Keiner versteht uns
Die Bürger der 30.000 Einwohner-Stadt Wiesloch verstehen die Welt nicht mehr. Deshalb sollen alle Texte für das Bauordnungsverfahren in diesen Tagen auf einen Schwung ausgetauscht werden. Behilflich beim Formulieren von bürgernahen Sätzen ist dabei eine Expertin der Uni Bochum, die seit drei Jahren an einem Wörterbuch für Verwaltungsdeutsch arbeitet.
"Persönliche Angaben zum Antrag sind freiwillig. Allerdings kann der Antrag ohne die persönlichen Angaben nicht weiterverarbeitet werden."
"Stirbt ein Bediensteter während einer Dienstreise, so ist damit die Dienstreise beendet."
Sachlich, nüchtern, trocken: Amtsdeutsch.
"Amtsdeutsch hat folgendes Problem: Es soll möglichst vieles so geregelt werden, dass es allen klar ist. Da es aber sehr unterschiedliche Fälle gibt, muss man eine sehr allgemeine Form finden. Und man muss zunehmend aufgrund der vielen Einsprüche, die gemacht werden, eine Regelung finden, die standhält - nicht, dass der eine das sagt und der andere das sagt. Das führt dazu, dass die Amtsprache im Laufe der Zeit immer komplizierter geworden ist."
Und dass der Empfänger sie in der Regel nicht mehr versteht. Eckardt Frahm ist Kulturwissenschaftler am Ludwig- Uhland Institut in Tübingen und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der deutschen Sprache und ihren Auswüchsen.
"Diejenigen, die das Amtsdeutsch gebrauchen, fühlen sich, nachdem der Adel verschwunden ist, so quasi als bürgerlicher Adel, der dem Bürger erklärt: So und so hast du uns zu gehorchen, deswegen kommt dieser eigenartige Ton auch rein. Und das ist oft so, dass die Verwaltungsleute glauben, dass der Bürger allgemein nicht so geistig beschlagen ist wie sie, und deswegen kommt dieser merkwürdige Ton auf. Das ist ein Herrschaftston. Sie sagen: Das ist zu machen, das hast du zu machen."
In Baden-Württemberg denken die Vertreter des bürgerlichen Adels langsam
um. Nicht viele, aber einige. Die Stadt Wiesloch im Rhein-Neckar-Kreis ist die erste Stadt im Südwesten, die wieder von den Menschen, ihren Bürgern, verstanden werden möchte. In den letzten drei Jahren wurde die Sprache im Bauordnungsamt vom Behördendeutsch in eine verständliche Sprache übersetzt. Und das hat einen Grund.
"Für das Bauvorhaben wird unbeschadet privater Rechte Dritter gemäß Paragraph 58 Landesbauordnung für Baden- Württemberg LBO, die Genehmigungen erteilt, die auch für und gegen die Rechtsnachfolgende Antragstellenden ... gilt ... "
Ein Rentner im badischen Wiesloch blättert in einem dicken Ordner. Wahllos zitiert er aus Briefen, die er in den vergangenen Jahren von Bauordnungsamt der Stadt Wiesloch bekommen hat. Sein Nachbar baut direkt neben ihm ein mehrgeschossiges Haus. In Folge der Bauarbeiten gab es Risse im kleinen und alten Haus des Rentners. Ein Statiker musste das Haus prüfen. Eine endlose Baugeschichte - dokumentiert in unverständlichen Mitteilungen einer städtischen Behörde:
"Diese Änderungsbaugenehmigung bildet … ein Bestandteil, der ursprünglichen Baugenehmigung, deren Auflage und Bedingung auch für die veränderten Ausführungen maßgebend sind, soweit sie nicht durch das Änderungsgenehmigungsgesetz aufgehoben werden … Bestandteile dieser Genehmigung sind."
"Ja, ich verstehe das schon: Dass sie es ablehnen, so viel verstehe ich. Mehr brauche ich auch nicht zu wissen."
Bei der letzten Oberbürgermeisterwahl ist der Rentner nicht mehr zur Wahl gegangen. Er hat die Schnauze von denen da oben voll, sagt er. Der alte Mann fühlt sich als Opfer einer scheinbar übermächtigen Behörde. Nach zig Briefen von der Stadt hat man den Mann eingeladen. Zu spät:
"Nach wiederholten Ablehnungen habe ich Einladungen der Stadt abgelehnt - ja."
Im Regal des Rentners finden sich weitere Ordner. Die sind gefüllt mit
Schreiben seines Rechtsanwalts an die Stadt Wiesloch. Ein Rechtsstreit.
Ein wahlloses Beispiel, das sich in jeder Stadt jeden Tag so oder so ähnlich abspielt.
Vielleicht hätten im Falle des Rentners ein paar verbindliche Worte zu Beginn der Auseinandersetzung ausgereicht, um den Ton zu entschärfen, die Stimmung freundlich zu halten. Der Ton macht die Musik. Doch in Stadtverwaltungen sitzen keine Psychologen, und Bürgermeister sind meist studierte Verwaltungswirte.
