Wie Frankreich heute den Mai 68 diskutiert
Was geschieht in Frankreich 50 Jahre nach dem Pariser Mai? Die zerstrittene Linke versucht, eine Bewegung gegen Präsident Emmanuel Macrons Reformpolitik zu organisieren. An den Unis ist nicht einmal ein matter Abglanz vom Geist der 68er-Revolte zu spüren.
"1968 - Ils commémorent, on recommence!" / "Sie gedenken, wir fangen wieder an"
So kann man es derzeit an Wänden französischer Universitäten lesen, an Außenmauern wie in den Hörsälen. Beide Sätze sind falsch.
Richtig ist, dass es in Frankreich eine erhebliche Unzufriedenheit mit dem Reformprogramm von Staatspräsident Macron gibt. Doch die Demonstrationen und Streiks werden wesentlich von den Bediensteten der Staatsbahn SNCF getragen.
Weil mediale Aufmerksamkeit bei Bahnstreiks immer garantiert ist, schlossen sich den Protesten schnell andere an: Studenten, Lehrer, das Pflegepersonal der Krankenhäuser, sogar die Rentner meldeten sich zu Wort.
Frankreichs Linke ist heillos zerstritten
Die linken Oppositionsparteien wie auch die Gewerkschaften tun alles, um aus diesen Demonstrationen eine "Bewegung" zu machen - doch mit dem Mai 1968, als bis zu zehn Millionen Arbeiter und Angestellte streikten, ist das in gar nichts vergleichbar.
Die Gewerkschaften agieren als Konkurrenten und waren nicht mal am 1. Mai zu gemeinschaftlichen Kundgebungen in der Lage. Zudem werden sie von der politischen Linken argwöhnisch beäugt, diese wiederum ist untereinander ebenfalls heillos zerstritten.
"Die Studenten", zunächst die Hauptträger der 68er-Revolte, gibt es als, sagen wir "kämpferische Einheit", 2018 nicht: Die große Mehrheit von ihnen bereitet sich geflissentlich auf die Semesterabschlussprüfungen vor. Dass Hochschulfakultäten besetzt wurden, sorgte einige Zeit lang für spektakuläre Nachrichten, doch waren jeweils nur einige Hundert Studenten und Jugendliche beteiligt, ihre Forderungen blieben wolkig und wurden nicht öffentlich diskutiert.
Kein revolutionärer Geist an den Unis
Als die Polizei die Hochschulen räumte, blieb das ohne jede Resonanz. Spätestens hier wurde sichtbar, dass derzeit - allen Behauptungen zum Trotz - nicht einmal ein matter Abglanz vom Geist der "68er-Revolte" durch Frankreich weht.
Und das Gedenken? Es findet seit Monaten nur mehr analytisch statt. In Radio- und Fernsehdebatten, in Tageszeitungen, Wochen- und Monatszeitschriften stehen sich bekannte Lesarten gegenüber. Konservative Blätter sehen den "Pariser Mai 68" als einen Sieg des Individuums, durch den die Institution Familie sowie die Autoritäten von Kirche und Staat beschädigt, wenn nicht zerstört worden wären.
Eher linke Autorinnen und Autoren interpretieren den "Mai 68" als überfälligen Bruch mit einer autoritär-hierarchisch geprägten französischen Gesellschaftsordnung, zudem wird das "Abkommen von Grenelle", als sozialpolitisch folgenreich gewürdigt. Mit ihm reagierte die Regierung noch im Mai 68 auf den Generalstreik im Lande und sagte Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzung und Mitbestimmung zu.
Bisher kein offizielles Gedenken an 68
Ein "offizielles" Gedenken gibt es in Frankreich - bisher jedenfalls – nicht, obwohl Emmanuel Macron, Jahrgang 77, bei Kundgebungen und öffentlichen Debatten sogar dazu aufgefordert wurde. Aber "rechts" und "links" – diese politischen Gegensätze, die 1968 so betont und damals vielleicht für Frankreichs Streitkultur grundlegend wurden: Emmanuel Macron hat sie als für ihn irrelevant bezeichnet.
Nach eigener Betrachtungsweise regiert er "jupitergleich", er hat Konservative als Minister berufen und sich gleichzeitig mit Daniel Cohn-Bendit einen prominenten Wortführer des "Pariser Mai 68" als Berater geholt – alle Gegensätze werden vom Staatsverständnis des Emmanuel Macron aufgesogen.
Kein Wunder, dass er sich schwertut mit dem "Gedenken". Was sollte er auch tun? Cohn-Bendit einen goldenen Pflasterstein überreichen?