Keine saubere Lösung

Rezensiert von Johannes Kaiser |
Bekannt wurde Martin Cruz Smith durch seinen Roman "Gorki Park". Die Geschichte um den unorthodoxen Ermittler Arkadi Renko, einen Moskauer Chefinspektor, der sich mit der Aufklärung von Morden viele Feinde im Sowjetapparat machte, wurde überraschenderweise ein Millionenerfolg und von Hollywood verfilmt. Der 1943 geborene und bis dahin kaum bekannte Vielschreiber konnte fortan ein relativ sorgenfreies Leben führen.
Eigentlich hatte der Nordamerikaner keine Fortsetzung geplant. Aber weil ihn immer wieder Leser fragten, wann denn mit dem nächsten Krimi um Arkadi Renko zu rechnen sei, packte ihn der Ehrgeiz – um so mehr, als sich die weltpolitische Konstellation inzwischen dramatisch verändert hatte: Die Sowjetunion lag in Agonie, was einem Schriftsteller erlaubt, seinen Helden durch chaotische Zustände zu führen. Dreimal hat sich Arkadi Renko, in den letzten 15 Jahren um Verbrechen gekümmert, wie sie in Russland heute mehr oder weniger an der Tagesordnung sind. Auch unter den neuen Zaren, den demokratisch gewählten Politikern, sind Chefinspektoren äußerst unbeliebt, die zu viel fragen und zu wahrheitsversessen sind.

Im mittlerweile fünften Roman "Treue Genossen" – ein gelungen ironischer Titel – zieht der Sturkopf Arkadi auf eigene Faust los, um einen Selbstmord aufzuklären, den die Staatsanwaltschaft längst ad acta gelegt hat. Der Tote war alles andere als ein unschuldiger Engel, vielmehr ein typisch Moskauer Neureicher mit schmutziger Vergangenheit, verstrickt in mafiaähnliche Firmenstrukturen. Doch für Arkadi gibt es zu viele offene Fragen. Zu seinem wichtigsten Arbeitsmittel wird der Geigerzähler, denn in der Wohnung des Selbstmörders findet sich ein mit hochradioaktivem Cäsiumchlorid versetztes Salz. Verschluckt bringt es jeden Menschen qualvoll langsam um. Eine im wahrsten Sinne des Wortes heiße Spur. Schon bald gibt es weitere Tote.

Die Recherchen führen den Chefinspektor in die Todeszone von Tschernobyl. Die Schilderungen der verstrahlten Natur und der nach der Reaktorexplosion evakuierten, inzwischen heimlich wiederbesiedelten Dörfer lässt einem die Haare zu Berge stehen. Arkadi, der noch nicht über den Tod seiner Frau Irina hinweggekommen ist, setzt sich mit dem Gleichmut eines Lebensmüden der Gefahr aus. Sein Gespür täuscht ihn nicht: hier liegt der Ursprung der Moskauer Gewaltakte. Die Reaktorkatastrophe fordert noch immer Opfer. Ein düsteres, gleichwohl realistisches Szenario aus einer Welt, die fremder als der Mars wirkt. Auch wenn Arkadi Renko den Fall letztlich aufklärt, bleibt ein schaler Nachgeschmack. Das Recht siegt nicht. Die russischen Verhältnisse verhindern saubere Lösungen.

Martin Cruz Smith: Treue Genossen
C. Bertelsmann Verlag
Aus dem Amerikanischen von Reiner Pfleiderer
München 2005
384 Seiten, 19,90 Euro