Doch der parteilose Oberbürgermeister von Wiesloch, Franz Schaidhammer, hat das Problem erkannt. Als erster Oberbürgermeister in Baden-Württemberg will er das Amtsdeutsch aus seinen Amtsstuben verbannen:
"Wir haben schon vor gut zehn Jahren mit begonnen, die Verwaltung zu reformieren. Wir haben damals einen Gemeinderat - einen Gemeinderat der gerade in den Ruhestand getreten war - gebeten, er soll mal unsere Vordrucke durchsehen und als Außenstehender - er kam nicht von der Verwaltung - einfach mal zu analysieren: Versteht er überhaupt, was darin steht, und welche Redewendungen würde er anders vorschlagen. Das haben wir teilweise übernehmen können."
Teilweise. Die Verwaltung ist groß. In Wiesloch, knapp zehn Minuten von Heidelberg entfernt, leben rund 26.000 Menschen. Die Menschen, die Bürger, heißen hier mittlerweile Kunden, und der Oberbürgermeister hat schon länger erkannt:
"Sehr viele Aggressionen, die von der Bürgerschaft kommen, die hängen gar nicht mit der Entscheidung der Verwaltung zusammen, sondern wie sie transportiert wird.
Und die Kommunikation zwischen Verwaltung und ihren Bürgerinnen und Bürgern - das geht jetzt nicht nur um die kommunale Verwaltung, sondern alle Verwaltungen - die ist halt sehr geprägt von der Rechtssicherheit. Man versucht in den Schreiben alles reinzupacken, was einem sonst möglicherweise ein Rechtsanwalt widerlegen könnte. Und das führt dann dazu, dass es der Normalbürger fast nicht mehr verstehen kann."
Und dass der Normalbürger zigmal anrufen muss oder vorbeikommt oder mittlerweile ungeniert gleich seinen Anwalt vorlässt. Ein Kreislauf, den die Stadt Wiesloch nun durchbrechen will. Pioniere in Sachen Amtsdeutsch, zumindest in Baden- Württemberg. Doch mittlerweile ist nicht mehr der Gemeinderat im Ruhestand am Werk, sondern Vollprofis in Sachen Sprache.
Der Weg zu einem verständlichen Amtsdeutsch ist weit. Er führt nach Bochum,
zur Ruhruniversität. Ein großes Hochhaus. Hier im dritten befindet sich das Germanistische Institut, Abteilung: Linguistik.
Hier werden sprachliche Brücken zwischen Verwaltungsmenschen und Bürgern gebaut. Der Ort der sprachlichen Revolution ist ernüchternd: Drei Frauen, drei Schreibtische, fünf Computer. Alles auf rund 20 Quadratmeter verteilt. Eine der drei Frauen im Büro ist Michaela Blaha. Germanistin, Sprachforscherin am Lehrstuhl des Germanistikprofessors Hans-Rüdiger Flick.
Seit acht Jahren übersetzt Michaela Blaha Behördentexte, so dass sie jeder versteht. Nebenbei speist sie seit ein paar Jahren ein Wörterbuch mit sperrigen Worten. Jedes Wort wird analysiert. Bei manchen liegt die Lösung auf der Hand: Die Durchschrift ist eine Kopie. Punkt. Aber Oberflächenwasser ist eben nicht Oberflächenwasser.
Auch bei einem "Inverkehrbringer" liegt man zunächst in der spontanen
Deutung des Gewerbes falsch:
"Ein 'Inverkehrbringer' ist eben eine Person, die Waren in den Verkehr bringt, ein In-Verkehr-Bringer eben. Im Zusammenhang erschließt sich das Wort eigentlich ganz schnell."
Doch sind die Wortkonstrukte erst einmal auf Herkunft und Verwendung geprüft, werden sie eingebettet in geschmeidige Sätze. Eine Eins-zu-Eins-Übersetzung ist meist beim Amtsdeutsch nicht möglich. Fast immer besteht Erklärungsbedarf, wie im Falle der Gewässerschau:
"Das erinnert mich ja immer an die Bundesgartenschau und an Wasserspiele. In der Fachsprache ist die Gewässerschau aber eine jährliche Gewässerkontrolle, zu der die Gemeinden verpflichtet sind."
Die Frau im dunklen Geschäftsanzug und feiner Bluse lässt ihren Computer
immer mehr Wörter ausspucken. Wo andere Menschen abschalten, erwacht die Sprachfantasie der Wortmeisterin. Eine besondere Herausforderung sind für die Germanistin Formulierungen, die Frauen und Männer in gleichem Maße betreffen. Auch in diesem Fall hat sie eine eigene Sprachbank entwickelt:
"In dem Gender-Glossar finden Sie Möglichkeiten, wie Sie geschlechtsspezifische Ausdrücke geschlechtsneutral schreiben können. Sie können zum Beispiel statt Ansprechpartner, was ja männlich ist, sagen: Ansprechperson. In bestimmten Fällen können sie statt Arzt zum Beispiel auch ärztliche Praxis sagen. Aber das geht natürlich nicht immer, es kommt auf den Text an. Wenn Sie einen Text haben, in dem Sie immer die männliche und weibliche Form zweifach zu sagen, würde das den Text aufblähen. Beispielsweise ein Text, in dem steht: Bürger und Bürgerinnen. Wenn Sie dann immer Bürger und Bürgerinnen schreiben, wir der Text einfach zweimal so groß. Und dann müssen sie halt eine Lösung finden. Das ist schon eine spannende Aufgabe."
