Keine Zensur

Von Stefan Monhardt |
Eine Videoinstallation des polnischen Künstlers Artur Zmijewski mit nackten Menschen in einer Gaskammer wurde aus einer Ausstellung in Berlin entfernt. Zmijewski spricht von Zensur, doch ihm ist kein Unrecht geschehen. Die empörten Besucher haben in legitimer Weise politisch auf ein politisches Kunstwerk reagiert, meint der Autor Stefan Monhardt.
Das nur wenige Minuten lange Video des polnischen Künstlers Artur Zmijewski trägt den Titel "Berek", das heißt so viel wie "Hasch mich". Zu sehen sind darin unter anderem nackte Männer und Frauen, die in der Gaskammer eines Konzentrationslagers ausgelassen Fangen spielen. Das Symbol nicht mehr steigerbaren menschlichen Leidens wurde gekoppelt mit kicherndem Herumalbern. Ist das frivol?

Laut Katalog hat das Werk die Absicht, "eine psychotherapeutische Erinnerung an die traumatischen Erlebnisse zu bewirken, um das Geschehene zu überwinden".

Zmijewski hat für seinen Kurzfilm keine Gaskammer aus Pappmaché nachgebaut, sondern an einem realen Schauplatz gedreht. Seine Arbeit steht damit in einer längst etablierten Tradition moderner Kunst, welche die säuberliche Unterscheidung zwischen Kunst und Wirklichkeit nicht mehr akzeptiert.

Künstler quartieren Obachlose in Galerieräume ein, sie verstreuen gesammelten Staub vom New Yorker Ground Zero in Installationen oder inszenieren Happenings mit Arbeitslosen und Behinderten. Das ist die alte romantische Utopie, Kunst und Leben zusammenfallen zu lassen, auch wenn es sich hier um negative, um schwarze Utopien handelt. Dieser utopische Anspruch ist der Kunst nun in Berlin offenbar vor die Füße gefallen.

Kunstwerke wie der Film Zmijewskis inszenieren sich als provozierende Grenzverletzung und als bewusste Grenzüberschreitung hin zum Politischen. Sie wollen mehr sein als 'Kunst'.

Sie suchen dafür aber in aller Regel nicht den Raum der politischen Auseinandersetzung auf. Ihr bevorzugter Ort ist gerade der geschützte Raum bürgerlicher Kunstverehrung, der Kunsttempel: das Museum. Hier hat der Betrachter, argwöhnisch beäugt von Sicherheitspersonal, in passiver Andacht zu verharren. Reagieren kann er allenfalls in Form von Besucherbucheintragungen oder von Fragen am Ende von Podiumsdiskussionen.

Die Werke, so heißt es in der Katalogrhetorik gern, wollen gewohnte Sichtweisen in Frage stellen, sollen irritieren und provozieren. Doch das Erstaunen ist jedes Mal groß, wenn Besucher sich tatsächlich irritiert und provoziert fühlen und in nicht vorgesehener Weise reagieren. Sie müssen sich dann den Vorwurf gefallen lassen, sie hätten nicht verstanden, dass es sich um Kunst handle.

Wer das Feld des Politischen – und damit das Feld der Macht – betritt, kann keine Immunität und Deutungshoheit beanspruchen. Artur Zmijewski hat von Zensur gesprochen, nachdem seine Installation abgeschaltet worden war. Doch ihm ist kein Unrecht geschehen. Die empörten Besucher der Ausstellung im Berliner Gropius-Bau haben in legitimer und legaler Weise politisch auf ein politisches Kunstwerk reagiert.

Sie haben mit Argumenten die Leitung des Museums überzeugt. Sie haben keine Fahnen und Puppen verbrannt und niemanden bedroht. Eben dies unterscheidet ihr Handeln beispielsweise von den nichtpolitischen, gewaltsamen Protesten nach der Veröffentlichung der dänischen Mohammed-Karikaturen 2006.

Wurde Artur Zmijewskis Video missverstanden? Mag sein. Aber dann wäre das Missverständnis eine Möglichkeit des Spiels, auf das sich der Künstler mit seinem Fangespiel eingelassen hat. Wenn nun in Stellungnahmen darauf hingewiesen wird, es handle sich um das bereits zwölf Jahre alte Werk eines renommierten Künstlers, dessen Arbeiten sich in angesehenen Museen befinden, dann ist das Imponiergehabe, das an der Sache vorbeigeht und die politische Dimension dieses Films gerade nicht ernst nimmt.

Eine Antwort Zmijewskis hätte es sein können, die Reaktionen der Besucher und der Museumsleitung zum Bestandteil seines Werks zu erklären. Diese Antwort hätte ihre Autorität nicht vom authentischen Schauplatz des Films bezogen, sondern aus ihrer künstlerischen Konsequenz.

Stefan Monhardt, geboren 1963, studierte Germanistik und Klassische Philologie in Tübingen und Pisa. Heute lebt er als freier Autor und Übersetzer in Berlin. Er schreibt Lyrik und Essays, zuletzt erschien sein Gedichtband "Augenblicksgötter" (2007).
Stefan Monhardt
Stefan Monhardt© Bernhard C. Striebel