Ton Steine Scherben

„Keine Macht für Niemand” als Comic

11:44 Minuten
Seite von Daniele Heller zum Song "Der Traum ist aus" aus dem Comic "Keine Macht für Niemand  – ein Ton Steine Scherben Songcomic", Ventil Verlag 2022. Es sind Menschen in einer Club-Szenerie zu sehen und Textzeilen.
In eine Kneipenszenerie verlegt: Daniela Heller hat den Song "Der Traum ist aus" für den Band "Keine Macht für Niemand – ein Ton Steine Scherben Songcomic" gezeichnet. © Ventil Verlag / Daniela Heller
Bianca Schaalburg und Nikel Pallat im Gespräch mit Andreas Müller · 12.10.2022
Audio herunterladen
„Keine Macht für Niemand“ von Ton Steine Scherben gehört zu den bedeutendsten Alben der deutschen Popmusikgeschichte. 50 Jahre ist es alt, nun gibt es eine Comicversion. Manche der Songs sind sehr frei in Szene gesetzt.
Das Album der Rockband Ton Steine Scherben erschien 1972 – doch „Keine Macht für Niemand“ hat Bedeutung bis heute. Zwar gab es auch immer wieder Zeiten, in denen man es nicht mehr hören wollte und konnte. Dennoch: Die Legende lebt. Es ist eine der wichtigsten Platten der deutschen Popmusikgeschichte.
Jetzt ist ein Comic dazu erschienen. Zeichnerinnen und Zeichner haben sich mit je einem Song des Albums beschäftigt. Was haben die zwölf Songs heute noch zu sagen?
„Die Songs haben absolut weiterhin Aussagekraft“, ist Nikel Pallat, der bereits früh Mitglied bei Ton Steine Scherben war, überzeugt. Bei Konzerten werde er immer wieder auf die Aktualität der Songs angesprochen. "Da sage ich immer: Das ist verkehrt herum gesehen. Die Zeiten haben sich so wenig geändert, oder die Verhältnisse an sich, so dass die Songs dadurch aktuell geblieben sind.“

Der 1. Mai in Berlin

Bianca Schaalburg hat in "Keine Macht für Niemand – ein Ton Steine Scherben Songcomic" den Song „Die letzte Schlacht gewinnen wir“ bebildert. Die Zeichnerin wurde 1968 geboren, als das Album 1972 erschien, war sie ein Kleinkind. In ihrer Jugend sei es noch überall gespielt worden, erinnert sie sich. „Gerade in Berlin, bei den Hausbesetzungen und Demonstrationen, war das ein Album, das immer irgendwo lief – auch in meinem Freundeskreis.“
Schaalburg beschreibt in ihrem Comic den legendären 1. Mai 1987 in West-Berlin, als es in Kreuzberg heftigst krachte. Und unterlegt die Geschichte, die sie selbst damals erlebt hat, mit dem Text des Songs.
Zum Song „Die letzte Schlacht gewinnen wir“ hat Bianca Schaalburg für den Comicband "Keine Macht für Niemand  – ein Ton Steine Scherben Songcomic", Ventil Verlag 2022, den Den 1. Mai 1987 in Kreuzberg gezeichnet.
Bianca Schaalburg hat sich in dem Comicband mit dem 1. Mai in Berlin auseinandergesetzt.© Ventil Verlag / Bianca Schaalburg
Sie sei an diesem sommerlichen Maitag zu einer Freundin in die Wiener Straße nach Kreuzberg gefahren, berichtet sie. Dort seien dann Demonstranten vorbeigezogen. Das „Katz-und-Maus-Spiel“ zwischen ihnen und der Polizei sei dann immer dunkler geworden.
„Steine flogen, Molotowcocktails, Autos und Gegenstände brannten“, erinnert sie sich. „Die Straßen hier wurden aufgerissen, und die Polizei knüppelte ganz schön ordentlich rein. Das war sehr unheimlich.“

Zugang über Rio Reiser

Einige der Zeichnerinnen und Zeichner kannten hingegen die Band und ihre Musik gar nicht, bevor sie sich ans Werk machten. Manche stießen auch über das Solomaterial von Rio Reiser, dem Frontmann von Ton Steine Scherben, auf die Band.
Die Umsetzung der Songs in Bilder ist sehr unterschiedlich: Es gibt mehr oder weniger Eins-zu-eins-Übersetzungen, in denen man sieht, was gesungen wird. Und es gibt sehr freie Interpretationen.
Der Song "Keine Macht für niemand", von Ulli Lust gezeichnet für den Comicband "Keine Macht für Niemand  – ein Ton Steine Scherben Songcomic", Ventil Verlag 2022: Songzeilen stehen in der Szenerie einer Hühnerzucht.
Sind die Songs von Ton Steine Scherben aktuell geblieben, weil sich die Verhältnisse so wenig verändert haben? Bei Ulli Lust kommt der Titelsong des Albums mit einer Massentierhaltungsszenerie zusammen.© Ventil Verlag / Ulli Lust
Er finde es faszinierend, wie unterschiedlich Bilder sein könnten, die Menschen zu den Songs seiner Band im Kopf haben, sagt Pallat. Er selbst habe sich beim Mitsingen oft Szenen ausgemalt. Und auch die Songs selbst beschrieben vieles in Szenen.

"Genetik"-Rapper als "halbe Enkel"

Zur Frage, wer musikalisch das Erbe von Ton Steine Scherben antreten könne, sagt Pallat: “Ich sehe heutzutage viele Bands, die sich viele Gedanken über das Zeitgeschehen machen, das (aber) anders ausdrücken.“
Ein Beispiel seien die Rapper von Genetik aus Saarbrücken, die auch schon die Stimme von Rio Reiser gesampelt hätten. „Dann fangen sie mit einem knallharten Rap an, mit dem sie ihren Blick auf die Zeit ausdrücken, mit fantastisch knallharten Bildern.“
Da seien ganz klar künstlerische und inhaltliche Brücken zu den Ton Steine Scherben-Songs zu sehen – auch wenn die Rapper „halbe Enkel“ seien.
Mehr zum Thema