Vor acht Jahren hat die Sprachforscherin zunächst einmal das Amtsdeutsch aus der Bochumer Stadtverwaltung in eine verständliche Sprache übersetzt. Es kamen weitere Auftraggeber wie etwa Wolfsburg hinzu. Mittlerweile sind es 21 Gemeinden, einschließlich Wiesloch. Aus dem puren Interesse einer jungen Studentin ist ein kleines Unternehmen geworden. Täglich landen auf ihrem Tisch nun aus ganz Deutschland Texte wie diese:
"Sehr geehrter Herr xy, es wurde festgestellt, dass sie eine Dachgabe errichtet haben, ohne die dafür erforderliche Anzeige bei der Gemeinde eingereicht zu haben. Nach der neuen hessischen Bauordnung handelt es sich entsprechend der Anlage 2 über baugenehmigungsfreie Vorhaben nach Paragraph 55 HBO Ziffer 1.16 bei Dachaufbauten einschließlich Dachgauben auf bestehenden Gebäuden um baugenehmigungsfreie Bauvorhaben, die allerdings in Vorbehalten des Abschnittes 5 Nummer eins und drei unterliegen. Diese besagen, dass das beabsichtigte Bauvorhaben der Gemeinde durch Einreichen der erforderlichen Bauvorlagen schriftlich zur Kenntnis zu geben ist."
Das Urteil der Expertin:
"Diese Sätze sind sehr ungünstig, weil sie sehr lang sind und sehr viele Fachwörter enthalten und sehr viele Rechtsverweise, die aber dem Leser überhaupt nicht klar machen, was jetzt überhaupt Sache ist, auf gut Deutsch. Zudem kommt noch hinzu, dass das Wort Bauvorhaben zwar mehrfach erwähnt wird. Es wird aber nicht gesagt, was jetzt eigentlich eingereicht werden soll, weil man sich unter Bauvorlagen eigentlich auch nichts vorstellen kann.
Dann habe ich bei dieser Verwaltung angerufen und gefragt, was jetzt eigentlich eingereicht werden soll, und dann hat mein Ansprechpartner gesagt: Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, woraufhin ich dann gefragt habe, wie es denn sein kann, dass er das nicht weiß. Dann hat er gesagt, ja, das geht bei uns über fünf Schreibtische."
Mittlerweile ist die Vorschrift "Dachgaube" übersetzt:
"Auf dem Dach Ihres Hauses haben Sie eine Gaube errichtet. Dafür benötigen Sie zwar keine Baugenehmigung, allerdings hätten Sie uns die Baumaßnahmen trotzdem ankündigen müssen."
In Klammer findet sich der Rechtsverweis.
"Bitte reichen sie uns bis zum soundsovielten die Unterlagen nach."
Scheinbar kein Hexenwerk. Doch hinter jeder Übersetzung steckt knallharte Arbeit. Immer wieder müssen die Texte von Juristen und von Fachleuten in den Behörden überprüft werden. Bis zu 15 Stunden reine Arbeit stecken in einem Entwurf:
"Das heißt, Sie müssen sehr gründlich recherchieren: Was bedeutet beispielweise ein Wort wie 'Oberflächenwasser'. Kann man das anders sagen, oder gerät man dann in Schwierigkeiten? Was bedeutet ein Wort wie 'Wiedereinsetzen in den vorigen Stand'? Da müssen Sie Rücksprache halten, dann haben Sie den ersten Entwurf, der wird dann kritisch diskutiert, dann muss der in der Regel wieder überarbeitet werden, dann wir der wieder diskutiert. Bis Sie dann endlich einen Text haben, der freigegeben wird, von beiden Seiten, da können schon mal 15 Stunden vergehen."
Mittlerweile finden sich einmal formulierte Texte in der Datenbank IDEMA - Internetdienst für eine moderne Amtssprache. Ein sprachlicher Begleiter durch den Behördenalltag. Aufrufbar sind 14 Fachbereiche einer kommunalen Verwaltung. Zugriff auf die Datenbank haben jedoch nur die Kunden des Projekts, zum Beispiel die Stadt Wiesloch: So ist der Weg zwischen Bochum und Wiesloch doch nicht so weit:
"Also, es ist immer so, dass wir die Verwaltung einmal mindesten besuchen, um natürlich Schlüsselpersonen persönlich zu kennen, auch die Arbeitssituation vor Ort zu kennen. Es ist wichtig, mit welcher Art Software vor Ort gearbeitet wird. Also, der persönliche Kontakt ist schon da, wird aber im Laufe des Projekts in der Regel über Telefon oder E-Mail abgewickelt. "
Zurück im Wieslocher Rathaus. In diesem Fall bei Andreas Hoffner - Frau Blahas Schlüsselperson in Sachen Amtsdeutsch.
"Das war eine relativ unkomplizierte Zusammenarbeit, das war im direkten Kontakt mit der Frau Blaha. Die Frau Blaha hat mich dann antelefoniert oder angemailt, und das war dann so eine Art Ping-Pong-Spiel, sodass man sich so quasi angenähert hat."
