"Keine Steuererhöhung durch die Hintertür"

Markus Söder im Gespräch mit Gabi Wuttke · 01.11.2013
Die nächste Bundesregierung sollte nichts tun, was die Solidität Deutschlands gefährde und die Stabilisierung des Arbeitsmarkts rückgängig mache, fordert Bayerns Finanzminister Markus Söder. Der Staat habe Rekordsteuereinnahmen und müsse mit seinem Geld zurechtkommen.
Gabi Wuttke: Die Arbeitsgruppen von CDU/CSU und SPD tagen weiter – vieles will gestemmt, aber eben auch finanziert sein. Genau an diesem Punkt könnten sich die Koalitionäre in spe am Ende womöglich noch überwerfen? Denn die Union will anders als die SPD in die Zukunft nicht mithilfe von Steuererhöhung investieren. Bundesfinanzminister Schäuble richtet sich deshalb schon mal darauf ein, den Schuldenberg von 1,3 Billionen Euro nicht wie geplant abzutragen. Am Telefon begrüße ich jetzt den Finanzminister von Bayern, Markus Söder – einen schönen guten Morgen!

Markus Söder: Guten Morgen, grüß Gott!

Wuttke: Gestern wurden Sie zitiert, Sie wollten "Ruhe an der Steuerfront" und lieber nichts tun, als faule Kompromisse schließen, heute sind Sie die Quelle für den Hinweis, Union und SPD hätten sich prinzipiell auf den Abbau der kalten Steuerprogression geeinigt. Was jetzt, Stillstand oder Fortschritt?

Söder: Verhandlung. Verhandlung ist im Moment das Entscheidende. Klar ist nur, dass wir auf keinen Fall Steuererhöhungen machen und keine Neuverschuldung, denn es geht um die Grundaussage. Grundaussage dieser Regierung muss sein, wir tun nichts, was die Solidität Deutschlands gefährdet und die Stabilisierung von Arbeitsplätzen in irgendeiner Form rückgängig macht. Also heißt es für uns ganz klar: Keine Steuererhöhung! Bei dem Thema kalte Progression, das ist ja ein Storno von Steuervereinfachung und Steuergerechtigkeit, stoßen wir bei der SPD auf Sympathie.

Wuttke: Aha!

Söder: Deswegen könnten wir da Bewegung haben. Die Frage ist halt am Ende, das ist das, was Sie in der Moderation angesprochen haben: Wie bekommt man am Ende alle Finanzierungswünsche zusammen? Denn da gibt es ja aus den Fachgruppen viele, viele Anregungen.

Wuttke: Gut, wenn Sie jetzt sagen, die SPD hat Sympathie, dann würde ich mal vorsichtig sagen, ist das noch nicht als prinzipielle Einigung zu betrachten, aber was meinen Sie mit "Ruhe an der Steuerfront" statt faulen Kompromissen?

Söder: Ja, Steuererhöhung durch die Hintertür. Es geht ja nicht nur um nominale Steuererhöhungen, da geht es auch um das große Thema, ja dann bauen wir Subventionen ab, die sich in der Realität schnell als Steuererhöhungen erweisen. Also Beispiel war ja immer die Debatte um Pflichtzuschläge beispielsweise – ach, das ist doch eine Subvention –, aber das würde viele, viele Menschen in Deutschland treffen. Wir haben ganz klar gesagt, wir machen keine Steuererhöhung, keine Steuererhöhung durch die Hintertür, keine Kompensationsmodelle. Es bleibt dabei: Steuern werden nicht erhöht. Denn: Der Staat hat Rekordsteuereinnahmen. Also wenn der Staat jetzt nicht mit dem Geld zurechtkommt, wann denn dann?

Wuttke: Ja, wir könnten in den kommenden fünf Jahren bis zu 80 Milliarden Euro Steuergelder zusätzlich einfahren – wohin soll das denn fließen, Herr Söder?

