Kelber: SPD ist kein "Steigbügelhalter" für Fortsetzung von Schwarz-Gelb

Ulrich Kelber im Gespräch mit André Hatting · 21.10.2013
Der Vizefraktionschef der SPD, Ulrich Kelber, hat bekräftigt, seine Partei werde mit den Kernthemen der Sozialdemokraten in die Koalitionsverhandlungen mit der Union gehen. Am Ende müsse man Kompromisse ausloten und über eine ehrliche Finanzierung von Projekten reden.
André Hatting: Die Sozialdemokraten werden mit der Union über eine Regierung verhandeln. Das hat der Parteikonvent entschieden. 85 Prozent der Delegierten waren dafür. Der Konvent ist zwar das höchste Beschlussgremium zwischen Bundesparteitagen, spiegelt aber natürlich nicht die Meinung aller in der Partei wieder.

Kostprobe: Betrug, Verrat, Empörung - ein Blick auf die Facebook-Seite von Parteichef Gabriel zeigt, viele in der SPD sind auch enttäuscht. Ein Beispiel: "Ich und viele andere haben nicht SPD gewählt, um eine Große Koalition zu wollen, wie ihr sie jetzt anstrebt. Für mich seid ihr nur noch Lakaien eurer Machtgelüste", heißt es da. Am Telefon ist jetzt Ulrich Kelber, er ist Vizefraktionschef der SPD im Bundestag. Guten Morgen, Herr Kelber!

Ulrich Kelber: Guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Fühlen Sie sich als Lakai Ihrer Machtgelüste?

Kelber: Nein, natürlich nicht. Ich habe ähnliche Debatten ja bei mir auf Facebook, wo man über "Gefällt-mir"-, über Kommentarbeiträge sieht, dass natürlich beide Seiten vertreten sind. Ganz viele kommen auch direkt rein und sagen, ihr seid doch nur pöstchengeil. Wenn man denen natürlich sagt, bei eurem Vorschlag, rot-rot-grün, gäbe es viel mehr Posten für die SPD, dann wird ziemlich schnell deutlich, dass das nicht Grundlage von der Debatte ist.

Hatting: Sie haben also auch für Koalitionsverhandlungen mit der Union gestimmt?

"Da könnte was gehen in Verhandlungen"
Kelber: Ja, die Verhandler, die die Sondierung geführt haben, haben gesagt, wir haben das Gefühl, da könnte was gehen in Verhandlungen, deswegen bin ich der Meinung, man muss darüber sprechen. Ob am Ende was rauskommt, wenn man dann einen Koalitionsvertrag abschließt, über den ja die Mitglieder entscheiden, ist eine andere Sache.

Aber sich im Nachhinein sagen lassen, ihr hättet eine Chance gehabt, einen Mindestlohn einzuführen, Leih-, Zeitarbeits- und Werkvertragsmissbrauch zu beenden, für 45 Jahre Beschäftigung abschlagsfrei in Rente gehen zu können, also 12 Millionen Menschen direkt mal zu helfen, und da nicht zugegriffen zu haben, das sollte man sich im Nachhinein auch nicht als Vorwurf machen.

Hatting: Jetzt haben Sie Punkte erwähnt, die tatsächlich in diesen Zehn-Punkte-Katalog hinein sollen bei der SPD, aber seltsamerweise taucht die Vermögenssteuer nicht mehr auf, oder habe ich da was übersehen?

Kelber: In dem Rahmentext, wo wir schreiben, was wir machen wollen, steht natürlich drin, einige dieser Dinge kosten Geld, und deswegen muss man sich über eine ehrliche Finanzierung unterhalten. Es wie im CDU-Wahlprogramm zu machen, einen Strauß von Wohltaten zu versprechen und hinten mit einem Satz zu sagen, das steht alles unter Finanzierungsvorbehalt, und wenn halt die Steuereinnahmen nicht weiter massiv anwachsen, dann geht das alles nicht, das kann man nicht machen, weil wir in wichtigen Bereichen als Deutschland unseren Wohlstand gefährden, indem wir nicht ausreichend investieren. Bildung und Infrastruktur sind nur zwei Beispiele.

Hatting: Herr Kelber, kommt also die Vermögenssteuer doch?

Kelber: Wir werden sicherlich als einen unserer Vorschläge, wie man diese notwendigen Investitionen auch tätigen kann und ohne neue Schulden finanzieren, auch die Vermögenssteuer, also die Idee, dass die fünf Prozent Bestverdiener in Deutschland einen etwas höheren Beitrag dafür sichern müssen, dass Wohlstand bleibt und dass jeder daran Teilhabe hat, auf den Tisch legen.

Dann möchten wir sehen, was Schäuble und Merkel im Köcher haben. In den Sondierungen haben die bei Verweis auf ihre eigenen Versprechungen immer abgewunken und haben gesagt, ja, ja, haben wir ja geschrieben, war unter Finanzierungsvorbehalt. So kann man mit Menschen nicht umgehen.

Hatting: Der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Ralph Stegner, der ist so etwas wie der Klassensprecher der SPD-Linken, der hat nach dem Konvent gesagt, die SPD werde bei den Verhandlungen mit CDU und CSU nichts aus ihrem Wahlprogramm vom Tisch nehmen. Wie bitte, soll ich mir das vorstellen?

Kelber: Ja, warum sollte man das denn zu Beginn der Verhandlungen machen?

Hatting: Weil dann die Union sagt, mit uns nicht!