Fast drei Jahre lang dauerte das Ping-Pong-Spiel, im Wieslocher Fall lediglich im Bereich des Bauordnungsamtes. Mittlerweile sind alle Sätze übersetzt, insgesamt fast 80 Schriftstücke. Die Stadt steht kurz vor einer sprachlichen Offensive:
"Also ich habe nicht das Gefühl, dass es große Kompromisse waren. Auch die Frau Blaha wurde ja durch einen Juristen beraten, insofern gehe ich schon davon aus, dass das, was wir dann zu Papier bringen, die neuen Formulierungen, die ja in den wenigsten Fällen jetzt absolut vom Terminus passend sein müssen, dass die jetzt irgendwelche rechtlichen Probleme mit sich brächten."
Die Kosten sind überschaubar. Zunächst muss jede beteiligte Gemeinde einmalig 1500 Euro bezahlen. Je nachdem wie die Datenbank der Bochumer Germanisten dann genutzt wird, fallen weitere Kosten an.
"Wir sind jetzt in einem Fortsetzungsvertrag, wir hatten bisher von 1500 Euro gesprochen. Wir werden in der Zukunft in ähnlichen Preiskategorien liegen, je mehr Kommunen mitmachen, umso günstiger wird es."
Gespannt richten sich nun alle Augen auf die sprachliche Revolution in Wiesloch.
Ende des Jahres soll im Wieslocher Bauordnungsamt das sperrige Amtsdeutsch verschwinden. Oberbürgermeister Schaidhammer drängt auch auf einen baldigen Start:
"Ich habe immer wieder - jetzt gerade auch momentan - Schreiben auf dem Tisch, wo Bürger sehr empört sind über Schreiben unserer Verwaltung Und deshalb bin ich sehr glücklich und froh, wenn wir es auch mal scharf schalten und tatsächlich auch unsere Sprache verändern."
Freundlich und sachlich wird der Ton sein, bestätigt Andreas Hoffner. Doch der Projektleiter Amtsdeutsch sagt, es werde verschiedene Stufen geben:
"Bei einer Abrissverfügung ist es so, da muss man das eine eben mit dem Bescheid herüber kriegen, dass es keine auf die Person bezogene Entscheidung ist, sondern dass es auch eine Sachentscheidung ist. Da muss man wirklich sagen, freundliche Töne bei einer Abrissverfügung, dann muss man eher sagen, eher ein sachlicher Ton bei einer Abrissverfügung, so dass der Empfänger dieses Bescheids dieser Botschaft sich nicht persönlich angegriffen fühlt."
Gespannt beobachten nun baden- württembergische Bürgermeister den mittlerweile auch psychologisch geschulten Sprachsinn ihrer Kollegen. Der Wieslocher Oberbürgermeister bekommt in diesen Tagen häufiger Anrufe:
"Ja, es haben schon einige bei uns nachgefragt, die vorbeikommen wollen, um sich einfach zu informieren, ob das auch ein Modell für sie wäre."
Ist erst einmal das Wieslocher Bauordnungsamt sprachlich auf der Höhe, geht es weiter. Amt für Amt:
"Wir wollen natürlich die gesamte Verwaltung sukzessive umbauen. Das nächste wird sicher das Ordnungsamt sein, weil gerade im Ordnungsbereich, da sind auch solche Themen, die zunächst einmal auf Widerstand stoßen."
Als verhalten optimistisch dürfte der Mann bezeichnet werden, auf den nun bald Baden-Württemberg schaut. Holger Ratzel. Er ist im Moment kommissarische Leiter des Wieslocher Bauordnungsamtes. In seinem Computer liegen nun geschmeidige Texte, die allesamt für seine Kunden bestimmt sind.
"Wobei wir halt, und das ist halt ein Problem vom Baurecht, nicht ein einfaches
Verhältnis zum Bürger haben, sondern in einem Spannungsfeld stehen zwischen öffentlich-rechtlichen Aufgaben, die wir irgendwo vermitteln müssen. Das kann jetzt Brandschutz sein, das kann eine gaststättenrechtliche Geschichte sein. Die große Herausforderung ist, das allen Beteiligten einigermaßen zu verkaufen."
Holger Ratzel bezweifelt die Rechtssicherheit der Texte:
"Es ist erstmal einfach Versuch und Irrtum. Es wird dann nachher das Gericht sagen, ob es das für ausreichend hält, und dann weiß man es. Also, das ist dann auch wieder die Gefahr, die standardisierte Texte in sich bergen, dass man halt im Zweifelsfall vielleicht genau dann daneben liegt. Und wenn der Richter dann halt merkt, der hat irgendwo nur auf einen Knopf gedrückt oder der Sachbearbeiter hat sich nicht genügend auf das Thema eingelassen, dann kann eine Entscheidung aus dem Grund auch falsch sein."
Grundsätzlich sieht der Leiter der Wieslocher Bauordnungsamtes die Bochumer Texte eher als Anregung für eigene Texte:
"Da muss man einfach für sich versuchen einen Weg zu finden zwischen Erläutern und Erklären, in hier leider immer rechtlich substanziierten Formen. Wo es halt sein muss, weil quasi eine anwaltschaftliche oder gerichtliche Überprüfung im Baurechtsverfahren oder Baurechtsverfahren immer hinten dran steht."