Söder: Na ja, zunächst einmal ist klar, dass es in die Bereiche, die jetzt diskutiert werden – in Infrastruktur, in Bildung, in die Herausforderung beispielsweise der sozialen Gerechtigkeit, wenn es um Mütterrente geht –, da gibt es ja schon eine Reihe von Themen, die da sind, aber auch hier gilt der Grundsatz: Nicht alle Bäume wachsen so hoch in den Himmel, wie man sich das wünscht. Am Ende müssen – und so ist es auch vereinbart worden – aus den verschiedenen Fachgruppen die Wünsche, die da sind, zusammengetragen werden und muss dann angepasst werden und muss gesehen werden, ob es ein Tableau gibt. Denn es gilt ja nicht nur der Grundsatz, keine Steuererhöhung, es gilt ja auch der Grundsatz "keine Neuverschuldung", sondern ganz im Gegenteil, was ich auch sehr gut finde, wenn es uns gelänge, auch ein Signal der Schuldentilgung zu setzen.

Bayerns Finanzminister Markus Söder, CSU
Bayerns Finanzminister Markus Söder, CSU© picture alliance / dpa
"In Bayern machen wir die Entschuldung"
Wuttke: Ja, aber welches Signal? Glauben Sie, dass der Schuldenberg irgendwann mal weg ist, wenn man ihn ignoriert?

Söder: Nein, ganz im Gegenteil. In Bayern machen wir genau die Entschuldung, die Sie ansprechen. Wir haben jetzt in Bayern in den letzten anderthalb Jahren 2,54 Milliarden getilgt, das sind ungefähr elf Prozent der Schulden …

Wuttke: Aber der Herr Schäuble ist ja für uns alle zuständig.

Söder: Richtig, und der Finanzminister von Bayern zunächst für Bayern, da macht der das schon, versucht auch, in Berlin ein Stück mitzukämpfen, dass das da passiert. Der Bundesfinanzminister ist da sehr offen für Schuldentilgung, sehr offen – das sind aus meiner Sicht etwas Überinterpretationen der Medien gewesen. Am Schluss muss halt alles nebeneinandergelegt werden. Was wir jetzt verhandeln in der Finanzgruppe, ist zunächst mal die Steuerthemen, da gibt es auch Konsens, zum Beispiel ein Erhalt der Gewerbesteuer, wie es jetzt ist beispielsweise. Also man sieht, da kommt man auch ein Stück, ein gutes Stück voran. Aber was die Haushaltsfrage betrifft, muss eben … jeden Tag tagen die Arbeitsgruppen, und die haben natürlich viele Wünsche, und manche der Probleme dort sollen finanziell statt strukturell gelöst werden, aber am Ende muss das vor der Spitze zusammengefasst und entschieden werden, was geht und was nicht.

Wuttke: Aber wenn das hübsche Geld, womit vor kurzem noch keiner gerechnet hat, jetzt in die Wünsche der Koalitionäre fließt, dann – so haben wir es alle verstanden, Herr Söder – dann kann Wolfgang Schäuble den Schuldenberg wie geplant nicht ab 2015 abbauen. Es ist doch Nachhaltigkeit gefragt, wir müssen doch in die Zukunft investieren, indem wir uns erst mal wieder ordentlich Boden unter die Füße holen.

Söder: Also es geht ja hier nicht um Wünsche von Koalitionspartnern, es geht immer um, was nützt Deutschland. Es geht nicht um die Frage, was nützt Parteien, aber was nützt Deutschland?

Wuttke: Es geht darum, wie Schwarz und Rot zusammenkommen, indem sie sich an Punkten treffen, die wiederum finanziert werden wollen.

Söder: Genau. Also was nützt Deutschland, und das muss man genau abprüfen. Und da gibt es dann auch Konsens. Also wenn es um die Infrastruktur geht, wenn es um Bildungsfragen geht beispielsweise, das nützt ja Deutschland, das schafft auch langfristig Steuereinnahmen. Mich braucht keiner davon zu faszinieren, dass Schuldenabbau und Schuldentilgung die richtige Sache ist, ich glaube, da müssten wir das Interview mit anderen Finanzministern anderer SPD-Länder beispielsweise führen, zum Beispiel in NRW.