"Man wird am Ende Kompromisse ausloten müssen"
Kelber: Ja, das ist genau, was am Ende rauskommt. Man wird am Ende Kompromisse ausloten müssen, und dann gibt es zwei Chancen: Entweder die Verhandler sagen bereits, wir glauben nicht, dass es hier zu einer tragfähigen Grundlage kommt, wo wir ausreichend von dem, für den wir gewählt wurden, was wir vor der Wahl versprochen haben, auch umsetzen können. Dann ist das Ganze vorbei.

Oder sie sagen, ja, wir glauben, wir haben hier einen Kompromiss hinbekommen, in dem findet man dann vieles vom SPD-Wahlprogramm wieder, anderes nicht, und die CDU wird das Gleiche haben. Und dann werden die Mitglieder entscheiden, reicht ihnen das aus. Ich bin da deswegen zuversichtlich, als wir in unserem 150. Jahr das relativ gut bewerten werden.

Wir haben nie alles oder nichts gespielt, aber wir sind auch nicht Steigbügelhalter dafür, dass schwarz-gelbe Politik fortgesetzt wird mit ein paar Blümchen drauf. Also, das muss schon substanziell die Dinge enthalten, zu denen wir gestanden haben, und für die es ja auch in allen Umfragen Mehrheiten gibt. Das steht ja ein Stück weit hinter uns am Verhandlungstisch.

Hatting: Herr Kelber, jetzt haben Sie gesagt, einige Punkte kommen in den Koalitionsvertrag hinein, andere kommen raus – so ist das bei Verhandlungen, das ist klar. Was muss denn Ihrer Meinung nach unbedingt in den Vertrag, damit SPD nicht nur drauf steht, sondern auch drin ist?

Kelber: Man macht natürlich eines nicht vor Verhandlungen: Man macht nicht eine Liste von Unverzichtbarem, das erleichtert nämlich vor allem der Gegenseite die Verhandlungen. Aber wir haben schon deutlich gemacht, dass da, wo die größten Skandale in der sozialen Gerechtigkeit in unserem Land sind, also die Tatsache, dass Menschen in Vollzeit arbeiten, davon nicht leben können. Mindestlohn. Dass versucht wird, mit Leih-, Zeitarbeit und Werkverträgen Menschen in praktisch – ja, Sklaverei-ähnliche Verhältnisse zu bringen, dass das enden muss.

Ich glaube, da wird es kein Rütteln geben, und wir wissen ja auch, dass der Arbeitnehmerflügel von CDU und CSU heilfroh ist, einen Gesprächspartner zu haben, der ihnen dort hilft, sich durchzusetzen. Da, glaube ich, gibt es auch wirklich große Chancen.

Aber wir unterhalten uns am Ende wahrscheinlich über zehn oder zwölf Verhandlungsgruppen, das heißt, wir unterhalten uns über Hunderte von Inhalten, die am Anfang einer solchen Legislatur auch festgezurrt werden müssen. Weil, das sind natürlich die Erfahrungen von Schwarz-Gelb: Das war so im Ungefähren mit über 70 Prüfaufträgen. Einen solchen Koalitionsvertrag kann es diesmal nicht geben.

"Dieser Mitgliederentscheid wird verbindlich sein"
Hatting: Das letzte Wort über einen Koalitionsvertrag soll die SPD-Basis haben mit einem Mitgliedervotum. Dass da nicht alle begeistert sind, das haben wir ja jetzt gehört. Was muss denn rein, glauben Sie, damit der Vertrag auch bei der Basis durchkommt?

Kelber: Vor allem wird es auch wichtig sein, möglichst viele von der Basis zu beteiligen, also mit Versammlungen, mit Briefwahl, mit allen Möglichkeiten, teilzunehmen, damit es auch ein echtes Bild der Meinungen der Mitglieder ist. Denn dieser Mitgliederentscheid wird verbindlich sein.

Hatting: Und was brauchen Sie, damit die auch zustimmen? Was brauchen Sie, damit die Mehrheit der Mitglieder zustimmt?

Kelber: Wie gesagt, wir sind im 150. Jahr unserer Geschichte, wir sind 150 Jahre alt, schon das 151. Und wir haben nie alles oder nichts gespielt, nach dem Motto, das ist drinnen, ansonsten ist mir alles egal, oder umgekehrt, ist nicht alles drin, was ich gefordert habe, ich mach nicht mit. Die SPD-Mitglieder werden sagen, wenn wir wirklich was für Menschen bewegen, viele Menschen, dann ist das drin, das heißt, diese Soziale-Gerechtigkeit-Fragen, Zukunftsinvestitionen, Bildung, Infrastruktur, aber auch ein gesellschaftlicher Aufbruch, das heißt, über Themen wie doppelte Staatsbürgerschaft, Gleichstellung von Frauen auch in Machtgremien der Wirtschaft und die Frage, dass wir endlich dieses Gezerre zwischen Verfassungsgericht und Bundestag über die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften beenden, also Adoptionsrecht und Öffnung der Ehe. Das sind Punkte, über die es sicherlich sehr stark gehen wird in den Gesprächen.

Hatting: Ja, das wird auch nicht ganz einfach mit der Union, glaube ich. Ulrich Kelber, ...

Kelber: Ja, vor allem mit dem rechten Flügel der Union nicht, das stimmt.

Hatting: Ulrich Kelber, stellvertretender Fraktionschef der SPD im Bundestag. Danke für das Gespräch, Herr Kelber!

Kelber: Vielen Dank, Herr Hatting!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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