Der Kulturwissenschaftler Eckart Frahm geht noch einen Schritt weiter:
"Diejenigen, die etwas in der Amtssprache verfassen, sollten es möglichst früh, bevor es veröffentlich wird, dem Bürger zur Probe geben - verschiedenen Bürgern, alten und jungen, aus verschiedenen Bereichen, um die Verständlichkeit dieses Textes, denn darauf kommt es ja an, um die Verständlichkeit des Textes herzustellen. Juristen können es dann auch noch prüfen. Aber man sollte, bevor man es von dieser Herrschaftsebene nach unten gibt, probieren, ob es verständlich ist."
"Stirbt ein Bediensteter während einer Dienstreise, so ist damit die Dienstreise beendet."
Sachlich, nüchtern, trocken: Amtsdeutsch.
"Amtsdeutsch hat folgendes Problem: Es soll möglichst vieles so geregelt werden, dass es allen klar ist. Da es aber sehr unterschiedliche Fälle gibt, muss man eine sehr allgemeine Form finden. Und man muss zunehmend aufgrund der vielen Einsprüche, die gemacht werden, eine Regelung finden, die standhält - nicht, dass der eine das sagt und der andere das sagt. Das führt dazu, dass die Amtsprache im Laufe der Zeit immer komplizierter geworden ist."
Und dass der Empfänger sie in der Regel nicht mehr versteht. Eckardt Frahm ist Kulturwissenschaftler am Ludwig- Uhland Institut in Tübingen und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der deutschen Sprache und ihren Auswüchsen.
"Diejenigen, die das Amtsdeutsch gebrauchen, fühlen sich, nachdem der Adel verschwunden ist, so quasi als bürgerlicher Adel, der dem Bürger erklärt: So und so hast du uns zu gehorchen, deswegen kommt dieser eigenartige Ton auch rein. Und das ist oft so, dass die Verwaltungsleute glauben, dass der Bürger allgemein nicht so geistig beschlagen ist wie sie, und deswegen kommt dieser merkwürdige Ton auf. Das ist ein Herrschaftston. Sie sagen: Das ist zu machen, das hast du zu machen."
In Baden-Württemberg denken die Vertreter des bürgerlichen Adels langsam
um. Nicht viele, aber einige. Die Stadt Wiesloch im Rhein-Neckar-Kreis ist die erste Stadt im Südwesten, die wieder von den Menschen, ihren Bürgern, verstanden werden möchte. In den letzten drei Jahren wurde die Sprache im Bauordnungsamt vom Behördendeutsch in eine verständliche Sprache übersetzt. Und das hat einen Grund.
"Für das Bauvorhaben wird unbeschadet privater Rechte Dritter gemäß Paragraph 58 Landesbauordnung für Baden- Württemberg LBO, die Genehmigungen erteilt, die auch für und gegen die Rechtsnachfolgende Antragstellenden ... gilt ... "
Ein Rentner im badischen Wiesloch blättert in einem dicken Ordner. Wahllos zitiert er aus Briefen, die er in den vergangenen Jahren von Bauordnungsamt der Stadt Wiesloch bekommen hat. Sein Nachbar baut direkt neben ihm ein mehrgeschossiges Haus. In Folge der Bauarbeiten gab es Risse im kleinen und alten Haus des Rentners. Ein Statiker musste das Haus prüfen. Eine endlose Baugeschichte - dokumentiert in unverständlichen Mitteilungen einer städtischen Behörde:
"Diese Änderungsbaugenehmigung bildet … ein Bestandteil, der ursprünglichen Baugenehmigung, deren Auflage und Bedingung auch für die veränderten Ausführungen maßgebend sind, soweit sie nicht durch das Änderungsgenehmigungsgesetz aufgehoben werden … Bestandteile dieser Genehmigung sind."
"Ja, ich verstehe das schon: Dass sie es ablehnen, so viel verstehe ich. Mehr brauche ich auch nicht zu wissen."
Bei der letzten Oberbürgermeisterwahl ist der Rentner nicht mehr zur Wahl gegangen. Er hat die Schnauze von denen da oben voll, sagt er. Der alte Mann fühlt sich als Opfer einer scheinbar übermächtigen Behörde. Nach zig Briefen von der Stadt hat man den Mann eingeladen. Zu spät:
"Nach wiederholten Ablehnungen habe ich Einladungen der Stadt abgelehnt - ja."
Im Regal des Rentners finden sich weitere Ordner. Die sind gefüllt mit
Schreiben seines Rechtsanwalts an die Stadt Wiesloch. Ein Rechtsstreit.
Ein wahlloses Beispiel, das sich in jeder Stadt jeden Tag so oder so ähnlich abspielt.
Vielleicht hätten im Falle des Rentners ein paar verbindliche Worte zu Beginn der Auseinandersetzung ausgereicht, um den Ton zu entschärfen, die Stimmung freundlich zu halten. Der Ton macht die Musik. Doch in Stadtverwaltungen sitzen keine Psychologen, und Bürgermeister sind meist studierte Verwaltungswirte.
Doch der parteilose Oberbürgermeister von Wiesloch, Franz Schaidhammer, hat das Problem erkannt. Als erster Oberbürgermeister in Baden-Württemberg will er das Amtsdeutsch aus seinen Amtsstuben verbannen:
"Wir haben schon vor gut zehn Jahren mit begonnen, die Verwaltung zu reformieren. Wir haben damals einen Gemeinderat - einen Gemeinderat der gerade in den Ruhestand getreten war - gebeten, er soll mal unsere Vordrucke durchsehen und als Außenstehender - er kam nicht von der Verwaltung - einfach mal zu analysieren: Versteht er überhaupt, was darin steht, und welche Redewendungen würde er anders vorschlagen. Das haben wir teilweise übernehmen können."
