Nach dem Axt-Attentat bei Würzburg

"Es ist fast kein Thema mehr"

Polizisten stehen am 18.07.2016 in Würzburg (Bayern) neben einem Regionalzug. Ein Mann hat in dem Zug Reisende angegriffen und laut Polizei mehrere Menschen lebensgefährlich verletzt. Nach der Attacke wurde der Täter von der Polizei auf der Flucht erschossen.
Schreckensbilder vom Juli 2016, kurz nach dem sogenannten Axt-Attentat in einem Regionalzug. © picture alliance/dpa - Karl-Josef Hildenbrand
Von Heiner Kiesel · 31.01.2017
Vor gut einem halben Jahr hat ein Flüchtling Zugreisende in einer Regionalbahn mit einer Axt angegriffen. Er verletzte fünf Mitfahrer und wurde selbst erschossen. In Ochsenfurt, dem ehemaligen Wohnort des Täters, Rias Ahmad Khan, ist mittlerweile der Alltag zurückgekehrt.
Die Regionalbahn von Würzburg nach Treuchtlingen. Die Strecke des Axtattentäters in Gegenrichtung. Draußen lichten sich die Häuserreihen. Heidingsfeld. Kahle Sträucher. Da standen im letzten Sommer verstörte Passagiere. Verletzte. Blutige Verbandsfetzen. Der Zug per Nothalt gestoppt. So einer wie dieser. Bequem, mit blauen Sitzen. Unten zieht der Main vorbei. In den Auen dort wurde der 17-jährige Riaz Khan vom SEK erschossen. Die Axt in der Hand.
Und hier in Ochsenfurt ist er eingestiegen. Hier hat er gelebt, hier sollte Riaz in sein neues Leben integriert werden. 12.000 Einwohner. Die Stadt vermarktet sich selbst als "die schöne Stadt Ochsenfurt". Am Bahnhof blättert überall die Farbe ab. Aber es sind nur ein paar Schritte zum Stadttor, dann wird es fachwerkromantisch.

"Von der Stimmung her immer noch pro Asyl"

Die Hauptstraße von Ochsenfurt
Rückkehr zum Alltag: die Hauptstraße von Ochsenfurt© Deutschlandradio Kultur / Heiner Kiesel
Gut ein halbes Jahr ist das Axtattentat nun her. Seitdem hält in Deutschland eine verbissene Debatte um Sicherheit und Flüchtlinge an. Und in Ochsenfurt, wo alles begann? Dominant an der Hauptstraße: das neue Rathaus in altrosa.
"Mein Name ist Peter Juks, ich bin der erste Bürgermeister der schönen Stadt Ochsenfurt im Landkreis Würzburg."
Bürgermeister Peter Juks ist 52, mit rotblondem Schnäuzer und Fassonschnitt. Als er sich an den blutigen Vorfall erinnert, da knetet er an seiner rechten Hand herum - an der Haut zwischen Daumen und Zeigefinger.
"Der Vorfall ist vielen, mir natürlich auch persönlich, sehr nahe gegangen. Das war sicherlich in den drei Jahren, in denen ich Bürgermeister bin, die schwerste Situation. Man kann es einfach nicht begreifen, warum jemand, der hier lebt, einen Job hätte, integriert, Fußball spielt. Warum jemand so eine Tat verübt."

"Es war sehr sehr schwierig am Anfang"

Peter Juks, Bürgermeister von Ochsenfurt
Peter Juks, Bürgermeister von Ochsenfurt© Deutschlandradio Kultur / Heiner Kiesel
Und da war diese Unsicherheit, ob da nicht noch mehr Gewalt von den Flüchtlingen kommt. Juks hat für die Willkommenskultur gekämpft. Er lässt seine Hand los.

"Von daher ist es jetzt von der Stimmung her immer noch pro Asyl."
Das ist ihm wichtig, als Christ. In der Stadt ist ein großer Kreis an Helfern für die Flüchtlinge aktiv. Die Helfer wollen inzwischen nicht mehr über Riaz und das Attentat sprechen. Vergangenheit. So sieht das auch Juks.
"Es war sehr sehr schwierig am Anfang. Und man muss sagen, jetzt ein halbes Jahr später, es ist Alltag. Es ist fast kein Thema mehr."
Geht das so einfach. Alltag? Oder ist das einfach etwas, was man als Bürgermeister sagen muss? Einen Steinwurf vom Rathaus steht ein Ochsenfurter in der Kälte und raucht. Kräftig gebaut, Brille. Ob die Verunsicherung von damals bei ihm nachwirkt?
"Schicksal, wenn es dich trifft, dann trifft es dich, wir kommen auf die Welt, um zu sterben."
Er fährt sich durch die schwarzen Haare.

"Ich sage Ihnen ehrlich: Das Attentat geht mir am Arsch vorbei."
Die junge Frau, die mit ihrem Vater die Straße hochkommt, hat die Tat ebenfalls abgehakt. Ziemlich schnell.
"Eigentlich kaum, es war nur eine Woche oder so, dass viel darüber geredet wurde. Seither habe ich nicht mehr darüber nachgedacht."

"Es hat keine erkennbaren Hinweise gegeben"

Das Bild einer Stadt, die mit dem Attentat abgeschlossen hat, verdichtet sich. Aber es gibt Orte, da geht das nicht so einfach. Die Straße unterhalb des Rathauses führt zur früheren Unterkunft des Attentäters.
Christine Fabri, Leiterin des Kolping-Bildungswerks Mainfranken
Christine Fabri, Leiterin des Kolping-Bildungswerks Mainfranken© Deutschlandradio Kultur / Heiner Kiesel
"Hallo, herzlich Willkommen. Wir sind hier im Kolpingheim Ochsenfurt, in dem seit gut zwei Jahren jetzt 18 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge leben."
Christine Fabri vom Kolping-Bildungszentrum ist so um die 50 und trägt einen grauen Strickpulli mit einem breiten lockeren Rollkragen. Sie führt hinauf in den zweiten Stock, dann in den Flur. Ganz am Ende rechts. Zimmer 6. Da hat Riaz Ahmad Khan ein Jahr gewohnt. Es stand lange frei. Fabri bleibt an der Schwelle stehen.
"Das ist natürlich die Frage, die wir uns alle unmittelbar nach den Ereignissen und bis auf den heutigen Tag immer wieder stellen. Und alle Experten und Fachleute haben uns immer wieder bestätigt, dass wir das in keinster Weise hätten erkennen können. Es hat keine erkennbaren Hinweise gegeben und das ist sehr wichtig für uns."
Es bleibt ein Junge, der sich vorbildlich integriert hatte, im Fußballverein war, in einer deutschen Gastfamilie leben wollte. Es bleibt unbegreiflich, damit lebt Fabri. Ihren Alltag.
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