Keine Mehrheit für die Liberalen
Die ägyptischen Liberalen propagieren die Prinzipien der persönlichen Freiheit, der Gleichheit der Geschlechter und der Religionen. Doch die meisten Ägypter haben ein diametral entgegen gesetztes Weltbild, meint Ronald Meinardus.
Kürzlich fällten die Vorstände des Netzwerkes liberaler Parteien in der arabischen Welt einen wichtigen Beschluss. Auf ihrer Jahresversammlung in Kairo gaben sie sich einen neuen Namen: "Arabische Allianz für Demokratie und Freiheit".
Der Begriff "liberal" habe in der arabischen Welt einen schlechten Ruf. Es gebe keinen Grund, ein fremdes Attribut zu nehmen, begründete der ägyptische Liberale Wael Nawara diese Entscheidung. Sein Landsmann, der Präsidentschaftskandidat Ayman Nour macht es noch deutlicher: Gegner würden sie als Liberale, Säkularisten und Kafir bezeichnen - was so viel heißt wie "Ungläubige" und in der religiösen Gesellschaft Ägyptens eine böse Beleidigung ist.
In der arabischen Welt stehen die liberalen Kräfte mit dem Rücken zur Wand. Strategisch betrachtet ist ihre Situation prekär. Dies zeigte auch der Ausgang der Wahlen in Tunesien, die mit einem Erdrutschsieg für die islamistische Partei endete. Liberale und andere säkulare Kräfte spielen hier allenfalls eine Nebenrolle. In Ägypten, einem Land von ungleich größerem Gewicht, sieht die Gemengelage kurz vor den Parlamentswahlen nicht anders aus: wahrscheinlich wird der Sieg der Islamisten am Nil noch deutlicher ausfallen als in Tunesien.
Die Schwäche der Liberalen ist nicht ohne Ironie, bildeten doch ihre Aktivisten und Organisationen die Speerspitze des Massenaufstandes, der Anfang des Jahres das verhasste Mubarak-Regime zu Fall brachte. Auch in diesen Tagen, da die Gegner des Militärs die zweite Etappe der Revolution proklamieren, stehen die säkularen und liberalen Kräfte ganz vorne. Die sogenannte schweigende Mehrheit der Ägypter aber verehrt – allen Grausamkeiten zum Trotz – das Militär als Hüterin der Stabilität.
Profitieren dürften von dieser Stimmungslage die Muslimbrüder und ihre religiös-konservative Parteienkoalition. Für die Liberalen wäre es schon ein gutes Ergebnis, bei den kommenden Wahlen 20 Prozent der Sitze des Parlaments zu erhalten, sagen ihre Wahlkampfmanager in Kairo hinter vorgehaltener Hand.
Die Schwäche der ägyptischen Liberalen ist sicher auch darin begründet, dass sie in mehreren konkurrierenden Parteien organisiert sind. Wesentlich bedeutsamer sind indes politisch-ideologische Gründe. Sie propagieren die hehren Prinzipien der persönlichen Freiheit, der Gleichheit der Geschlechter und der Religionen, treten ganz grundsätzlich für Weltoffenheit und Modernität ein.
Die große Mehrheit der Ägypter aber hat ein diametral entgegen gesetztes Weltbild. Vor die Wahl gestellt zwischen Modernität und Fundamentalismus optiert – laut Umfrage des amerikanischen Pew Research Center - eine satte Mehrheit von 59 Prozent der Befragten für den Fundamentalismus. Ägyptens Bevölkerung ist heute – vor allem in Fragen der Religion und damit zusammenhängend der öffentlichen Moral – wesentlich konservativer, ja reaktionärer als die Menschen in Jordanien, der Türkei, Pakistan oder Indonesien.
In einem derartigen Meinungsklima finden politische Kräfte mit einem liberalen, westlichen Weltbild bis auf weiteres keine Mehrheiten. Im aktuellen Wahlkampf haben sie deshalb den Begriff "liberal" – oder libraleia, so die arabische Bezeichnung – gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Ihre Vordenker stimmen derweil ihre freiheitlichen Vorstellungen mit dem örtlichen Wertekanon ab, um ein neuartiges, ägyptisch geprägtes, liberales Programm zu entwerfen. Mit diesem könnten sie dann erst in künftigen Wahlkämpfen bestehen.