Teilweise. Die Verwaltung ist groß. In Wiesloch, knapp zehn Minuten von Heidelberg entfernt, leben rund 26.000 Menschen. Die Menschen, die Bürger, heißen hier mittlerweile Kunden, und der Oberbürgermeister hat schon länger erkannt:
"Sehr viele Aggressionen, die von der Bürgerschaft kommen, die hängen gar nicht mit der Entscheidung der Verwaltung zusammen, sondern wie sie transportiert wird.
Und die Kommunikation zwischen Verwaltung und ihren Bürgerinnen und Bürgern - das geht jetzt nicht nur um die kommunale Verwaltung, sondern alle Verwaltungen - die ist halt sehr geprägt von der Rechtssicherheit. Man versucht in den Schreiben alles reinzupacken, was einem sonst möglicherweise ein Rechtsanwalt widerlegen könnte. Und das führt dann dazu, dass es der Normalbürger fast nicht mehr verstehen kann."
Und dass der Normalbürger zigmal anrufen muss oder vorbeikommt oder mittlerweile ungeniert gleich seinen Anwalt vorlässt. Ein Kreislauf, den die Stadt Wiesloch nun durchbrechen will. Pioniere in Sachen Amtsdeutsch, zumindest in Baden- Württemberg. Doch mittlerweile ist nicht mehr der Gemeinderat im Ruhestand am Werk, sondern Vollprofis in Sachen Sprache.
Der Weg zu einem verständlichen Amtsdeutsch ist weit. Er führt nach Bochum,
zur Ruhruniversität. Ein großes Hochhaus. Hier im dritten befindet sich das Germanistische Institut, Abteilung: Linguistik.
Hier werden sprachliche Brücken zwischen Verwaltungsmenschen und Bürgern gebaut. Der Ort der sprachlichen Revolution ist ernüchternd: Drei Frauen, drei Schreibtische, fünf Computer. Alles auf rund 20 Quadratmeter verteilt. Eine der drei Frauen im Büro ist Michaela Blaha. Germanistin, Sprachforscherin am Lehrstuhl des Germanistikprofessors Hans-Rüdiger Flick.
Seit acht Jahren übersetzt Michaela Blaha Behördentexte, so dass sie jeder versteht. Nebenbei speist sie seit ein paar Jahren ein Wörterbuch mit sperrigen Worten. Jedes Wort wird analysiert. Bei manchen liegt die Lösung auf der Hand: Die Durchschrift ist eine Kopie. Punkt. Aber Oberflächenwasser ist eben nicht Oberflächenwasser.
Auch bei einem "Inverkehrbringer" liegt man zunächst in der spontanen
Deutung des Gewerbes falsch:
"Ein 'Inverkehrbringer' ist eben eine Person, die Waren in den Verkehr bringt, ein In-Verkehr-Bringer eben. Im Zusammenhang erschließt sich das Wort eigentlich ganz schnell."
Doch sind die Wortkonstrukte erst einmal auf Herkunft und Verwendung geprüft, werden sie eingebettet in geschmeidige Sätze. Eine Eins-zu-Eins-Übersetzung ist meist beim Amtsdeutsch nicht möglich. Fast immer besteht Erklärungsbedarf, wie im Falle der Gewässerschau:
"Das erinnert mich ja immer an die Bundesgartenschau und an Wasserspiele. In der Fachsprache ist die Gewässerschau aber eine jährliche Gewässerkontrolle, zu der die Gemeinden verpflichtet sind."
Die Frau im dunklen Geschäftsanzug und feiner Bluse lässt ihren Computer
immer mehr Wörter ausspucken. Wo andere Menschen abschalten, erwacht die Sprachfantasie der Wortmeisterin. Eine besondere Herausforderung sind für die Germanistin Formulierungen, die Frauen und Männer in gleichem Maße betreffen. Auch in diesem Fall hat sie eine eigene Sprachbank entwickelt:
"In dem Gender-Glossar finden Sie Möglichkeiten, wie Sie geschlechtsspezifische Ausdrücke geschlechtsneutral schreiben können. Sie können zum Beispiel statt Ansprechpartner, was ja männlich ist, sagen: Ansprechperson. In bestimmten Fällen können sie statt Arzt zum Beispiel auch ärztliche Praxis sagen. Aber das geht natürlich nicht immer, es kommt auf den Text an. Wenn Sie einen Text haben, in dem Sie immer die männliche und weibliche Form zweifach zu sagen, würde das den Text aufblähen. Beispielsweise ein Text, in dem steht: Bürger und Bürgerinnen. Wenn Sie dann immer Bürger und Bürgerinnen schreiben, wir der Text einfach zweimal so groß. Und dann müssen sie halt eine Lösung finden. Das ist schon eine spannende Aufgabe."
