Keine Syrer in Kolumbien

Venezuela als Rache der Geschichte?

Héctor Abad Faciolince
Héctor Abad Faciolince © dpa / picture alliance / Alfredo Aldai
Von Tobias Wenzel · 28.08.2017
Der kolumbianische Präsident habe ihm seine Unterstützung zugesagt, kolumbianische Familien waren bereit, Flüchtlinge aufzunehmen und zu verpflegen. Der Schriftsteller Héctor Abad wollte Geflüchtete aus Syrien aufnehmen - doch durch die Krise in Venezuela kam alles anders.
Héctor Abad Faciolince: "Vielleicht sagen sie mir, ich sei komplett verrückt. Aber ich glaube, dass ich nicht verrückt bin und dass ich sie überzeugen kann."
13. Januar 2017 in Bogotá: Héctor Abad ist euphorisch. Gleich wird der Schriftsteller und Kolumnist Frank-Walter Steinmeier treffen, der ein letztes Mal als Außenminister nach Kolumbien gereist ist. Und auch dessen kolumbianische Amtskollegin María Ángela Holguín soll da sein. Beiden will Abad von seiner Idee erzählen, die er zwei Tage später in einem Artikel für die Zeitung "El Espectador" erläutern wird.
"Um den Frieden in Kolumbien zu festigen, täte es uns sehr gut, 300 Flüchtlingsfamilien aus Syrien, Afghanistan oder dem Iran herzubringen. In Antioquia, im äußersten Westen Kolumbiens, gibt es einige sehr ruhige Kleinstädte, in denen der Krieg Vergangenheit ist. Und da könnten die Menschen diese Flüchtlinge aufnehmen. Präsident Santos hat ein Militärflugzeug benutzt, um zur Verleihung des Friedensnobelpreises zu reisen. Dasselbe Flugzeug könnte doch nach Athen oder Lesbos fliegen, um von dort die Flüchtlinge abzuholen. Warum denn eigentlich nicht?"

Das Problem eines unterentwickelten Landes

Als symbolischen Akt. Jetzt, wo es doch Kolumbien wieder relativ gut gehe, jedenfalls viel besser als den auf griechischen Inseln ausharrenden Flüchtlingen.
Kurz darauf im Museo Nacional erzählt Héctor Abad dem deutschen Außenminister von seinem Vorhaben.
"Der Großvater von Juan Manuel Santos war während des Zweiten Weltkriegs selbst Präsident Kolumbiens. Und dessen Außenminister hat damals ein Dekret verfasst, demzufolge keine jüdischen Flüchtlinge aufgenommen werden durften. Diesen Fehler müssen wir wieder gutmachen. Ich glaube, wir können Menschen einen Zufluchtsort bieten, die gerade am meisten leiden."
Steinmeier hört zu, wenn auch etwas skeptisch dreinblickend, erkundigt sich, ob das Projekt schon konkret sei, macht einen Scherz und lobt schließlich die Idee.
Frank-Walter Steinmeier: "Thank you. Good idea!"
Siebeneinhalb Monate später, Ende August, ist Héctor Abad wieder in Antioquia, wo er die Flüchtlinge gerne untergebracht hätte. Unter seinem Strohhut ist ein ernüchtertes Gesicht zu sehen. Abad hat aufgegeben.
Héctor Abad Faciolince: "Das Problem in den Tropen ist, dass man hier sehr bald seine anfängliche Begeisterung für etwas verliert. Dann tauchen neue schwierige Aufgaben auf, die die alten ersetzen. Und so bringen wir letztlich nichts zustande. Das ist wohl das Problem eines unterentwickelten Landes."

Erst einmal seine eigenen Wunden versorgen

Präsident Santos habe ihm persönlich seine Unterstützung zugesagt. Familien waren bereit, Flüchtlinge aufzunehmen und kostenlos zu verpflegen. Dann aber kam Gegenwind von Leuten, die befürchteten, mit den Flüchtlingen könnten auch islamistische Terroristen nach Kolumbien kommen. Andere meinten, Kolumbien, wo während des bewaffneten Konflikts Millionen von Menschen innerhalb des eigenen Landes vertrieben wurden, wo noch bis vor wenigen Jahren an der unschuldigen Zivilbevölkerung tausendfach Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden, dieses Land müsse erst einmal seine eigenen Wunden versorgen, bevor es Ausländern helfen könne.
Héctor Abad hielt und hält dagegen: Seit der Unabhängigkeit habe Kolumbien praktisch keine Einwanderung im großen Stil zugelassen, im Gegensatz zu Chile und Argentinien. Und auch Venezuela, wo mehr als eine Million Kolumbianer leben. Etliche von ihnen und zahlreiche Venezolaner flüchten nun aber nach Kolumbien, viele, weil sie einfach Hunger haben. Es könnten hunderttausende Menschen werden:
Héctor Abad Faciolince: "Jetzt gerade rächt sich vielleicht die Geschichte. Zum ersten Mal werden wir wohl eine Krise erleben aufgrund des Zusammenpralls von so vielen Ausländern und den Kolumbianern. Und das könnte unsere fremdenfeindliche Seele wecken."
Und das, obwohl, im Gegensatz zu Syrern, Venezolaner dieselbe Sprache sprechen wie Kolumbianer, ebenfalls mehrheitlich katholisch sind und auch noch recht ähnlich wie ihre Nachbarn aussehen. Anstatt sich weiter für 300 syrische Flüchtlingsfamilien stark zu machen, will Héctor Abad nun bei seinen Landsleuten dafür werben, die zigtausend Menschen aus Venezuela herzlich zu empfangen. Héctor Abad weiß nämlich, was es heißt, ein Flüchtling zu sein. Als vor dreißig Jahren sein Vater, ein Arzt und Menschenrechtsaktivist, in Medellín ermordet wurde, musste auch der Sohn um sein Leben fürchten und ging ins Exil. Wie so viele andere Kolumbianer während des bewaffneten Konflikts.
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