Ronald Meinardus, Jahrgang 1955, ist der Leiter des Regionalbüros der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit (FNF) in Kairo und verantwortlich für die Projektarbeit im Nahen und Mittleren Osten. Zuvor arbeitete der promovierte Politologe als Projektleiter der liberalen Stiftung in Griechenland, Südkorea und auf den Philippinen. Sein Berufsleben begann er als Redakteur der Deutschen Welle, zuletzt als Leiter des griechischen Hörfunkprogramms.
Der Begriff "liberal" habe in der arabischen Welt einen schlechten Ruf. Es gebe keinen Grund, ein fremdes Attribut zu nehmen, begründete der ägyptische Liberale Wael Nawara diese Entscheidung. Sein Landsmann, der Präsidentschaftskandidat Ayman Nour macht es noch deutlicher: Gegner würden sie als Liberale, Säkularisten und Kafir bezeichnen - was so viel heißt wie "Ungläubige" und in der religiösen Gesellschaft Ägyptens eine böse Beleidigung ist.
In der arabischen Welt stehen die liberalen Kräfte mit dem Rücken zur Wand. Strategisch betrachtet ist ihre Situation prekär. Dies zeigte auch der Ausgang der Wahlen in Tunesien, die mit einem Erdrutschsieg für die islamistische Partei endete. Liberale und andere säkulare Kräfte spielen hier allenfalls eine Nebenrolle. In Ägypten, einem Land von ungleich größerem Gewicht, sieht die Gemengelage kurz vor den Parlamentswahlen nicht anders aus: wahrscheinlich wird der Sieg der Islamisten am Nil noch deutlicher ausfallen als in Tunesien.
Die Schwäche der Liberalen ist nicht ohne Ironie, bildeten doch ihre Aktivisten und Organisationen die Speerspitze des Massenaufstandes, der Anfang des Jahres das verhasste Mubarak-Regime zu Fall brachte. Auch in diesen Tagen, da die Gegner des Militärs die zweite Etappe der Revolution proklamieren, stehen die säkularen und liberalen Kräfte ganz vorne. Die sogenannte schweigende Mehrheit der Ägypter aber verehrt – allen Grausamkeiten zum Trotz – das Militär als Hüterin der Stabilität.
Profitieren dürften von dieser Stimmungslage die Muslimbrüder und ihre religiös-konservative Parteienkoalition. Für die Liberalen wäre es schon ein gutes Ergebnis, bei den kommenden Wahlen 20 Prozent der Sitze des Parlaments zu erhalten, sagen ihre Wahlkampfmanager in Kairo hinter vorgehaltener Hand.
Die Schwäche der ägyptischen Liberalen ist sicher auch darin begründet, dass sie in mehreren konkurrierenden Parteien organisiert sind. Wesentlich bedeutsamer sind indes politisch-ideologische Gründe. Sie propagieren die hehren Prinzipien der persönlichen Freiheit, der Gleichheit der Geschlechter und der Religionen, treten ganz grundsätzlich für Weltoffenheit und Modernität ein.
Die große Mehrheit der Ägypter aber hat ein diametral entgegen gesetztes Weltbild. Vor die Wahl gestellt zwischen Modernität und Fundamentalismus optiert – laut Umfrage des amerikanischen Pew Research Center - eine satte Mehrheit von 59 Prozent der Befragten für den Fundamentalismus. Ägyptens Bevölkerung ist heute – vor allem in Fragen der Religion und damit zusammenhängend der öffentlichen Moral – wesentlich konservativer, ja reaktionärer als die Menschen in Jordanien, der Türkei, Pakistan oder Indonesien.
In einem derartigen Meinungsklima finden politische Kräfte mit einem liberalen, westlichen Weltbild bis auf weiteres keine Mehrheiten. Im aktuellen Wahlkampf haben sie deshalb den Begriff "liberal" – oder libraleia, so die arabische Bezeichnung – gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Ihre Vordenker stimmen derweil ihre freiheitlichen Vorstellungen mit dem örtlichen Wertekanon ab, um ein neuartiges, ägyptisch geprägtes, liberales Programm zu entwerfen. Mit diesem könnten sie dann erst in künftigen Wahlkämpfen bestehen.
Ronald Meinardus, Jahrgang 1955, ist der Leiter des Regionalbüros der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit (FNF) in Kairo und verantwortlich für die Projektarbeit im Nahen und Mittleren Osten. Zuvor arbeitete der promovierte Politologe als Projektleiter der liberalen Stiftung in Griechenland, Südkorea und auf den Philippinen. Sein Berufsleben begann er als Redakteur der Deutschen Welle, zuletzt als Leiter des griechischen Hörfunkprogramms.

Ronald Meinardus© privat