Vor acht Jahren hat die Sprachforscherin zunächst einmal das Amtsdeutsch aus der Bochumer Stadtverwaltung in eine verständliche Sprache übersetzt. Es kamen weitere Auftraggeber wie etwa Wolfsburg hinzu. Mittlerweile sind es 21 Gemeinden, einschließlich Wiesloch. Aus dem puren Interesse einer jungen Studentin ist ein kleines Unternehmen geworden. Täglich landen auf ihrem Tisch nun aus ganz Deutschland Texte wie diese:
"Sehr geehrter Herr xy, es wurde festgestellt, dass sie eine Dachgabe errichtet haben, ohne die dafür erforderliche Anzeige bei der Gemeinde eingereicht zu haben. Nach der neuen hessischen Bauordnung handelt es sich entsprechend der Anlage 2 über baugenehmigungsfreie Vorhaben nach Paragraph 55 HBO Ziffer 1.16 bei Dachaufbauten einschließlich Dachgauben auf bestehenden Gebäuden um baugenehmigungsfreie Bauvorhaben, die allerdings in Vorbehalten des Abschnittes 5 Nummer eins und drei unterliegen. Diese besagen, dass das beabsichtigte Bauvorhaben der Gemeinde durch Einreichen der erforderlichen Bauvorlagen schriftlich zur Kenntnis zu geben ist."
Das Urteil der Expertin:
"Diese Sätze sind sehr ungünstig, weil sie sehr lang sind und sehr viele Fachwörter enthalten und sehr viele Rechtsverweise, die aber dem Leser überhaupt nicht klar machen, was jetzt überhaupt Sache ist, auf gut Deutsch. Zudem kommt noch hinzu, dass das Wort Bauvorhaben zwar mehrfach erwähnt wird. Es wird aber nicht gesagt, was jetzt eigentlich eingereicht werden soll, weil man sich unter Bauvorlagen eigentlich auch nichts vorstellen kann.
Dann habe ich bei dieser Verwaltung angerufen und gefragt, was jetzt eigentlich eingereicht werden soll, und dann hat mein Ansprechpartner gesagt: Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, woraufhin ich dann gefragt habe, wie es denn sein kann, dass er das nicht weiß. Dann hat er gesagt, ja, das geht bei uns über fünf Schreibtische."
Mittlerweile ist die Vorschrift "Dachgaube" übersetzt:
"Auf dem Dach Ihres Hauses haben Sie eine Gaube errichtet. Dafür benötigen Sie zwar keine Baugenehmigung, allerdings hätten Sie uns die Baumaßnahmen trotzdem ankündigen müssen."
In Klammer findet sich der Rechtsverweis.
"Bitte reichen sie uns bis zum soundsovielten die Unterlagen nach."
Scheinbar kein Hexenwerk. Doch hinter jeder Übersetzung steckt knallharte Arbeit. Immer wieder müssen die Texte von Juristen und von Fachleuten in den Behörden überprüft werden. Bis zu 15 Stunden reine Arbeit stecken in einem Entwurf:
"Das heißt, Sie müssen sehr gründlich recherchieren: Was bedeutet beispielweise ein Wort wie 'Oberflächenwasser'. Kann man das anders sagen, oder gerät man dann in Schwierigkeiten? Was bedeutet ein Wort wie 'Wiedereinsetzen in den vorigen Stand'? Da müssen Sie Rücksprache halten, dann haben Sie den ersten Entwurf, der wird dann kritisch diskutiert, dann muss der in der Regel wieder überarbeitet werden, dann wir der wieder diskutiert. Bis Sie dann endlich einen Text haben, der freigegeben wird, von beiden Seiten, da können schon mal 15 Stunden vergehen."
Mittlerweile finden sich einmal formulierte Texte in der Datenbank IDEMA - Internetdienst für eine moderne Amtssprache. Ein sprachlicher Begleiter durch den Behördenalltag. Aufrufbar sind 14 Fachbereiche einer kommunalen Verwaltung. Zugriff auf die Datenbank haben jedoch nur die Kunden des Projekts, zum Beispiel die Stadt Wiesloch: So ist der Weg zwischen Bochum und Wiesloch doch nicht so weit:
"Also, es ist immer so, dass wir die Verwaltung einmal mindesten besuchen, um natürlich Schlüsselpersonen persönlich zu kennen, auch die Arbeitssituation vor Ort zu kennen. Es ist wichtig, mit welcher Art Software vor Ort gearbeitet wird. Also, der persönliche Kontakt ist schon da, wird aber im Laufe des Projekts in der Regel über Telefon oder E-Mail abgewickelt. "
Zurück im Wieslocher Rathaus. In diesem Fall bei Andreas Hoffner - Frau Blahas Schlüsselperson in Sachen Amtsdeutsch.
"Das war eine relativ unkomplizierte Zusammenarbeit, das war im direkten Kontakt mit der Frau Blaha. Die Frau Blaha hat mich dann antelefoniert oder angemailt, und das war dann so eine Art Ping-Pong-Spiel, sodass man sich so quasi angenähert hat."
Fast drei Jahre lang dauerte das Ping-Pong-Spiel, im Wieslocher Fall lediglich im Bereich des Bauordnungsamtes. Mittlerweile sind alle Sätze übersetzt, insgesamt fast 80 Schriftstücke. Die Stadt steht kurz vor einer sprachlichen Offensive:
"Also ich habe nicht das Gefühl, dass es große Kompromisse waren. Auch die Frau Blaha wurde ja durch einen Juristen beraten, insofern gehe ich schon davon aus, dass das, was wir dann zu Papier bringen, die neuen Formulierungen, die ja in den wenigsten Fällen jetzt absolut vom Terminus passend sein müssen, dass die jetzt irgendwelche rechtlichen Probleme mit sich brächten."
