Konferenz

Feelgood-Vorträge wie aus einer anderen Zeit

1000 Gäste waren in den Admiralspalast in Berlin gekommen.
1000 Gäste waren in den Admiralspalast in Berlin gekommen. © dpa
Von Tobi Müller |
Unterhaltsame Kurzvorträge zu Themen aus Technologie, Entertainment, Design - das ist TED aus den USA, wo das Format herkommt. Beim ersten Berliner TEDSalon ging man da etwas anders heran.
Als vor dreißig Jahren die erste TED-Konferenz über die Bühne ging, konnte noch niemand den globalen Erfolg des Kürzels ahnen: Technology, Entertainment, Design, TED. Besser kann man die digitale Revolution nicht zusammenfassen als mit diesen drei Begriffen – zumindest aus Konsumentensicht, denn die Schlüsselwörter Globalisierung und Vernetzung kamen erst später dazu spiegeln eher die Interessen der Anbieter als jene der Nutzer. Ab 1990 gab es die TED jährlich, in Kalifornien natürlich, Heimat der digitalen Weltmächte und Tal des schnell leitenden Silikons.
Mittlerweile ist die TED-Idee zum Virus mutiert, Lizenzen tauchen weltweit als TEDx-Veranstaltungen auf. Die Mutterkonferenz bleibt aber amerikanisch und super exklusiv: Für über 20.000 Dollar fühlen dort Geschäftsleute den Puls der Zeit oder was sie dafür halten, die restlichen Gäste werden handverlesen.
In Berlin fühlte sich alles ruhiger an, als am Montag die erste echte TED-Kooperation im deutschsprachigen Raum statt fand. Der Tag hieß TEDSalon, für etwa 1000 Gäste etwas tiefgestapelt, und kann mit 200 Euro Eintrittsgeld als Schnäppchen gelten.
Geschichten, die Mut machen sollen
Ditt is' Berlin, this is Europe: Hier ist alles ein bisschen prolliger, und doch historischer. Hier geht es um Geschichten, die Mut machen sollen. Und um Geschichte: Die Location hilft kräftig mit, denn wir sitzen im Admiralspalast, direkt am Grenzübergang Friedrichstraße, in einem alten Theater, in dem die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands gegründet wurde, die SED, welche die DDR 50 Jahre in den Ruin verwaltet hatte.
Den Amerikanern im Publikum stehen die Münder offen – History, Man! -, auch wenn der verdiente Historiker Hubertus Knabe für Ortskundige einen drögen, nicht TED-kompatiblen Vortrag gehalten hat, aber halt über die "Stasi", die Geheimpolizei des DDR-Regimes. Wow. Technology, Entertainment, Design mussten mal kurz weg, der Schulfunk sprang ein.
Nun gibt es einen Europäer, der die Amerikaner selbst außerhalb historischer Kulissen kirre macht. Auch, aber nicht nur mit Geschichte: Der Franzose Thomas Piketty hat den unglaublichsten Bestseller des Jahres geschrieben, erst in seiner Muttersprache, dann auf Englisch, im Oktober erscheint "Capital in the Twenty-First Century" endlich auf Deutsch.
Rasend das Buch referiert
Der Wirtschaftswissenschafter Piketty legt darin auf über 800 Seiten dar, wie soziale Ungleichheit entsteht und warum das Wachstum von einerseits Kapitalertrag und andererseits Einkommen so sehr auseinander driftet. Rund 5 Prozent Rendite auf großen Vermögen, aber nur etwa 1 Prozent Lohnanstieg, das verschärft gesellschaftliche Spannungen.
Damit kommen wir, so Piketty, wieder in die Nähe der Situation vor dem ersten Weltkrieg. Es folgte der Krieg, und dann noch einer – nebst der beispiellosen Katastrophe für die Menschheit haben diese Verwerfungen auch zu einer Vernichtung von Kapital geführt, welche die Schere eine Zeit lang enger machte.
Der Franzose referiert sein Buch rasend. Auch Piketty kümmert sich wenig um die TED-Konvention der Unterhaltung mit persönlicher Ansprache, emotionaler Verwicklung und abwechselnd aufgerissenen Augen oder in Falten gelegter Stirn. Es wimmelt von trockenen Grafiken, das Tempo ist viel zu hoch, sein Englisch klingt fast wie Französisch. Aber egal, die Botschaft ist klar: not good!
Der 42-Jährige ist aus dem Stand auch in den USA zum Star avanciert, wo Superreichtum mittlerweile anders diskutiert wird als noch vor wenigen Jahren. Die Trickle-Down-Theorie, die besagt, dass Reichtum von oben immer irgendwann nach unten sickert, ist nicht mehr ganz so populär. Pikettys Rezept gegen die soziale Schere, die den meinungsmachenden Mittelstand bedrohe, ist klassisches Old Europe: Er fordert eine progressive Kapitalertragssteuer. Bruno Guissani, der europäische TED-Direktor, fragt kurz nach: Ist das nicht unrealistisch, Thomas? Piketty wirkt siegessicher und referiert weiter, man habe sich vor hundert, ja vor zwanzig Jahren so manches nicht vorstellen können. Anders werde es nicht gehen.
"Die Welt wird besser!"
Damit spielt Piketty listig die Trumpfkarte des TED-Spiels, er inszeniert sich als Mann der Zukunft, nicht der Vergangenheit. Dass ihm dies mit einer sozio-ökonomischen Analyse gelingt – 20 Länder, drei Jahrhunderte – und er mit der Steuerforderung bei einer alten Pointe landet, macht seinen Erfolg umso faszinierender. Piketty zeigt aber auch die Grenzen der TED-Idee. Einig mit ihr geht er da, wo er mit riesigen Datenmengen arbeitet, die alle online einsehbar sind – Big Data ist ein weiteres Buzzword der Konferenz, zu dem "Economist"-Redaktor Kenneth Cukier nicht viel mehr einfällt, als dass mehr Daten immer besser seien als weniger Daten. Piketty zeigt tatsächlich, was mehr Daten ausrichten können.
Erstaunlich: Im Vergleich zum Alarmruf des gut gelaunten Piketty wirken viele der Feelgood-Vorträge aber wie aus einer andern Zeit. Drohnen, ach, kein Problem, schaut, ich kann sie hier auch an der Leine führen wie zwei Hunde: Sergei Lupashin war lustig, aber halt auch nur ein Nerd ohne Problembewusstsein.
Die ganze Tragweite des Vorbeiseins des positiven Denkens führen die TED-Habitués Hans und Ola Gosling vor: Mit Abstimmungen im Publikum und vielen Witzen über Affen und Bananen ventilierten die Clowns contre Coeur irgendwann doch noch ihre Botschaft: Die Welt wird besser! Sowas wirkt heute wie eine bunte Beruhigungspille inmitten des Breakdown. TED ist heute nicht mehr Avantgarde, schon gar nicht, was die frontale und fast unmoderierte Präsentationsform angeht. Und TED braucht Stars, die woanders zu welchen wurden. Wie Piketty, den Amazon-Abräumer.
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