mal eher erhöht als erniedrigt werden. Und dann ist auch mehr Geld vorhanden. Außerdem hat die Kommune immer noch Möglichkeiten, sozusagen in anderen Gebieten zu kürzen als jetzt nur im Sozialen oder in der Kultur. Denken Sie an ...

Führer: Die Müllabfuhr.

Keller: ... große Bauprojekte, die es gibt. In Freiburg gab es auch in der letzten Zeit riesige Investitionen, da kann man strecken, da kann man versuchen, irgendwo auch ein bisschen was runterzufahren. Also ich sehe es nicht in der Konkurrenz, wie es andere sehen.

Führer: Aber wenn ich Sie höre, Herr Keller, dann muss ich doch Herrn Büssow recht geben, dass in den kulturinteressierten Kreisen diese Debatte wenig geführt wird, nämlich dass die Kommunen Kredite aufnehmen müssen und dass sie wenig Geld haben und dass eben die Kultureinrichtungen konkurrieren mit anderen sozialen Einrichtungen.

Keller: Ich kann nur das wieder so bekräftigen, ich sehe es nicht so in der Konkurrenz, ich sehe beides gleichrangig, in meinem Wunschdenken gleichrangig, als Pflichtaufgabe, und dann müssen wir eben drüber debattieren, wie es zu leisten ist, klar.

Führer: Sie haben gerade gesagt, die Länder sollten den Kommunen mehr Geld zur Verfügung stellen, es gibt ja auch die Forderung – unter anderem auch von Olaf Zimmermann –, dass der Bund jetzt, weil jetzt ja viele Kultureinrichtungen in Not geraten, in der Verantwortung steht und den Kommunen finanziell unter die Arme greifen sollte. Was meinen Sie, Herr Keller, wäre das ein Weg?

Keller: Das wäre durchaus ein Weg, im Moment vielleicht sagen wir mal da eine Notsituation in der Richtung vielleicht etwas zu lindern, das könnte ich mir schon vorstellen, ja.

Führer: Auch da hat Jürgen Büssow, der Regierungspräsident von Düsseldorf, eine andere Meinung. Die hören wir uns jetzt mal an:

Büssow: Wenn der Bund die Kosten, die er so durch seine Aufgabenzuweisung hervorruft bei den Städten, decken würde, ja, also wenn das sogenannte Konnexitätsprinzip wirklich Realität würde, beispielsweise bei den Kosten der Unterkunft – da laufen ja die Kosten jetzt gerade hier den Städten aus dem Ruder –, wenn er da helfen würde, dann könnten die Städte natürlich auch viel leichter die Kulturinstitute halten, dann braucht man keine besondere Kulturabgabe des Bundes. Es würde schon reichen, wenn die durch den Bund verursachten Kosten eben auch eine entsprechende Unterstützung durch den Bund erfahren würden. Ich glaube, das ist die richtige Zielsetzung, und dass man nicht jetzt noch einen Sondertopf beim Bund verlangt hier für Theater.

Führer: Der Regierungspräsident von Düsseldorf, Jürgen Büssow, gestern in unserem Programm, und jetzt in unserem Programm ist weiterhin Atai Keller von der Kulturliste Freiburg. Herr Keller, was entgegnen Sie Herrn Büssow?

Keller: Ja, ich meine, er sagt ja selber, wenn – wenn, wenn, wenn. Aber es findet ja nicht statt. Also von daher müssen wir doch im Moment die Tatsachen, auch die Realität nehmen, wie sie ist, und da fehlt einfach im Moment insgesamt das Geld für kulturelle Einrichtungen, und da, denke ich, muss man das vielleicht dann doch mit einer Sonderabgabe machen. Also ich meine, vergleichen Sie doch mal das gesamte Aufkommen für Kultur im Verhältnis zum gesamten Bundeshaushalt! Also ich glaube, das ist verschwindend, verschwindend gering und einfach, es steht nicht im Verhältnis zu dem, was die Kultur in einem Lande leistet für die Menschen.

Führer: Nämlich?

Keller: Die Kultur ist ein notwendiges Lebenselixier für die Menschen, ohne Kultur wäre sozusagen der Mensch völlig fantasie- und gedankenlos.

Führer: Wissen Sie, Herr Keller, was mir bei dieser ganzen Debatte doch fehlt, ist auch die Frage nach der Qualität. Also Kulturpolitiker wie Sie sagen eben, Kultur ist lebenswichtig, kein Theater darf geschlossen werden, kein Museum darf geschlossen werden, aber ist denn wirklich jedes Theater oder jedes Museum ein absolut notwendiger Hort der Kultur? Also wird denn auch gefragt, ob diese Einrichtungen, die ja von den Bürgern finanziert werden, auch von ihnen angenommen werden?

Keller: Wissen Sie, es ist die Frage, ob diese Debatten überhaupt richtig sind in unserer Zeit. Es ist die Frage zum Beispiel, die der Verwaltungsdirektor in Essen kürzlich in einem Aufruf gestellt hat, dass man eben sozusagen aufhören sollte, wenn es um Kürzungen im Haushalt geht, immer nur auf die Kultur zu schielen, weil die Kultur eh von der Förderung her ein unheimliches Randphänomen ist. Und jetzt kommt man immer wieder auf die Kultur. Also ich finde einfach, wenn Sie jetzt ein Theater schließen, haben Sie da den Haushalt gerettet? Ist doch überhaupt nicht wahr. Das stimmt einfach nicht.

Führer: Nein.

Keller: Eben.

Führer: Und das sagt ja auch keiner.

Keller: Also. Ja, aber dann finde ich, sollte man auch nicht anfangen, immer wieder darüber so zu reden in dieser Form, sondern ja, man sollte die Kultureinrichtungen im Lande belassen, weil sie einfach wichtig sind für das Überleben in unserer Gesellschaft, ganz klar.

Führer: Ich wüsste auch von keiner Kommune, die ihren Haushalt alleine durch Kulturkürzungen gerettet hat.

Keller: Ja, richtig.

Führer: Nun ist es aber so, es gibt Pflichtaufgaben der Kommunen, da können Sie sozusagen das nicht wegnehmen, also die Schulen müssen einfach geöffnet bleiben und der Müll muss abtransportiert werden.

Keller: Richtig. Und deswegen wollen wir das ja auch, dass die Kultur eine Pflichtaufgabe wird.

Führer: Atai Keller, Stadtrat im Freiburger Gemeinderat, für die Kulturliste Freiburg. Ich danke für das Gespräch, Herr Keller!

Keller: Bitte schön!
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