Wir sollten uns jetzt aber an der Stelle zum jetzigen Zeitpunkt nicht überfordern, sondern man muss versuchen, die jeweiligen Ziele zusammenzubringen. Wir haben klar gesagt, keine Neuverschuldung, keine Steuererhöhung. Da gab es ja auch Überlegungen von anderen Seiten, zu sagen, na ja, vielleicht ein bisschen Neuverschuldung, so ein ganz klein wenig. Nein, natürlich nicht. Wir würden uns auch gerne wünschen, dass Schuldentilgung möglich ist, und dann müssen wir noch eben gucken, was an den anderen Wünschen und Plänen da ist und wie sind die finanzierbar. Das wird noch eine ziemliche Kärrner-Aufgabe.

Wuttke: Herr Söder, es ist noch gar nicht so viele Jahre her, da gab es eine ähnliche Sache – nicht mit uns, nie und nimmer, und die betraf die Finanztransaktionssteuer. Inzwischen sind auch CDU und CSU sich einig geworden, dass das ein vernünftiger Weg ist, den man gehen muss nach den vielen Jahren, die wir seit der Lehman-Pleite hinter uns haben. Jetzt natürlich die Frage an Sie in der Gegenwart: Wie viele Jahre wird es dauern, bis Sie, bis die Union auch die Sinnhaftigkeit von Steuererhöhung akzeptiert?

"Die Wähler haben mehrheitlich ganz klar entschieden"
Söder: Na, da gibt es ja keinen Sinn. Ich kenne ja niemand, der sagt, es gibt einen Sinn, Steuern zu erhöhen, wozu denn auch.

Wuttke: Also es gibt zum Beispiel den Wirtschaftsnobelpreisträger, der das sagt.

Söder: Den glaube ich aber ziemlich solitär, wenn es dann so wäre, denn die gesamte deutsche Wirtschaft, alle vernünftigen – übrigens auch die Wähler! Auch die Wähler haben mehrheitlich ganz klar entschieden, dass es keine Steuererhöhung geben soll. Das war auch die Kernauseinandersetzung. Die Kernauseinandersetzung dieser Bundestagswahl war ja, Steuererhöhungen ja oder nein, und die Wähler haben entschieden. Und ich finde es ehrlich gesagt dem demokratischen Stil nicht entsprechend, wenn man diesen Wählerauftrag jetzt einfach umwidmet und sagt, ja, das gefällt uns, wir haben jetzt zu viele Wünsche, jetzt erhöhen wir mal Steuern. Nein, es bleibt dabei: Keine Steuererhöhung!

Wuttke: Aber die steuerliche Entlastung von Unternehmen und Besserverdienenden, die vergrößert den Unfrieden in einer Gesellschaft – das sagt der Nobelpreisträger Robert Shiller. Und es ist ja schon verwunderlich, dass plötzlich Wählers Wille eins zu eins von der Politik umgesetzt wird, das haben wir ja gar nicht so oft.

Söder: Ja, dann freuen Sie sich mal. Normalerweise höre ich immer die Kritik, dass das genau umgekehrt der Fall ist. Nee, also dabei bleibt es. Im Übrigen muss man sagen, dass die größten Steuerentlastungen, die wir in den letzten 30 Jahren hatten, entweder von Rot-Grün oder der großen Koalition geschlossen wurden, übrigens auch mit gutem Grund, denn dass Deutschland die Finanzkrise so gut überstanden hat, dass wir so gut dastehen, dass wir das einzige Land sind im Vergleich zu den anderen um uns herum, hat schon was damit zu tun mit einer sehr klugen Steuerpolitik und einer sehr klugen Investitionspolitik. Schauen Sie mal, was Frankreich gemacht hat: Steuern erhöht, stürzt ab in den Keller. Ich hoffe, wohl keiner möchte dem Paris Vorbild folgen.

Wuttke: Vielen Dank. Mit einer inzwischen etwas knittrigen Handyleitung Markus Söder, der bayrische Finanzminister und Koalitions-Aushandler im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Schönen Tag, Herr Söder.

Söder: Danke, tschüss.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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