Die Kosten sind überschaubar. Zunächst muss jede beteiligte Gemeinde einmalig 1500 Euro bezahlen. Je nachdem wie die Datenbank der Bochumer Germanisten dann genutzt wird, fallen weitere Kosten an.
"Wir sind jetzt in einem Fortsetzungsvertrag, wir hatten bisher von 1500 Euro gesprochen. Wir werden in der Zukunft in ähnlichen Preiskategorien liegen, je mehr Kommunen mitmachen, umso günstiger wird es."
Gespannt richten sich nun alle Augen auf die sprachliche Revolution in Wiesloch.
Ende des Jahres soll im Wieslocher Bauordnungsamt das sperrige Amtsdeutsch verschwinden. Oberbürgermeister Schaidhammer drängt auch auf einen baldigen Start:
"Ich habe immer wieder - jetzt gerade auch momentan - Schreiben auf dem Tisch, wo Bürger sehr empört sind über Schreiben unserer Verwaltung Und deshalb bin ich sehr glücklich und froh, wenn wir es auch mal scharf schalten und tatsächlich auch unsere Sprache verändern."
Freundlich und sachlich wird der Ton sein, bestätigt Andreas Hoffner. Doch der Projektleiter Amtsdeutsch sagt, es werde verschiedene Stufen geben:
"Bei einer Abrissverfügung ist es so, da muss man das eine eben mit dem Bescheid herüber kriegen, dass es keine auf die Person bezogene Entscheidung ist, sondern dass es auch eine Sachentscheidung ist. Da muss man wirklich sagen, freundliche Töne bei einer Abrissverfügung, dann muss man eher sagen, eher ein sachlicher Ton bei einer Abrissverfügung, so dass der Empfänger dieses Bescheids dieser Botschaft sich nicht persönlich angegriffen fühlt."
Gespannt beobachten nun baden- württembergische Bürgermeister den mittlerweile auch psychologisch geschulten Sprachsinn ihrer Kollegen. Der Wieslocher Oberbürgermeister bekommt in diesen Tagen häufiger Anrufe:
"Ja, es haben schon einige bei uns nachgefragt, die vorbeikommen wollen, um sich einfach zu informieren, ob das auch ein Modell für sie wäre."
Ist erst einmal das Wieslocher Bauordnungsamt sprachlich auf der Höhe, geht es weiter. Amt für Amt:
"Wir wollen natürlich die gesamte Verwaltung sukzessive umbauen. Das nächste wird sicher das Ordnungsamt sein, weil gerade im Ordnungsbereich, da sind auch solche Themen, die zunächst einmal auf Widerstand stoßen."
Als verhalten optimistisch dürfte der Mann bezeichnet werden, auf den nun bald Baden-Württemberg schaut. Holger Ratzel. Er ist im Moment kommissarische Leiter des Wieslocher Bauordnungsamtes. In seinem Computer liegen nun geschmeidige Texte, die allesamt für seine Kunden bestimmt sind.
"Wobei wir halt, und das ist halt ein Problem vom Baurecht, nicht ein einfaches
Verhältnis zum Bürger haben, sondern in einem Spannungsfeld stehen zwischen öffentlich-rechtlichen Aufgaben, die wir irgendwo vermitteln müssen. Das kann jetzt Brandschutz sein, das kann eine gaststättenrechtliche Geschichte sein. Die große Herausforderung ist, das allen Beteiligten einigermaßen zu verkaufen."
Holger Ratzel bezweifelt die Rechtssicherheit der Texte:
"Es ist erstmal einfach Versuch und Irrtum. Es wird dann nachher das Gericht sagen, ob es das für ausreichend hält, und dann weiß man es. Also, das ist dann auch wieder die Gefahr, die standardisierte Texte in sich bergen, dass man halt im Zweifelsfall vielleicht genau dann daneben liegt. Und wenn der Richter dann halt merkt, der hat irgendwo nur auf einen Knopf gedrückt oder der Sachbearbeiter hat sich nicht genügend auf das Thema eingelassen, dann kann eine Entscheidung aus dem Grund auch falsch sein."
Grundsätzlich sieht der Leiter der Wieslocher Bauordnungsamtes die Bochumer Texte eher als Anregung für eigene Texte:
"Da muss man einfach für sich versuchen einen Weg zu finden zwischen Erläutern und Erklären, in hier leider immer rechtlich substanziierten Formen. Wo es halt sein muss, weil quasi eine anwaltschaftliche oder gerichtliche Überprüfung im Baurechtsverfahren oder Baurechtsverfahren immer hinten dran steht."
Der Kulturwissenschaftler Eckart Frahm geht noch einen Schritt weiter:
"Diejenigen, die etwas in der Amtssprache verfassen, sollten es möglichst früh, bevor es veröffentlich wird, dem Bürger zur Probe geben - verschiedenen Bürgern, alten und jungen, aus verschiedenen Bereichen, um die Verständlichkeit dieses Textes, denn darauf kommt es ja an, um die Verständlichkeit des Textes herzustellen. Juristen können es dann auch noch prüfen. Aber man sollte, bevor man es von dieser Herrschaftsebene nach unten gibt, probieren, ob es verständlich ist."